Wenig bewirkt viel
Ein Betonboden, dünne Sperrholzwände, ein Bambusgeflecht: umgerechnet 20 Dollar Miete im Monat zahlt Sokha (links), um mit ihrer Familie in dieser Hütte zu wohnen und ein kleines Café zu betreiben.Markus Lahrmann
Unterwegs mit Caritas international in Siem Reap, Kambodscha. - Das Café ist eine große Bretterbude aus Sperrholzplatten mit einem Wellblech-Dach. Zur staubigen Straße ist die halbe Wand nach oben hin aufgeklappt, das ist der Eingang. Nach innen fällt Licht durch das rautenförmige Fenstergitter aus Bambusstöcken. Ein Ventilator surrt, denn es ist auch im subtropischen Winter heiß und schwül. Hier wohnt und arbeitet Sokha (37). Sie ist Mutter von zwei Söhnen und einer Tochter, und sie ist an Tuberkulose und Aids erkrankt. Sie weiß es seit einem halben Jahr.
"Ich hatte Unterleibsschmerzen und Fieber, ein Bluttest hat dann ergeben, dass ich HIV-positiv bin", erzählt Sokha uns. Sie weiß nicht, wo und wann sie sich infiziert hat. Ob beim ersten Ehemann, der sie verlassen hat, als sie krank wurde, oder bei ihrem zweiten Mann. "Mein zweiter Mann arbeitet so viel, dass er keine Zeit hat, zum Test zu gehen; deswegen weiß ich nicht, ob er auch infiziert ist", sagt Sokha. Sie versucht, ihn zu schützen: "Wir benutzen jetzt Kondome", sagt sie ganz offen und fügt hinzu, dass sie ihren Mann drängt, sich testen zu lassen.
Als Sokha ihre Diagnose erhielt, wendet sie sich an die Caritas in Siem Reap und bittet um Hilfe. Dort berät man sie und bringt sie zum Krankenhaus, damit sie entsprechende Medikamente erhält. Bezahlt werden die Tabletten aus internationalen Hilfsfonds, weil die Armen sie sich niemals leisten könnten. Sokha muss die Tabletten von nun an ihr Leben lang jeden Tag zu ganz genau festgelegten Zeiten nehmen. Nur dann wirken sie und ermöglichen ihr ein Leben mit der Krankheit. Tuberkulose gilt als eine Krankheit der Armut, deshalb findet sie besondere Verbreitung bei Menschen, deren Abwehrkräfte ohnehin schon geschwächt sind: durch schlechte Lebensbedingungen wie Unterernährung, mangelnde Hygiene, katastrophale Wohnverhältnisse und nicht zuletzt durch HIV/Aids.
Die Caritas in Siem Reap kann ihr noch mehr helfen: Sokha bekommt einen kleinen Startzuschuss für das Café, damit kauft sie ein paar rote Plastik-Stühle und einen Tisch, ein paar Kisten Cola, Geschirr und eine Art gläserne Theke, um Lebensmittel aufzubewahren. Die Caritas-Mitarbeiter erklären ihr, welche drei Essensgruppen es gibt, wie sie gesund kocht und wie eine gesunde Ernährung mit einem Mix aus Eiweiß, Vitaminen und Kohlehydraten ihre körperliche Verfassung verbessern hilft. "Ohne diese Hilfe wäre ich nicht da, wo ich heute bin", sagt Sokha voller Dankbarkeit.
Ein Café in einem Slum - wie funktioniert das? Sokhas Vater ist Kambodschaner, ihre Mutter jedoch kam aus Vietnam. Vielleicht ist es landsmannschaftliche Verbundenheit, jedenfalls kommen seit Eröffnung des Cafés jeden Morgen einige vietnamesische Arbeiter und trinken bei ihr Kaffee. Sokha bewirtschaftet das Café auch, als sie völlig krank ist. Sie leidet unter einem Tumor in ihrer Hüfte, der von der Tuberkulose herrührt. Nach Abzahlung der Unkosten bleiben ihr vielleicht zehn Dollar im Monat, hinzu kommt das Einkommen ihres Mannes, der drei DollarFoto: Markus Lahrmann am Tag verdient. Vom Familieneinkommen in Höhe von 100 Dollar müssen sie monatlich allein 20 Dollar für die Pacht der Hütte an den Besitzer, einen Gemüsehändler, bezahlen. Es ist die nackte Armut: Gekocht wird mit tönernen Holzkohle-Schalen auf dem Boden, Lebensmittel hängen in Plastiktüten an der Wand, daneben Töpfe, lose hängen Stromkabel unter der Decke. Neben der Küche gibt eine einzige abgetrennte Kammer, die manchmal als Schlafraum dient. An den Wänden liegen Matten und Decken, die auf dem nackten Betonboden ausgebreitet werden können. Meist schläft die Familie jedoch auf der breiten Lagerstatt direkt neben dem Eingang zum Café.
Bildung wäre für die Kinder der einzige Ausweg aus der Armut. Doch Sokhas erstes Kind, das alt genug für die Schule ist, kann nicht dorthin, weil sie keine Geburtsurkunde mehr hat. Die ist zusammen mit vielen anderen Dokumenten verbrannt, als das Haus ihrer Mutter abbrannte, in dem sie damals lebte. Nachträglich kann man eine Geburtsurkunde nicht mehr ausstellen. Der einzige Weg wäre, sich vom Ortsvorsteher eine Bescheinigung geben zu lassen und diese dem Schuldirektor vorzulegen. "Nächstes Jahr will ich es machen", sagt Sokha.
Bisher hat sie auch noch nicht an der Caritas-Selbsthilfegruppe für HIV-/Aids-Infizierte teilgenommen, weil sie zu krank war. "Demnächst will ich dorthin gehen", sagt sie. Seit die Caritas ihr hilft, hat sie wieder Lebensmut gefasst.
Kambodscha
Kambodscha ist eines der ärmsten Länder der Welt, das Durchschnittseinkommen beträgt rund 30 Dollar im Monat. Korruption und das Erbe von 30 Jahren Bürgerkrieg belasten das Land zwischen Thailand und Vietnam bis heute. Derzeit stehen die Führer der Roten Khmer, die von 1975 bis 1979 eine Terrorherrschaft mit mehr als zwei Millionen Toten ausübten, vor Gericht. Nur ein bis zwei Prozent Katholiken gibt es unter den rund 14 Millionen Einwohnern. In dem Land am Mekong mit seiner langen Geschichte und seiner reichen Kultur hat die Caritas einen hervorragenden Ruf. Sie hilft den Menschen unabhängig von Rasse, Religion oder Parteizugehörigkeit.