Zu Hause sterben ist schön
Martina Arens und Monika Seelen sitzen mit einer Kollegin auf einer Bank im Skulpturenpark in Rees. Sie reden miteinander, sie hören zu. Nach einer Weile verabschieden sie sich. Die Kollegin geht. Martina und Monika bleiben. Die beiden Frauen erzählen viel an diesem Nachmittag - immer mit Zuversicht, mit viel Wärme, aber auch der nötigen Distanz. Ich habe das Gefühl, Martina und Monika sitzen fest im Sattel. Am Ende dieses Gespräches sagen sie mir, dass der Patient der Kollegin kurz zuvor verstorben sei.
Stille.
Caritas in NRW Martina, Monika, habt ihr Angst vorm Tod?
Martina Arens: Nein, ich habe keine Angst vorm Tod. Ich wünsche mir nur, dass jemand da ist. Dass mich jemand begleitet, so wie wir es tun.
Monika Seelen (nickt zustimmend): Auch ich habe keine Angst vorm Tod. Vielleicht auch, weil ich glaube, dass danach noch was kommt …
Caritas in NRW: Und eure Patientinnen und Patienten?
Monika Seelen: Viele haben Angst davor, allein zu sein. Oder Schmerzen zu haben.
Martina Arens: Wenn wir kommen, sind die Symptome der Patientinnen und Patienten stark ausgeprägt. Sie sind unruhig, haben Angst, sie leiden unter Übelkeit oder haben enorme Schmerzen. Meist sind auch die Angehörigen mit der gesamten Situation überfordert. Nach ein paar Tagen hat sich das gelegt.
Caritas in NRW: Warum?
Martina Arens: Weil wir wollen, dass unsere Patientinnen und Patienten zu Hause in Würde sterben. Wir bringen wieder ein Stück Normalität rein.
Caritas in NRW: Was heißt das: in Würde sterben?
Monika Seelen: In allererster Linie sind wir für unsere Patientinnen und Patienten und ihre Angehörigen da. Wir haben Zeit. Wir besprechen, was möglich ist. Der Patient oder die Patientin wiederum entscheidet, was gemacht und was eben nicht gemacht wird. Er oder sie hat das Bestimmungsrecht.
Martina Arens: Gut leben bis zum Schluss - so lautet unsere Devise. Wir machen es schön. Wir zünden Kerzen an. Wir machen Aromatherapie. Atemstimulierende Einreibungen. Eine heiße Rolle. Bei unerträglichen Schmerzen können wir unsere Patientinnen und Patienten auch schlafen legen. Er oder sie bestimmt den Weg, wir gehen mit.
Caritas in NRW: Warum macht ihr das?
Monika Seelen: Im Krankenhaus sterben ist unpersönlich. Die Pfleger und Pflegerinnen haben nicht die nötige Zeit, die die Menschen dort in diesem Moment brauchen.
Caritas in NRW: Dieser Moment, spürt man den eigentlich?
Martina Arens: Ja, irgendwie schon. Manchmal ist es ein Blick, der reicht. Eine Bewegung. Ein letztes Aufbäumen. Dann wissen wir, jetzt ist es oder jetzt ist es bald so weit. In diesen Momenten sind wir ganz für unsere Patientinnen und Patienten und für ihre Angehörigen da.
Monika Seelen: Manche schleichen sich auch einfach so weg.
Caritas in NRW: Und dann?
Monika Seelen: Dann verabschieden wir uns und zünden eine Kerze an. In den allermeisten Fällen waschen wir unsere Patientinnen und Patienten auch noch einmal und ziehen ihnen etwas Schönes an. Das gibt auch den Angehörigen ein gutes Gefühl.
Caritas in NRW: Ein Mensch ist gestorben - nehmt ihr das nicht mit nach Hause?
Monika Seelen: Wir haben sicherlich alle ein, zwei Personen im Kopf, an die wir uns noch lange erinnern. Bei mir ist es zum Beispiel ein junger Mann, Vater von zwei kleinen Kindern. Danach bin ich auch erst einmal zu einer Kollegin gefahren. Ich war auch auf seiner Beerdigung. Doch in der Regel schließen wir mit dem Tod ab.
Martina Arens: Das muss man auch. Denn sonst nimmt man jedes einzelne Schicksal mit nach Hause. Das hält keiner lange aus. Und für eben diese traurigen Momente haben wir unser Team, die Supervision. Wir helfen und unterstützen uns gegenseitig.
Caritas in NRW: Was braucht es, um eure Arbeit zu machen?
Monika Seelen: Empathie und eine Einstellung zum Tod. Ich muss selbst wissen, wie ich dazu stehe. Nur so kann ich auch todkranken Menschen helfen.
Caritas in NRW: Was gibt euch eure Arbeit?
Martina Arens: Die Wertschätzung, die wir täglich erfahren, ist enorm. Unsere Patientinnen und Patienten und auch ihre Angehörigen sind einfach nur dankbar. Ehrlich gesagt, ich gehe jeden Tag gerne zur Arbeit. Sie ist gut, sie ist sinnvoll. Es ist wichtig, dass es diese Arbeit gibt.
Interview: Julia Lörcks
Monika Seelen spricht aus Erfahrung, sie hat 30 Jahre lang in einem Krankenhaus gearbeitet. Sie war es, die sich dort um die sterbenden Patienten gekümmert hat.
Julia Lörcks
SAPV bei der Caritas Kleve
Der Caritasverband Kleve ist Mitglied im Palliativnetzwerk Rhein-Maas und bietet im Raum Emmerich und Rees die spezialisierte ambulante Palliativversorgung an. 2022 gab es insgesamt 286 Patientinnen und Patienten. Das SAPV-Team, das Teil der Mobilen Pflege in Rees ist, hat zehn Mitarbeiterinnen. Team-Koordinatorin ist Elke de Lasberg, sie ist zu erreichen unter:
Telefon: 02851/58219 oder
E-Mail: e.delasberg@caritas-kleve.de
Wer sich für die Arbeit im SAPV-Team interessiert, muss eine Palliative-Care-Weiterbildung absolvieren. Diese dauert in der Regel ein Jahr und umfasst 160 Unterrichtseinheiten.