Wer prüft die Prüfer?
Vorab: Gute Pflege und entsprechende Pflegequalität haben wir für unsere 15 Caritas-Pflegeeinrichtungen (elf Caritas-Sozialstationen, drei Tagespflegen, ein Seniorenwohnheim) mit täglich ca. 2 500 betreuten und gepflegten Personen selbst so definiert, dass wir die Menschen nach ihren Wünschen gut unterstützen und versorgen wollen und dass sie sich bei uns wohl fühlen sollen (Leitbild Caritas-Pflegeeinrichtungen). Unsere Einrichtungen haben alle Prüfungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) mit Noten zwischen 1,1 und 1,9 bestanden. Damit bestätigen die MDK-Prüfungen unsere eigenen regelmäßigen internen Qualitätsmanagementuntersuchungen, Kundenbefragungen, Mitarbeiterbefragungen, Essenskundenbefragungen.
Unsere Kritik an dem derzeitigen System der MDK-Prüfungen und der damit verbundenen Bürokratie geschieht nicht aus einer Verteidigungshaltung, sondern aus einem eigenen qualitätsbewussten Ansatz, der in unseren Einrichtungen erarbeitet wurde und gelebt wird.
Erste Aussage: Die politisch propagierte Entbürokratisierung und Verwaltungsreduzierung für den Pflegebereich sind bei den zuständigen Behörden und Stellen und deren Mitarbeitern nicht angekommen. Unsere Praxiserfahrungen zeigen eher das Gegenteil: Es scheint so zu sein, dass die Verwaltungsmitarbeiter von Kranken- und Pflegekassen und Behörden sich selbst stärker absichern wollen und mit dem Verweis auf Gesetze und Bestimmungen die Träger und Einrichtungen mit mehr Verpflichtungen und Aufgaben belasten. So wächst die Zahl der Erlasse, die von der Geschäftsstelle der Pflegekonferenz beim Kreis Soest oder vom Gesundheitsamt (Hygieneaufsicht) in den letzten Monaten zu bestimmten Themen an die Träger gesandt wurden, genauso wie die Bitte um Beantwortung von Einzelfragen.
Zweite Aussage: Die Einführung der Qualitätsprüfungen des MDK haben grundsätzlich und allgemein zu einer höheren Mitarbeiter-Sensibilisierung für die Bedürfnisse der Patienten und Bewohner geführt. Eine deutliche Verbesserung der Ergebnisqualität, die schon vor Einführung der Qualitätsprüfungen hoch war, ist jedoch nicht erreicht worden. Weil der MDK die Struktur- und Prozessqualität aber schematisch überprüft und daraus die Ergebnisqualität ableitet und die Ergebnisse veröffentlicht, mussten Träger und Leitungen einen immensen Verwaltungsaufwand in den Einrichtungen und bei den Pflegedokumentationen aufbauen.
Die Befragung der Kunden, deren Zufriedenheit oder Unzufriedenheit oder Kritik die Ergebnisqualität mit beeinflussen würde, ist zwar Teil der Prüfung, wird aber nicht in die Bewertung eingerechnet. Somit ist das Ziel der Verbesserung der Pflegequalität und der Erhöhung des Verbraucherschutzes von Pflegebedürftigen nicht erreicht worden.
Da wir als Träger nicht direkt gegen gültige Gesetze angehen können und MDK-Prüfungen nicht verwehren können, besteht unsere Strategie aus vier Teilen:
- Ein eigener Qualitätsanspruch für unsere Caritas-Einrichtungen ist gemeinsam erarbeitet worden und unser Maßstab.
- Alle Qualitätsprüfungen des MDK werden von unserer Qualitätsmanagementbeauftragten und der zuständigen Fachbereichsleitung begleitet. Nach jeder Prüfung wird ein eigener Kurzbericht über die Prüfung, die Art und Weise der Prüfer und ggf. Differenzen in den Bewertungen erstellt, der als Grundlage für die (fast regelmäßig) eingelegten Widersprüche dient. Unsere Pflegekonzepte, Qualitätsrichtlinien etc. sind natürlich in allen elf Sozialstationen gleich. Umso interessanter ist es dann, wenn ein MDK-Prüfer in der einen Caritas-Sozialstation das Pflegekonzept mit "gut" bewertet, ein anderer MDK-Prüfer zehn Tage später in einer anderen Caritas-Sozialstation das Pflegekonzept "lückenhaft" findet.
- MDK-Prüfungsergebnisse werden von uns, jeweils verbunden mit einer Kritik an dem Gesamtsystem, genauso veröffentlicht wie auch die Ergebnisse der eigenen Qualitätsprüfungen.
- Die Diözesan-Arbeitsgemeinschaft Alten- und Gesundheitshilfe im Erzbistum Paderborn und der Deutsche Caritasverband erhalten regelmäßig die Fortschreibung unserer eigenen Einzelberichte über die MDK-Prüfungen mit der Forderung, sich politisch für die Aussetzung des heutigen Systems oder kurzfristig für die deutliche Weiterentwicklung einzusetzen.
Durch unseren Ansatz und die kritische Begleitung jeder Prüfung sind wir bei den Landespflegekassen und dem MDK bekannt. Dies hat schon zu gemeinsamen Gesprächen mit allen MDK-Prüfern und den Landespflegekassen geführt, wenn wir der begründeten Meinung waren, dass bei einer MDK-Prüfung die Arbeit der Prüfer für uns nicht akzeptabel oder widersprüchlich war.
Beispiel Nachweis der Beratung in der ambulanten Pflege
Bisher wurden 16 Informationsbriefe erstellt, die im Rahmen der Beratungen dem Pflegebedürftigen oder Angehörigen übergeben werden. Kritik im Rahmen einer MDK-Prüfung: Der genaue Inhalt der Beratung sei nicht nachvollziehbar. Es wurde ernsthaft die Empfehlung von den Prüfern ausgesprochen, die genauen Details des Beratungsgesprächs im Pflegebericht zu dokumentieren oder aber die wichtigsten Aspekte auf den Infoblättern zu markieren, dann noch einmal zu kopieren und in der Dokumentation mit aufzubewahren. Andere MDK-Prüfungen (mit anderen Prüfern) haben unsere Vorgehensweise positiv bewertet.
Beispiel Mobilität
In einer Prüfung wurde durch die Prüfer bemängelt, dass die "vereinbarten Leistungen zur Mobilität und zu deren Entwicklung nicht nachvollziehbar dargestellt wurden". Auf unsere Nachfrage wurde erläutert, dass sich die Frage auf das Ankleiden beziehe und dies nicht ausführlich genug beschrieben sei. In einer anderen Prüfung wurden die vereinbarten Leistungen zur Mobilität auf die Fortbewegung hin überprüft.
Unsere Anfrage an den MDK Westfalen-Lippe nach einer klaren Definition der Bewertungskriterien ergab folgende Antwort: "Es gibt leider hierzu keine klare Definition, was alles zu den Leistungen der Mobilität gehört ..."
Beispiel Datenschutz
Der Datenschutz muss unstrittig von uns beachtet und eingehalten werden. Gleiches müsste aber auch für den MDK gelten. Wir erhalten Prüfberichte, in denen von 14 überprüften Klienten nur elf aufgeführt sind. Die fehlenden drei Datensätze sind anscheinend zwischen MDK und Landespflegekassen verloren gegangen. In anderen Prüfberichten fehlen die Angaben der Patienten zu kompletten Bereichen. Maßnahmen zur Beseitigung der Qualitätsdefi zite sind jedoch in dem Prüfbericht hinterlegt.
Es ergeben sich für die Zukunft einige grundsätzliche Fragen:
- Wie sollen Mitarbeiter/-innen in der Pflege sich noch motivieren, wenn sie nie sicher sein können, dass ihre Arbeit und die notwendige Dokumentation von unterschiedlichen Prüfern gleichermaßen anerkannt und beurteilt werden? - Oder anders gesagt: Wie kann es sein, dass verschiedene Prüfer einzelne Sachverhalte gänzlich verschieden bewerten?
- In den Prüfungen ist die Stichprobe grundsätzlich zu klein. Uns liegen MDK-Bewertungen von Pflegediensten vor, bei denen ein einziger (!) überprüfter Patient zu der Note 1,0 bzw. 5,0 geführt hat.
- Es gibt vielfach dichotome Fragen, die eben nicht mit "erfüllt" oder "nicht erfüllt" einfach beantwortet werden können.
- Es gibt Fragen, die an der Realität der jeweiligen Pflegesituation vorbeigehen.
- Wie ist es möglich, dass bei Stellungnahmen/Widersprüchen zu den Berichten derselbe Prüfer den eigenen Bericht bewertet?
- Wie können Mitarbeiter/-innen geschult werden, wenn das, was heute geschult wird, morgen in einer MDK-Prüfung mal mit "Ja", mal mit "Nein" bewertet wird (s. Beispiel Beratung, aber auch Kontrakturprophylaxe)?
Gibt es auch Lichtblicke?
- Leitungen und Mitarbeiter gehen heute gelassener mit MDK-Prüfungen um, weil wir selbst wissen, dass wir die Patienten und Betreuten gut betreuen und pflegen, und wir uns nicht alles gefallen lassen.
- Unsinnige Forderungen von Behördenmitarbeitern (wie z. B. ein gemeinsam entwickeltes aktuelles Hygienekonzept mehrerer Altenheime noch weiter zu individualisieren) werden seitens des Trägers deutlich und konsequent abgelehnt und nicht umgesetzt.
- Die Politik im Kreis Soest versteht langsam und macht dies schon an verschiedenen Stellen deutlich, dass sie wie die Kranken- und Pflegekassen eine Hauptverantwortung für die Versorgungssicherheit der Bevölkerung und entsprechende Rahmenbedingungen hat. So werden z. B. seitens der Heimaufsicht nicht mehr wie früher schwerpunktmäßig die (prozentuell geringen) Pflegemängel in den Heimen in den Mittelpunkt der Berichterstattung und Veröffentlichung gestellt, sondern die
Wertschätzung des Pflegeberufs und der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter in den Einrichtungen.
Und vielleicht ist das der Schlüssel für eine positive Zukunft: Pflegekräfte erhalten für ihren belastenden Dienst und ihr hohes Engagement auch von öffentlichen Stellen die Wertschätzung für einen Dienst an der Gesellschaft, die ihnen zusteht.