Traurigkeit spielt nur eine Nebenrolle
In der Begrüßung liegt die Leichtigkeit einer Studenten-WG. "Guten Morgen - na, wie geht‘s?", werden die Gäste im Josef-Haus in Gronau-Epe empfangen. Und fast immer lautet die Antwort "gut" oder "ganz in Ordnung". Das ist erstaunlich, denn die Menschen, die hierherkommen, teilen ein hartes Schicksal. Sie alle sind schwer erkrankt, ohne Aussicht auf Heilung, austherapiert. In dem teilstationären Hospiz finden sie in ihrer letzten Lebensphase einen außergewöhnlichen Ort. Nicht nur weil sie hier pflegerisch gut versorgt sind, sondern auch weil sie hier eine Zeit erleben können, in der sie und ihre Gefühle voll im Mittelpunkt stehen.
Und die sind an diesem Morgen durchaus positiv. An dem langen Tisch in dem großen, offenen Wohnbereich trudeln die Gäste nach und nach ein, sie plaudern miteinander, nicht selten wird gelacht. Vier Gäste sind heute gekommen, es gab kurzfristige Abmeldungen. "Manchmal stimmt die Tagesform nicht, oder es gibt medizinische Gründe", sagt Hospiz-Leiterin Marina Bloom. "Eigentlich ist das Angebot auf acht Gäste ausgelegt - manchmal sind es mehr, manchmal weniger." Die grundsätzliche Nachfrage nach Plätzen in der Einrichtung, die im November 2023 eröffnet wurde, steigt jedoch stetig an.
Im Plauderton geht es um Fußball, das Wetter und das Mittagessen, das aus der Küche des St. Antonius-Hospitals Gronau geliefert wird. Auch beim Morgenimpuls geht es nicht um Krankheiten: Frau Bloom hat eine aktuelle Medienmeldung aus dem Norden Deutschlands mitgebracht: "Viele Schafe kippen derzeit aufgrund ihrer vielen Wolle um und können nicht mehr aufstehen - Passanten werden gebeten, ihnen ins Fell zu greifen und sie wieder auf die Beine zu stellen."
Die Stimmung der Gäste bleibt gelöst, als sie sich etwas später auf die Terrasse setzen. "Wir sind hier wie ein Kindergarten für Erwachsene", sagt Heike Schepers. Die Krebspatientin kommt seit etwa vier Monaten jeden Wochentag ins Hospiz und hat die Atmosphäre schnell lieben gelernt. "In der Tagespflege war es mir viel zu rummelig, ständig gab es Programm." Hier kann sie das machen, wonach ihr gerade der Sinn steht. "Quatschen, basteln oder auch mal etwas kochen oder backen." Die Wünsche der Gäste bestimmen das Programm. Auch wenn sie sich einfach mal in das Bett in ihrem Ruheraum zurückziehen möchten.
"Ich muss nichts erklären, nichts entschuldigen oder verstecken"
Ein Team mit unterschiedlichen Ausbildungen und vielen Talenten steht dafür zur Verfügung. Drei volle Stellen verteilen sich auf die Hauswirtschafterin, Sozialarbeiterin und die fünf examinierten Krankenpflegerinnen. Alle haben sie zusätzliche Ausbildungen speziell für die Hospizarbeit absolviert, etwa im Bereich Palliative Care. Dazu kommt ein zehnköpfiges ehrenamtliches Team vom Förderverein des Josef-Hauses, die alle einen Befähigungskurs in "Sterbebegleitung für ehrenamtliche Mitarbeiter*innen in der ambulanten Hospizarbeit" absolviert haben. Sie bringen Begabungen mit. "Die eine kann gut kochen, die andere gut basteln oder ist musikalisch", sagt Bloom.
Bei aller erstaunlichen Fröhlichkeit- natürlich gibt es auch die Momente der Schwere, in denen gesprochen, gehadert, manchmal auch geweint wird. "Wenn jemand aus der Runde stirbt, wenn die Gedanken an das eigene Lebensende hochkommen, wenn Sorgen und Abschiedsschmerzen mit großer Wucht zuschlagen", sagt Bloom. Dann ist immer Rückzug möglich - gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen oder allein.
In einer Schale auf dem Küchenblock liegen um eine Kerze kleine Kieselsteine mit den Namen aller Gäste, auch der verstorbenen. Es ist der einzige Punkt, an dem der belastende Hintergrund der gemeinsamen Zeit in dem Hospiz verortet ist. Die Vergänglichkeit hat einen Platz gefunden, aber auch die Zuversicht, nie vergessen zu werden.
Von der Terrasse ist wieder ein Lachen zu hören. "Du lebst in einem Zoo", sagt Heike Schepers lächelnd. Es geht um die Tiere von Dieter Voß, zu denen er jeden Abend zurückkehrt. Zu seinen Fischen, zu dem Hamster, den Katzen, Wüstenrennmäusen und Spinnen. Und zu seinem Hund, der ihn immer ausgelassen begrüßt, um sich nachher unter das heimische Krankenbett des Krebspatienten zu legen. "Ich will abends immer nach Hause zurück, will meine Umgebung, meinen Fernseher und die Streicheleinheiten mit den Tieren." Den ganzen Tag daheim würde er aber auch nicht aushalten. "Da starrst du an die Decke und kennst irgendwann jeden Punkt auf der Raufasertapete."
Das Grübeln, die kreisenden Gedanken um die eigene Situation sind besonders belastend. Deswegen sind die Krankheiten in den Gesprächen zwischen den Gästen auch kein Thema. "Bloß nicht", sagt Schepers. "Darüber rede ich sonst schon viel zu oft." Das Wissen über das gleiche Schicksal der anderen macht dabei viel aus. "Ich muss nichts erklären, nichts entschuldigen oder verstecken - ich kann hier ganz locker quatschen."
Das ist auch für die Angehörigen ein gutes Gefühl, weiß Bloom. "Zu wissen, dass unsere Gäste hier eine gute Zeit verbringen können, entlastet sie emotional enorm." Aber auch organisatorisch: Mit dem Arbeitsalltag, mit familiären Aufgaben, mit Betreuung und Krankenpflege sind viele trotz aller Unterstützung von außen irgendwann überfordert. Mit dem teilambulanten Hospiz erleben sie eine Entlastung in allen Bereichen. Die Krankenpflegerinnen können Verbände wechseln, Medikamente und Spritzen geben. Das Netzwerk mit den Ärzten und Krankenhäusern, aber auch mit den Seelsorgern ist dicht geknüpft. "Wir können in den Zeiten hier viel auffangen."
Auch das Bürokratische gehört dazu. Die Tür vom Büro der Hospiz-Leiterin steht immer offen, wenn sie am Schreibtisch sitzt und sich um Anträge, Dokumentationen und Anfragen kümmert. "Der Platz hier ist aber nicht entscheidend", sagt sie und zeigt hinüber zur Terrasse, auf der die Gäste gerade über das anstehende Grillfest sprechen: "Der entscheidende Platz ist dort."
Tageshospiz Josef-Haus
Auf Spenden angewiesen
Wenn eine sich fortschreitend verschlimmernde Erkrankung ärztlich attestiert wurde, übernimmt die Krankenkasse 95 Prozent der Kosten. Die restlichen 5 Prozent werden von dem Kooperationspartner Förderverein Josef-Haus aufgebracht, der auf Spenden angewiesen ist.
Finanziert werden davon unter anderem Hospiz- und Palliativpflege, dazu gehören Krankenbeobachtung/Symptomkontrolle, medizinische Behandlungspflege z. B. Schmerzmittelmanagement, Beratung zu verschiedenen Bereichen, und seelsorgerische und spirituelle Begleitung. Aber auch drei gemeinsame Mahlzeiten und eine abwechslungsreiche Alltagsgestaltung.