Mangel, Überforderung und harte Strafen
Die Studie wurde in einem gemeinsamen Projekt unter der Leitung der Professoren Dr. Wilhelm Damberg (Katholische Theologie / Kirchengeschichte) (Foto) und Dr. Traugott Jähnichen (Evangelische Theologie / Christliche Gesellschaftslehre) von den Historikern Dr. Bernhard Frings und Dr. Uwe Kaminsky erstellt. RUB
Mangelhafte äußere Bedingungen, der damals vorherrschende rigide Erziehungsstil sowie das persönliche Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter haben zu den traumatisierenden Erfahrungen vieler Heimkinder beigetragen.
Das sind die zentralen Ergebnisse des ersten Gesamtüberblicks zur konfessionellen Heimerziehung in der jungen Bundesrepublik Deutschland bis in die 70er-Jahre hinein. Die Bochumer Wissenschaftler Prof. Dr. Wilhelm Damberg (Katholisch-Theologische Fakultät der RUB) und Prof. Dr. Traugott Jähnichen (Evangelisch-Theologische Fakultät) stellten nach drei Jahren Forschung die Ergebnisse der Untersuchung vor. Die Ergebnisse machen es unumgänglich, den "Heimkinderstatus" zu entstigmatisieren, heißt es in der Studie. Helfen könne dabei vor allem eine Offenlegung der Akten. Den Betroffenen von einst solle heute bei Bedarf therapeutische Hilfe sowie in zahlreichen Fällen materielle Unterstützung geboten werden. Auch eine weitere, nicht nur individuelle Aufarbeitung der Heimerziehung sei notwendig.
Teils drakonische Strafen
Personalmangel und Überforderung, lange Arbeitszeiten, schlechte Entlohnung, fehlende Anerkennung, das Wegschauen der Bevölkerung und vieles mehr: Die Liste an Ursachen und Gründen für das Fehlverhalten von Heimpersonal ist lang. Das entschuldigt jedoch nicht teils drakonische Strafen und Demütigungen als "Erziehungsstil" in vielen Heimen - etwa Essensentzug, Isolierung in "Besinnungszimmern", das Abschneiden der Haare bis hin zu körperlicher Züchtigung und Misshandlung.
Versagen, Schuld - aber auch vereinzelt großes Engagement
"Die Leitungen der jeweiligen Einrichtungen wie auch die kirchlichen Aufsichtsorgane haben die oft problematischen Zustände gekannt oder hätten sie zumindest genau kennen können", so die Bochumer Forscher. In den kirchlichen Heimen gab es sowohl "Fälle eklatanten Versagens und großer Schuld" als auch "ein überdurchschnittliches Maß an Engagement der Mitarbeitenden". Mit Blick auf die einzelnen Handelnden sei daher stets ein sehr sorgfältig abwägendes Urteil notwendig, so die Autoren der Studie. "Die Komplexität der damaligen Verhältnisse beruhte eben auch auf dem Umstand, dass niemals nur kirchliche Träger oder staatliche Instanzen allein für das Wohl der Kinder und Jugendlichen verantwortlich waren, sondern immer beide" - was sich aber nicht zum Vorteil der Kinder ausgewirkt habe.
Mit Ausnahme der religiösen Erziehung zeigen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen kirchlichen Heimen, Heimen in der Trägerschaft anderer Wohlfahrtsverbände oder öffentlichen Heimen. "Insofern spiegeln die kirchlichen Heime weithin das Maß der seinerzeit geltenden Normalität wider, was allerdings den kirchlichen Selbstanspruch deutlich unterschreitet."
Die Ergebnisse der Studie erscheinen im Herbst als Buch. Eine ausführliche Zusammenfassung finden Sie hier.