Nur Toast – aber liebevoll ausgestochen
Im lang gestreckten, gelb gestrichenen Putzbau, ehemals Wohngebäude eines Bauernhofs am Rande der Siedlung, ist auch noch eine Hortgruppe untergebracht. Eigentlich gibt es diese Betreuungsform seit Einführung des Offenen Ganztagsangebots in den Grundschulen seit etlichen Jahren schon gar nicht mehr. Wenn Alexander Kipp, Leiter der Kindertagesstätte St. Ida, über die Arbeit berichtet, wird der Sinn dieses zusätzlichen Angebotes für sozial benachteiligte Familien schnell deutlich. Es sind aber nicht nur Geldprobleme, sondern drei Viertel der Familien in diesem Stadtteil haben auch mit Schwierigkeiten des Lebens zu kämpfen, auf die sich das 17-köpfige Team der Kita ebenfalls einstellen muss.
Elternarbeit ist wichtiger denn je
Vor allem ist es die Armut, Familien müssen mit niedrigem Einkommen oder von Hartz IV leben. Was das Aufwachsen in diesen Lebensumständen bedeutet, wird an Kleinigkeiten sichtbar. Während andere Kitas dafür werben würden, den Kindern ein gesundes Frühstück mitzugeben, sei das in St. Ida eher müßig, erklärt Kipp. Ab dem dritten Tag des Monats finde sich bei vielen Kindern doch nur wieder Toast mit Marmelade in der Dose. Aber "die Eltern haben sich Mühe gegeben und den Toast morgens geschmiert", erkennt der Kita-Leiter an: "Und manche geben sich richtig Mühe und stechen ihn mit Plätzchenformen fantasievoll aus."
Kipp hat Verständnis für die Situation der Eltern. Wenn sie morgens nicht wüssten, wo sie das Essen für den Tag herbekommen sollten, "bleibt keine Kraft oder Zeit, zu schauen, wie es dem Kind geht". Wichtig sei deshalb, mit dem Team der Erzieherinnen in der Kita ganz genau hinzuschauen und den Blick auf die ganze Familie zu haben: "Elternarbeit ist eines unserer Steckenpferde", sagt Alexander Kipp scherzhaft, meint es aber ernst.
Wenn selbst der Toast fehlt, es erkennbar an der Hygiene mangelt, die Kleidung nicht der Jahreszeit entspricht, hat das für den Kita-Leiter "immer Gründe, die wir im Gespräch herausfinden müssen". Dann werde geschaut, ob es Kapazitäten gebe, die Situation zu verändern. Wenn dabei deutlich werde, dass Gespräche allein nicht ausreichen, "binden wir auch externe Partner ein wie die Erziehungsberatung, das Beratungszentrum der Caritas Hamm oder das Jugendamt", sagt Kipp.
Jede der drei Gruppen hat einen mit gebrauchter Kleidung prall gefüllten Schrank - die kleine altersgemischte Gruppe von vier Monaten bis sechs Jahren, die Kita-Kinder von drei bis sechs Jahren und die Grundschüler bis zehn Jahre in der Hortgruppe. Gleich im Eingang steht zudem der Tauschwagen des Familienzentrums Bockum, zu dem die Kita St. Ida gehört. Da liegen Bilderbücher drauf und gerade auch eine Winterjacke. Die Kindertagesstätte bekommt regelmäßig Kleiderspenden und tauscht sich mit dem FAIR-Kaufhaus der Caritas im zweitgrößten Stadtteil Hamms aus.
Natürlich gebe es auch in Bockum-Hövel Familien mit gutem Einkommen und solche, in denen es gut läuft. Auch deren Kinder besuchen die Einrichtung der Hammer Caritas. Aber die "Multiproblemlagen" häufen sich schon. Dafür nutzt Kipp das breite Hilfsangebot, das Caritas und Katholischer Sozialdienst im Stadtteil bieten.
Ausgrenzung kommt nicht vor
Für Alexander Kipp gilt das langjährige Motto des Deutschen Caritasverbandes: "Not sehen und handeln". Das bedeutet auch, dass die Erzieherinnen mit den Kindern regelmäßig zum Schwimmen gehen. Manchmal begleitet der ausgebildete Rettungsschwimmer sie. Wenigstens mit dem "Seepferdchen" soll jedes Kind ins weitere Leben starten, so das Ziel in der Hortgruppe.
Aber der Schwimmbadbesuch ist mehr und symptomatisch für das, was Kindern aus Familien, die mit geringem Einkommen oder Hartz IV auskommen müssen, fehlt. Manche stehen beim ersten Mal am Beckenrand und "staunen über so viel Wasser auf einmal", sagt Kipp. Umkleidekabinen sind ihnen wie alle anderen Abläufe unbekannt, und nach dem Schwimmen stehen sie vor dem Berg Wäsche, die sie zusammengeworfen haben. "Dann beginnt das lustige Wäscherätseln", schmunzelt Alexander Kipp. Es geht also auch um Ordnung und Organisation.
In der Hortgruppe versuchen die Mitarbeitenden, den Kindern den Druck zu nehmen, trotz wenig Geld Dinge haben zu wollen, "weil angeblich alle sie haben". Bei Nachfrage zu den Pokemon-Karten beispielsweise habe sich herausgestellt, dass es tatsächlich nur zwei von 25 waren. Es geht auch anders. "Die Jungen spielen das mit Lego", freut sich Alexander Kipp: "Das haben die selbst entdeckt und sind dabei total kreativ."
Sie sind auch "wahnsinnig tolerant", beobachtet der Kita-Leiter. Da werde nicht gelacht, wenn Kleidung nicht passt oder kaputt ist. "Ich habe nicht erlebt, dass Kinder innerhalb der Einrichtung Ausgrenzung erfahren", sagt Kipp. Das Team versucht, ihnen bewusst zu machen, "dass jeder Mensch in seinem Leben Hilfe braucht".
Und die Kinder in der Hortgruppe brauchen etwas mehr davon, als in der Offenen Ganztagsgrundschule (OGS) angeboten werden könnte. Neben einer Vollzeit- und zwei Teilzeitkräften steht den 25 Grundschülerinnnen und -schülern noch eine weitere Mitarbeiterin für die spezielle Förderung zur Verfügung. Individueller kann damit auf die Bedürfnisse eingegangen werden, sind Förderung und Kleinstgruppenarbeit möglich. "Das wird vom Team aktiv verfolgt", erläutert Alexander Kipp. Mit der OGS gebe es einen engen Austausch, und es werde regelmäßig geschaut, welches der beiden Angebote für das jeweilige Kind besser passen könnte.
Was das alte Gebäude angeht, sind die Rahmenbedingungen für das Team nicht ideal. Es spiegelt die Armut des Stadtteils wider. Den Kindern macht das nichts aus, aber Alexander Kipp freut sich auf den großzügigeren Neubau, der noch in diesem Jahr bezogen werden soll. Gleich nebenan wird gerade die Bodenplatte dafür vorbereitet. Was die beständig zu dünne Personaldecke angeht, müsste die Landespolitik bessere Rahmenbedingungen schaffen.
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