"Ich weiß nicht, wie man lacht"
Sr. Alberta liebt die Kinder, und wenn sie mit ihnen zusammen ist, lacht sie auch.Achim Pohl
Die Luft im Haus riecht feucht und modrig. Schwarzer Schimmel klebt in den Ecken, ein Küchenschrank ist dreckverkrustet, das Holz aufgequollen. Aus dem Küchenherd wurden die Kochplatten und die Elektrik herausgebrochen, das Blechskelett dient nun als Feuerstelle zum Kochen. Unter dreckigen und abgewetzten Teppichen biegen sich bei jedem Schritt faulige Holzbretter, die Fensterrahmen sind löchrig. Still hocken Kinder auf einer durchgesessenen Couch, ein Fernseher plärrt.
Sr. Alberta vom Sozialzentrum der Caritas in Mamonowo hat uns hierhin geführt. Wir sind auf dem Land in der Nähe von Mamonowo (früher Heiligenbeil) im Gebiet von Kaliningrad, dem alten Königsberg. Etwas abseits von der alten Reichsstraße 1, die heute als A 194 weiter nach Polen führt, liegen die Felder brach, und in den alten Landhäusern, die manchmal noch aus deutscher Zeit stammen, leben Familien in unvorstellbarer Armut. So stapfen wir durch Küche und zwei Zimmer, machen Fotos und versuchen, uns unsere Fassungslosigkeit nicht anmerken zu lassen.
Natascha wohnt hier mit ihren fünf Kindern Victor, Galina, Sergej, Andrej und Metwej und ihrem alten Vater. 400 Rubel (umgerechnet 10 Euro) zahlt sie monatlich an Miete. Heizen muss sie mit Holz, sie braucht drei Wagenladungen, um über den Winter zu kommen, eine kostet 8000 Rubel. Die Familie lebt vom staatlichen Kindergeld (monatlich 6000 Rubel) und einer kleinen Rente des Großvaters. "Das Haus braucht eine Renovierung", sagt Sr. Alberta, "aber es gibt keine Möglichkeit." Andrej ist krank, er wird operiert werden müssen, eine Verengung an der Aorta. Ob sie etwas bezahlen muss, weiß die Mutter nicht - aber wovon sollte sie es nehmen? Die Mittel der Caritas reichen gerade einmal, um regelmäßig ein Lebensmittelpaket abzugeben.
Auf dem Land gebe es viele alleinstehende Mütter mit vielen Kindern, sagt Sr. Alberta. Die Männer sind alkoholkrank und fort auf der Suche nach Arbeit, im Gefängnis oder tot. Die Frauen haben oft keine Möglichkeit, die Kinder dauerhaft allein zu Hause zu lassen und sich Arbeit zu suchen. Manche arbeiten saisonweise in der Ernte - für einen oft kümmerlichen Lohn: "Sie erhalten ein Mittagessen und zehn Kilo Kartoffeln oder 60 Rubel am Tag." Dabei können sie wenigstens ihre Kinder im Auge behalten. "Die kinderreichen Familien in Russland müssen ihre Probleme ohne staatliche Unterstützung allein lösen", sagt Oksana Steshka von der Caritas Kaliningrad.
Der Staat hilft nicht - keine Perspektiven für die Kinder: Natascha mit ihrem Vater und ihren fünf Kindern.Achim Pohl
Die Armut kam nach dem Zerfall der Sowjetunion. Die Kolchosen wurden privatisiert, das Militär zog ab, die Grenzen zu den neuen EU-Staaten Litauen und Polen erschwerten die Handelsbeziehungen. Überall fehlen Arbeitsplätze, die Löhne sind extrem niedrig, es gibt keine Ausbildungsmöglichkeiten. Spekulanten aus Moskau oder St. Petersburg haben Land aufgekauft, reiche Moskowiter bauen sich Häuser an der Ostsee-Küste, das Hinterland liegt brach.
Seit fast 20 Jahren sind die Katharinenschwestern in Mamonowo präsent. Eigentlich stammt die Ordensgemeinschaft aus dem benachbarten Braunsberg (Braniewo) auf der polnischen Seite der Grenze. Nach dem Ende der Sowjetunion und der Öffnung des bis dahin militärisch genutzten Kaliningrader Gebietes zog es einige Schwestern nach Mamonowo, an den Sterbeort ihrer Ordensgründerin Regina Protmann. Das katholische Schwesternhaus wurde bald Anlaufstelle für bedürftige Kinder und Familien. Straßenkindern, die in Pappkartons an der polnischen Grenze lebten, boten die Schwestern Obdach, bauten so nach und nach ein Waisenhaus und ein Sozialzentrum auf.
Seit 2002 ist das Waisenhaus der Schwestern staatlich genehmigt, derzeit leben dort fünf Schulkinder und zwei Jugendliche, die zur Berufsschule gehen. Seit rund 15Jahren unterstützen der Diözesan-Caritasverband Paderborn sowie die Liborius-Gemeinde und die Schwestern der Christlichen Liebe aus Paderborn das Waisenhaus in Mamonowo. "Dank dieser Unterstützung können wir den Kindern so viel Liebe und Sorge schenken", sagt die Ordensfrau. Geht man durch das Haus, spürt man Nähe und Herzlichkeit zwischen Kindern und Erzieherinnen. Die Schwestern nehmen die Kinder in den Arm, fröhliche Augen blitzen den Besuchern entgegen. Die ersten Kinder aus der Anfangszeit der Arbeit sind schon groß geworden. "Fast alle kamen zu uns und sagen, dass dieses Haus für sie ein Mutterhaus ist", berichtet Sr. Alberta.
Mit Spenden aus dem Erzbistum Paderborn ist jetzt in unmittelbarer Nachbarschaft des Schwesternhauses ein Sozialzentrum entstanden, das die Schwestern im Auftrag der Caritas Kaliningrad betreuen. Hier werden vor allem Kinder gefördert, die zu arm sind, um einen Kindergarten besuchen zu können. Diese Förderung ist wichtig, weil Kinder aus sozial schwachen Familien in der Schule als "lernbehindert" abgestempelt werden, weil die Eltern oft drogen- oder alkoholkrank sind. Per Bulli werden die Kinder aus dem Umland zum Sozialzentrum gebracht, damit besucht die Schwester die Familien auf dem Land und werden die Lebensmittelpakete transportiert. Auch das Fahrzeug ist eine Spende aus Paderborn.
Acht Kinder, darunter Zwillinge, hat diese Frau aus Momonowo, Gebiet um Kaliningrad (Russland).Achim Pohl
Das schmucke Gebäude, benannt nach der seligen Regina Protmann, bietet optimale Voraussetzungen der Versorgung: mit Lebensmitteln und Bekleidung, aber vor allem mit pädagogischer Förderung. Manche Kinder stehen hier erstmals in ihrem Leben vor einem Waschbecken. "Sie wissen nicht, was das ist", erklärt Oksana Steshka. Bei Bedarf ist auch psychologische Hilfe möglich. Manche Kinder sind traumatisiert. Extremes Beispiel ist der Fall von sechs Geschwistern, die als Kleinkinder unversorgt von ihren Eltern im Stich gelassen wurden. Sie hausten in einer Ruine ohne Heizung, kochten über einem Lagerfeuer im Garten und schliefen unter einem Berg Lumpen. Eine Nachbarin erkannte das Caritas-Kreuz am Bulli und sprach die Mitarbeiter an. "Seitdem helfen wir dieser Familie", sagt Sr. Alberta. Eines der Kinder hatte Narben am Kopf, es war als Baby im Schlaf von Ratten angefallen worden. "Ich weiß nicht, wie das geht", antwortete dieses Kind auf die Frage einer Erzieherin, warum es niemals lächelt.
Neben der Hilfe für die Kinder geht es der Caritas und den Ordensfrauen darum, "Risiko-Familien" zu stabilisieren. Hierfür setzen die Ordensschwestern auf die Mütter. "Wir zeigen den Frauen, wie man wäscht, kocht und preiswert einkauft", weiß Sr. Alberta. Ihr Traum ist es, aus dem Sozialzentrum einen Ort der Hilfe zur Selbsthilfe zu machen. Im Dachgeschoss könnten dafür Seminarräume entstehen, im Kellergeschoss Werkräume. Das ist alles Zukunftsmusik für ein Projekt, das nur aus Spenden finanziert wird. Doch die Hoffnung lebt bei der Caritas Kaliningrad und den Ordensschwestern von Mamonowo.
Spendenkonto
Spenden für das Kindersozialzentrum der Caritas Kaliningrad sind möglich an den
Diözesan-Caritasverband Paderborn,
Konto 4300 bei der Bank für Kirche und Caritas,
BLZ 472 603 07.
Stichwort: Mamonowo.