Wie Integration gelingen kann
Beratung ist ein wesentlicher Baustein im Integrationsangebot.Foto: LAG FW NRW | Achim Pohl
Die Migrationsberatung für Erwachsene (MBE) ist ein Angebot für Zuwanderinnen und Zuwanderer, das durch Informationen, professionelle Beratung und sozialpädagogische Begleitung den Integrationsprozess steuern und begleiten soll. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem sogenannten Case-Management - einer bedarfsorientierten Einzelfallberatung und sozialpädagogischen Begleitung: Nach einem ersten Sondierungsgespräch analysieren die Beraterinnen und Berater gemeinsam mit den Hilfesuchenden, welche sozialen und beruflichen Kompetenzen bereits vorhanden sind und an welchen Stellen Förderbedarf besteht, um zum Beispiel eine den Wünschen und Fähigkeiten entsprechende Erwerbsarbeit aufnehmen zu können. Beide Seiten vereinbaren miteinander einen Förderplan. Diese Methode erlaubt es, Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der Ratsuchenden zu stärken und den Beratungszeitraum zeitlich einzugrenzen.
Die hauptamtlichen Migrationsberaterinnen und -berater verfügen über ein hohes Maß an fachlicher und persönlicher Qualifikation. Ihre Aufgabe ist es, zu einer Verbesserung und Sicherung der Lebenssituation der Zugewanderten beizutragen, indem sie diese unter anderem bei der Bewältigung des Alltags oder beim Erlernen der deutschen Sprache unterstützen. Das geschieht ganz konkret durch die Vermittlung in Sprachkurse, durch Hilfe bei behördlichen Angelegenheiten, bei der Arbeitssuche, der Berufswahl und beruflichen Fortbildung sowie der Vermittlung von Kinderbetreuungsangeboten und der schulischen Bildung von Kindern. Darüber hinaus unterstützt die MBE in Konflikt- und Krisensituationen wie Krankheit und Schwangerschaft sowie bei sozialen und familiären Problemlagen.
Ergänzend bietet die MBE soziale Gruppenarbeit an und arbeitet in kommunalen Netzwerken, damit lokal bedarfsgerechte Integrationsangebote entstehen, und trägt so dazu bei, dass sich Regeldienste und Verwaltungsbehörden interkulturell öffnen.
In den MBE-Beratungsstellen der Caritas in NRW wurden im Jahr 2022 insgesamt 20598 Fälle registriert – das sind umgerechnet 339 Fälle pro Vollzeitstelle. Zusammengenommen kommen die NRW-Beratungsstellen in Trägerschaft der Caritas derzeit auf 63 Stellenanteile, die sich in der Summe aufgrund von Teilzeit auf deutlich mehr Mitarbeitende verteilen.Grafik: Caritas in NRW
Das Beratungsangebot richtet sich grundsätzlich an erwachsene Zugewanderte über 27 Jahre bis zu drei Jahre nach Einreise in das Bundesgebiet beziehungsweise nach Erlangung des auf Dauer angelegten Aufenthaltsstatus. Vorrangig berücksichtigt wird dabei der Beratungsbedarf von Zugewanderten, die zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet oder berechtigt sind. Darüber hinaus steht die MBE auch bereits länger in Deutschland lebenden Zugewanderten sowie deutschen Staatsangehörigen und EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern offen, die zum Beispiel nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen.
Case-Management und Krisenintervention
Fast ein Viertel aller Beratungen im Bereich der Caritas in NRW wurden als Case-Management-Fälle erfasst, die eine sehr intensive und aufwendige Begleitung der Ratsuchenden beinhalten. Der weitaus größere Teil konzentriert sich auf kurzfristige Krisenintervention, wie zum Beispiel Familien- oder Konfliktberatungen.
Gerade die letzten Jahre haben gezeigt, dass sich nationale und internationale Krisen immer auch in der Migrationsberatung niederschlagen: Viele Menschen haben wegen der weltweit zunehmenden gewalttätigen Konflikte und Naturkatastrophen ihre Heimat verlassen und Zuflucht in Deutschland und anderen europäischen Ländern gesucht und damit auch das Beratungsaufkommen der MBE erhöht. Als Herkunftsländer sind hier vor allem Syrien und die Ukraine zu nennen. Verschärfend kam während der Corona-Pandemie hinzu, dass lange Zeit die Türen von Jobcentern und Behörden verschlossen waren, sodass auch hier die MBE oft ersatzweise Hilfestellung geleistet hat. Zudem bringen die extrem gestiegenen Energie- und Lebenshaltungskosten viele Menschen in Existenznot. All das führt zu akuten Krisensituationen, die nicht langfristig und mit individuellen Förderplänen beraten werden können, obwohl es sich oft um schwerwiegende und komplexe Problemlagen handelt. Außerhalb der MBE finden die Hilfesuchenden oft kein passendes Angebot, weil es in der allgemeinen Sozialberatung oder in kommunalen Behörden an Erfahrungen mit migrationsspezifischen Problemlagen fehlt. Auch ist die Sprachbarriere für viele Ratsuchende eine Hürde.
Trotz erschwerter Bedingungen verzeichnet die MBE unter anderem bei der Vermittlung von Sprachkenntnissen deutliche Erfolge, die eine Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Arbeitsmarktintegration darstellen: Von 8108 Fällen, bei denen Sprachförderbedarf festgestellt wurde, konnte gut ein Viertel erfolgreich in Integrationskurse und mehr als 800 Menschen in andere Sprachkurse vermittelt werden. Die weitaus meisten der 2518 Beratenen, die tatsächlich an den Sprachkursen teilnahmen, haben diese erfolgreich (d. h. mit mindestens Sprachlevel A1) abgeschlossen. Vor dem Hintergrund des Mangels an Sprachkursplätzen und langer Wartezeiten ist die Erfolgsquote als sehr gut einzustufen und wäre ohne die MBE nicht möglich.Grafik: Caritas in NRW
Vor besonders großen Herausforderungen stand die MBE nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine. In kürzester Zeit musste eine große Anzahl Geflüchteter untergebracht und an Sozialleistungen angekoppelt werden. Wenige Monate später erhielten die Geflüchteten aus der Ukraine einen Sonderstatus, der es ihnen seither ermöglicht, Sozialleistungen nicht nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylBLG), sondern nach § 24 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) zu beziehen. Der mit diesem Wechsel verbundene Beratungs- und Verwaltungsaufwand wäre ohne Stellenaufstockungen in der MBE gesamtgesellschaftlich nicht zu stemmen gewesen - vielmehr ist die Expertise der Beratungsstellen hier effektiv zum Tragen gekommen und konnte vielerorts sogar die kommunalen Stellen entlasten.
Viele Klientinnen und Klienten in der MBE leben seit mehr als fünf Jahren dauerhaft in Deutschland - deutlich länger als die im Förderprogramm angelegten drei Jahre. Oft vergeht sehr viel mehr Zeit, bis eine Niederlassungserlaubnis erteilt wird oder die Einbürgerung erfolgt, was erneuten Beratungsbedarf nach sich zieht. Lang andauernde Asylverfahren erschweren die Integration zusätzlich und erfordern eine längerfristige Begleitung. Die Caritas setzt sich hier gemeinsam mit Bund, Ländern und Gemeinden dafür ein, Integrationsbarrieren ab- und oftmals behördlich verspieltes Vertrauen wieder aufzubauen. Durch die konkrete Arbeit der Beratungsstellen unterstützt die Caritas die Entwicklung von rechtlichen, sozialen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Anerkennung, Chancengleichheit und umfassende Partizipation aller Bevölkerungsgruppen ermöglichen. Echte Integration wird erst möglich, wenn Geflüchtete sowie Migrantinnen und Migranten gleichberechtigt Teilhabe an Bildung und am Arbeitsmarkt haben.
Dennoch bleiben große Herausforderungen, und es muss in vielen Kommunen nachgesteuert werden - es stehen noch immer zu wenige Plätze in Integrationskursen zur Verfügung, besonders in solchen mit Kinderbetreuung. Zudem haben immer noch viele Menschen, denen vor der rechtlichen Prüfung eine geringe Bleibeperspektive attestiert wird, keinen Zugang zu Integrationssprachkursen. Hier ist die Politik gefordert, Bildungsgerechtigkeit zu schaffen und keine zusätzlichen Integrationshemmnisse aufzubauen.