"Leb jetzt, mach was draus!"
Birgitt Schlottbohm ist ein Mensch, der begeistert, ansteckend lacht, zu Tränen rührt und nachdenklich macht. Die 57-Jährige ist Koordinatorin des ambulanten Hospizdienstes vom Johannes-Hospiz in Münster.
Die Auseinandersetzung mit dem Tod und dem Wert des Lebens bis zum Schluss zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Geschichte, die im Elternhaus in Borken begann, das ganz in der Nähe des Friedhofs stand. "Als Kinder sind wir oft nach einer Beerdigung auf den Friedhof gelaufen." Die Mutter habe nicht ohne ein Schmunzeln die vom Totengräber geschenkten Nelken in die Vase gestellt. "Ich hatte aber schon als Kind so ein Gefühl, dass Sterben ganz normal ist und zum Leben gehört."
Nach dem Realschulabschluss folgte ein Vorpraktikum für die Altenpflegeausbildung bei
den Missionsschwestern in Wilkinghege. Dort hat sie viel gelernt über den natürlichen Umgang mit dem Tod, das Nicht-alleine-Lassen und Dasein bis zuletzt. Mit 17 Jahren hat sie den ersten toten Menschen gewaschen. "Das hat mich nicht geschreckt."
Die Ausbildung hat sie in Kassel gemacht, dort zehn Jahre in der Pflege gearbeitet, mit 30 das Fachabitur nachgeholt und in Münster Pflegepädagogik studiert. Nach einer Zeit als Referentin in der Erwachsenenbildung hat sie 2008 den ambulanten Hospizdienst vom Johannes-Hospiz mit seinen heute 50 Ehrenamtlichen aufgebaut und für elf Jahre geleitet.
"Dann hatte ich das Gefühl, ich brauche andere Fragen, und ich muss andere Geschichten hören - auch durch viele persönliche schmerzliche Abschiede." Noch während der Probezeit in einem Altenheim erkrankte die Mutter, und Schlottbohm hat das getan, was sie heute als mutigste Entscheidung ihres Lebens bezeichnet: Sie hat ein halbes Jahr Pflegezeit genommen, ist in ihr altes Kinderzimmer gezogen und war bis zum Tod bei ihrer Mutter.
Zurück im Altenheim, zwang die Corona-Pandemie sie wieder ans Sterbebett - 16 Bewohnende überlebten das Virus nicht. Seit Anfang 2024 arbeitet die Frau mit den wasserblauen Augen wieder leidenschaftlich gerne beim Johannes-Hospiz. Schlottbohm hat oft die Erfahrung gemacht, dass Sterbende sagen: "Ich hab so viel versäumt." Deshalb sagt sie immer: "Leb jetzt, mach was draus!" Das falle ihr selbst auch nicht immer leicht, aber das Leben sei zu schön, um es nicht jeden Tag neu zu versuchen.
Am Lebensende würde sie gerne aus ihrem ganz persönlichen Schatzkästchen schöpfen und sagen: "Ich hab meine große Liebe getroffen, meine Eltern und mein Bruder waren fantastisch, ich hatte einen tollen Hund, mich haben tolle Bücher begleitet, und ich war glücklich."