Von Bösewichten und Gutmenschen
Ich hatte im Kino anfangs Sympathie für den "Joker", den Hollywood-Bösewicht. In seinem Leben lief schief, was nur schieflaufen kann, bis er endlich selbstbewusst aufblüht. Doch leider rechnet er dann in abscheulicher Weise mit dem "System" ab, sodass Batman als Retter des Guten einschreiten muss.
Das ist eine von vielen Gut-Böse-Erzählungen, die unser kulturelles Bewusstsein prägen. Von der Versuchung im Paradies über Rumpelstilzchen bis zu Herr der Ringe: In all diesen Erzählungen vergewissern wir uns der Einsicht, dass das Gute zu tun und das Böse zu unterlassen ist.
Was lässt sich aber über eine Gegenwart sagen, in der diese Zuschreibungen semantisch ins Wanken gebracht und sozial engagierte Menschen ironisch als "Gutmenschen" gebrandmarkt werden? Wir erleben offenbar eine Zeit schwindender Klarheit, entfernt vom Ufer einer tragfähigen Zukunftsvision, inmitten eines digitalen Meinungsozeans, der primär von einer Kraft durchströmt ist: von Stimmungen und Gefühlen.
Diese Erkenntnis ist hilfreich. Unsere stärksten Gefühlslagen sind nämlich unsere stärksten Bewegmotive: Liebe und Angst. Beide brauchen wir, beide können schaden: Liebe verbindet, kann aber blind machen. Angst schützt, sorgt jedoch für Tunnelblick (lat. angina, "Enge"). "Gutmenschen" werden nun nicht auf dem Feld der Liebe geboren. Nein, sie entstehen auf dem Feld meiner Ängste und können dort zu Hassobjekten werden. Schon Platon wusste, dass die Gerechten leiden und den Unmut der anderen spüren.
"Bilde ich mir das ein, oder wird es da draußen immer verrückter?", fragt der Joker. Ja, die Sehnsucht nach Klarheit ist heute groß. Doch bringt das Einteilen von Menschen in die Guten und die Bösen Klarheit? Niemand trägt nur Licht oder nur Schatten, niemand nur liebende oder nur ängstliche Anteile in sich. Die moralisierende Zweiteilung wird hier zur unlauteren Vereinfachung. Verbindung entsteht nicht durch Zuschreibungen, sondern eher durch eine an mein Gegenüber gerichtete Frage: "Wovor hast du Angst?"