Auf dem Altar globalisierter Gleichgültigkeit
Im Entwurf zum Bundeshaushalt 2023 plante die Bundesregierung vergangenen Sommer eine Kürzung der MBE-Mittel von 76 auf 57 Millionen Euro - also eine drastische Verminderung um satte 25 Prozent! Aber damit nicht genug. Verbunden mit dieser Reduzierung der MBE war die Erwartung, dass die Wohlfahrtsverbände ihre in die Migrationsberatung eingebrachten Eigenmittel in Höhe von zehn Millionen Euro keinesfalls herunterfahren dürften. Zehn Millionen Euro Eigenmittel, verteilt auf die Freie Wohlfahrt, sind für viele Verbände kaum zu stemmen! Aus unserer Sicht stellte sich die Frage, ob es denn sein kann, dass die Bundesregierung den eigenen Auftrag durch die Finanzspritze der Wohlfahrtsverbände teilfinanzieren lässt, um zeitgleich mit den Bundesmitteln zu knausern. Handelt es sich bei der Migrationsberatung doch um eine Aufgabe des Gemeinwesens, welches diese im Sinne der Subsidiarität an die Wohlfahrtsverbände weitergibt.
Dabei hatte die Ampelkoalition so positiv begonnen. 2021 hatte der Koalitionsvertrag einen integrationspolitischen "Paradigmenwechsel" signalisiert. Und noch im Vorfeld zum Haushaltsentwurf 2023 gingen vom BAMF und BMI deutliche Signale aus, dass zumindest mit einer Verstetigung der MBE-Mittel zu rechnen sei.
Die Kürzungen aus dem Haushaltsentwurf 2023 wurden schließlich zurückgenommen, auch dank der Orts-Caritasverbände, die im öffentlichen Raum einen Aktionstag am 14. September 2022 zur Bewusstseinsbildung nutzen konnten. Aber die Blicke von Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesrechnungshof lasten weiterhin auf der Migrationsberatung. Sicherlich muss ein Rechnungshof überwachen, ob Steuermittel sachgerecht und effizient eingesetzt werden. Aber was er mit seinen rechnerischen, kalkulatorischen Mitteln gar nicht auf den Schirm bekommt, ist die Dringlichkeit der Integration von Menschen, die schon in Deutschland leben. Dass es eine vordringliche Aufgabe einer menschlichen Gesellschaft und eines Sozialstaats ist, benachteiligte Menschen aufzunehmen und zu unterstützen, ist naturgemäß kein Faktor in den Kalkulationen eines Rechnungshofs. Nein, den Faktor Menschlichkeit muss die Regierung dem Rechnungshof vorgeben, indem sie selbst Verantwortung für den Sozialstaat und die Menschenrechte übernimmt. Sie muss Farbe bekennen und gegen den spitzen Bleistift des Christian Lindner und des Rechnungshofs Migrantinnen und Migranten in Schutz nehmen.
Dass die Migrationsberatung mit überkritischem Auge überwacht wird, führt dazu, dass sie sich jeder mittelfristigen Planbarkeit entzieht. Migranten müssen nach all den Unsicherheiten der Flucht erleben, wie ihre Integration bei uns einer Unsicherheit anderer Art unterworfen ist. Lernen und sich in eine Gesellschaft integrieren setzt nun mal ein Mindestmaß an Sicherheit voraus. Unterm Strich wird dadurch kommuniziert: Menschen dürfen kommen; aber sie sollen sich bloß nicht einbilden, dass wir ein gesteigertes Interesse daran haben, sie zu integrieren. Zudem müssen zahlreiche Migrationsberaterinnen und -berater in der Caritas und in anderen Verbänden regelmäßig um ihre Stellen bangen, sie sind einer ständigen Zitterpartie um den Fortbestand der MBE ausgesetzt.
Die Migrationsberater der Caritas und der gesamten Freien Wohlfahrt leisten eine vorbildliche, hochprofessionelle Integrationsarbeit nahe am Menschen. Aber sie müssen arg kämpfen, um dem gestiegenen Beratungsbedarf annähernd nachzukommen. Die MBE-Finanzierung seitens des Bundes ist ohnehin nicht auskömmlich. Wäre nicht eine Aufstockung oder wenigstens Verstetigung der Mittel angezeigt? Mittlerweile hat sich der Beratungsbedarf sogar noch verschärft durch die Ukraine-Flüchtlinge, die nicht das Asylverfahren durchlaufen müssen, und das neue Chancen-Aufenthaltsrecht, welches Menschen, die schon lange mit unsicherer Bleibeperspektive in Deutschland leben, teilweise hier geboren sind, eine sinnvolle Zukunft bieten möchte. Auch mit Blick auf das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist die Migrationsberatung geradezu unverzichtbar.
Kann es denn sein, dass ausgerechnet die Bundesregierung sich daran beteiligt, was Papst Franziskus die "Globalisierung der Gleichgültigkeit" nennt.