Lass auch den anderen gut sein!
Dabei: Der Mensch ist weder nur gut noch nur schlecht. Weder denkt er nur an sich noch nur an andere. Auf beides kommt es an: Das Gebot der Nächstenliebe lehrt es uns - du sollst den Nächsten wie dich selbst lieben. Selbstliebe und Selbstsorge sind die Voraussetzung dafür, gut zu sein. Das erlebe ich jeden Tag in meinem Umfeld: Menschen, die politisch hochengagiert sind, die sich für andere einsetzen, die etwas bewegen wollen - für die Gesellschaft, für andere Menschen und selbstverständlich auch dafür, dass sie wiedergewählt werden, dass sie ihr Engagement fortsetzen können.
Sei gut, Mensch! Sei gut zu anderen, sei gut in dem, was du tust.
Sehr eindrucksvoll greift das der Prophet Micha im Alten Testament auf, wenn er schreibt: Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir erwartet: nichts anderes als dies: recht tun, Güte lieben und achtsam mitgehen mit deinem Gott. Für Micha gehören zu einem guten und gottesfürchtigen Leben Gerechtigkeit und Güte. Wenn du gut sein willst, sei gerecht und gütig, so könnte man Michas Weisung zusammenfassen. Auf beide Aspekte kommt es an.
Nur mit Recht kann man keine Gesellschaft gestalten und keinen Staat machen. Bloße Gerechtigkeit kann zur Grausamkeit werden - so mahnt Thomas von Aquin. Rechtsanwendung muss auch Raum für Ermessen, für die besonderen Umstände des Einzelfalls lassen - sei es bei der Strafzumessung, beim Ausländerrecht oder im Sozialrecht. Nur so lassen sich Härten vermeiden und lässt sich Gutes erreichen. Genauso gilt: Nur mit Güte oder Barmherzigkeit kann man keine Gesellschaft gestalten und keinen Staat machen. Bloße Güte oder Barmherzigkeit führt zur Auflösung - auch davor warnt Thomas von Aquin. Recht macht berechenbar und zeigt Grenzen auf. In diesem Spannungsfeld von gerecht und gütig bewegt sich auch politisches und gesellschaftliches Gutsein.
Denn: "Sei gut, Mensch!" heißt nicht: Sei naiv, Mensch! Genau das unterstellt die abfällige Rede vom Gutmenschen, der scheinbar nicht begriffen hat, wie die Realität ist, der naiv und einfältig handelt. Damit wird der christliche Grundauftrag, Gutes zu tun und Böses zu unterlassen, diskreditiert. Für uns steht der Mensch im Mittelpunkt - als verantwortlich Handelnder wie als Bedürftiger. Aus unserer Überzeugung, aus unserem Glauben heraus wollen wir gut sein, wollen wir recht tun, Güte lieben und achtsam mitgehen mit unserem Gott. So wollen wir unsere Gesellschaft prägen, weil wir mit Heinrich Böll davon überzeugt sind, dass selbst die allerschlechteste christliche Welt der besten heidnischen vorzuziehen ist, weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Raum gab: für Krüppel und Kranke, Alte und Schwache, und mehr noch als Raum gab es für sie: Liebe für die, die der heidnischen wie der gottlosen Welt nutzlos erschienen und erscheinen.
Dazu muss um die besten, menschenfreundlichen Lösungen gerungen werden - gerade im politischen Bereich. Auch wenn jedes politische Engagement Überzeugungen voraussetzt, ersetzen diese Überzeugungen nicht das Argument. Da gilt, dem anderen zuzutrauen, dass er sich für eine gute Lösung einsetzt. Ich kann dem anderen nicht sein Gutsein absprechen, nur weil ich seine Überzeugungen nicht teile.
Die Demokratie lebt vom Kompromiss - nicht als kleinstes Übel, sondern als gemeinsame Lösung. Denn: Schlecht ist, wer nur in seinen Kategorien denkt und nicht in Erwägung zieht, dass der andere auch recht oder eine gute Lösung parat hat. Sei gut, Mensch - und lass auch den anderen gut sein.