Chance für Schulverweigerer
Pädagogische Mitarbeiterin Anne Mostert (l.) und Christian Siebertz, pädagogischer Leiter des Sozialwerks Dürener Christen, vor dem lern.punkt in der Dürener InnenstadtFoto: Christian Heidrich/DiCV Aachen
Bildung ist vor allem Beziehungsarbeit", sagt Tobias Stang. Er ist pädagogischer Leiter des lern.punkt, eines außerschulischen Lernortes in Trägerschaft des Sozialwerks Dürener Christen in der Dürener Innenstadt. Was das bedeutet, erlebt er jeden Tag. Die Schülerinnen und Schüler, die im umgebauten Ladenlokal eines früheren Autozubehörhandels an der Hohenzollernstraße unterrichtet werden, sind Schulverweigerer. Tobias Stang weiß, dass sich hinter diesem Begriff viele Probleme verbergen. "Jugendliche werden aus unterschiedlichsten Gründen zu Schulverweigerern. Wir möchten mit ihnen wieder Perspektiven entwickeln, damit sie die Schule abschließen", sagt er.
Die jungen Leute kommen mit einem Sack voll Problemen. Die reichen von Ärger mit Mitschülern an der früheren Schule bis hin zu starken psychischen Problemen. Sie sind so massiv, dass an eine Beschulung an einer Regelschule nicht zu denken ist. Das Selbstvertrauen der Jugendlichen ist angeknackst, ihre Zukunftsaussichten empfinden sie als düster. "Dass es gelingt, mit intensiver pädagogischer Arbeit jungen Leuten Perspektiven aufzuzeigen, macht unser Team sehr zufrieden", sagt Stang. Sieben pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begleiten die derzeit 23 Jugendlichen in ihrem schulischen Alltag. 25 Plätze bietet der lern.punkt. Der tatsächliche Bedarf ist weit höher. Die Einrichtung, die vor acht Jahren auf Initiative des Sozialwerks Dürener Christen entstand, wird finanziert aus Mitteln der Jugendämter des Kreises und der Stadt Düren.
Praktikum für jeden Jugendlichen
Der lern.punkt bietet ein anderes Umfeld als Schule. Das erkennt man schon daran, wie er eingerichtet ist. Er erinnert eher an Jugendtreff als an Schule. Auf dem Flur ist eine kleine Teeküche, daneben steht ein Kicker: Treffpunkte im Lernalltag. Stünde nicht draußen an den großen Fenstern der Schriftzug der Einrichtung - als Bildungseinrichtung würden Passanten diese wohl kaum wahrnehmen.
Tobias Stang ist pädagogischer Leiter des lern.punkt, wo Jugendliche zwischen 14 und 18 den Hauptschulabschluss machen können.Foto: Christian Heidrich/DiCV Aachen
Das Konzept, das der lern.punkt umsetzt, ist anders als das von Schulen. "Es sieht für jeden Jugendlichen ein Praktikum vor", sagt die pädagogische Mitarbeiterin Anne Mostert. Der Einrichtung ist es wichtig, dass die jungen Leute möglichst nah am beruflichen Alltag betreut werden. Wer sie besucht, ist nur drei Tage in der Woche zum Unterricht hier. An zwei Tagen steht Praktikum auf dem Stundenplan. Da sind die Jugendlichen in Unternehmen oder Institutionen in der Umgebung unterwegs. Und wer keinen Praktikumsplatz bekommt, dem kann das Sozialwerk Dürener Christen einen Platz in einem der verschiedenen Berufe vermitteln, in denen es ausbildet. Das Angebot reicht vom Friseur über Büromanagement und Floristik bis hin zum Gärtner und Maler. "Früher wollten alle zum Praktikum ins Kraftfahrzeuggewerbe. Zurzeit sind viele der jungen Leute in Schreinerbetrieben im Praktikum, in der Floristik, als Maler und Lackierer. Einer macht sogar sein Praktikum in einer Fleischerei", sagt Christian Siebertz, pädagogischer Leiter des Sozialwerks Dürener Christen.
Und an den Tagen, an denen Unterricht auf dem Stundenplan steht, kommen die jungen Leute in den lern.punkt. Große Klassenräume gibt es dort nicht. Nicht mehr als zehn Jugendliche lernen in einer Klasse, betreut von mindestens einer Lehrkraft. Das Lehrpersonal kommt von der Partnerschule des lern-punkt, der Städtischen Gemeinschafts-Hauptschule Burgauer Allee in Düren. Die Lerninhalte unterscheiden sich nicht von denen der Hauptschule. Jugendliche, die im lern.punkt den Hauptschulabschluss nach Klasse 9 oder nach Klasse 10 machen, schreiben die zentralen Abschlussprüfungen wie an jeder anderen Hauptschule auch. Neben den Lehrkräften begleiten die pädagogischen Fachkräfte den Unterricht, arbeiten mit Schülern, die sich mit dem Stoff schwertun. "So haben wir die Gelegenheit, in Einzelbetreuung noch einmal die Dinge zu erklären, die nicht verstanden worden sind", sagt Anne Mostert. Auch über Probleme, die die Jugendlichen haben, kommen die pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Gespräch. Einige haben familiäre Schwierigkeiten, andere haben Ärger mit der Polizei. Anne Mostert ist überzeugt, dass die enge Betreuung der Jugendlichen sich auszahlt: "Diejenigen, die regelmäßig hierhinkommen, machen den Abschluss. Abbrüche sind selten." Absolvierende gehen entweder weiter zur Schule oder schließen an den Hauptschulabschluss eine Lehre an.
Auf dem Klo war das beste WLAN
Individuell auf Fragen und Probleme der Schüler einzugehen ist Teil des Konzeptes des lern.punkt in Düren.Foto: Christian Heidrich/DiCV Aachen
Dass sowohl die Lehrkräfte als auch die pädagogischen Mitarbeitenden in den Zeiten des Corona-Lockdowns den Kontakt zu den Jugendlichen gehalten haben, ist für Christian Siebertz ein wesentlicher Grund, dass die jungen Leute in dieser Zeit nicht abgetaucht sind. "Alle sind bei der Stange geblieben, auch wenn es mit dem Distanzlernen nicht einfach war", sagt Siebertz. Alle Jugendlichen hatten die technische Ausstattung. Das Sozialwerk Dürener Christen stellte iPads zur Verfügung, damit die jungen Leute dem Online-Unterricht folgen konnten. Doch einige hätten große Probleme mit dem WLAN-Empfang gehabt. "Einer saß immer auf dem Klo, wenn er im Online-Unterricht war, weil er dort den besten Empfang hatte", erinnert sich Anne Mostert. Einigen Jugendlichen habe der Distanzunterricht sogar gutgetan. "Eine Schülerin, die sich in Gruppen schwertut, fand den Online-Unterricht gut, weil sie ihm von zu Hause aus folgen konnte." Auch wurden kleine Online-Lerngruppen gebildet, um möglichst individuell auf die Schüler einzugehen.
Trotzdem ist die 18-jährige Meltem*, die ihr Praktikum in einer Bäckerei macht, froh, dass es keinen Distanzunterricht mehr gibt. Der Kontakt zu den Mitschülerinnen und Mitschülern, aber auch zu den Lehrkräften und den Pädagogen habe ihr gefehlt. "Zwar gab es auch Telefonsprechstunden, in denen wir über Probleme reden konnten, aber nichts geht über direkte Gespräche", sagt sie. Präsenzunterricht findet auch der 17-jährige Yasin* besser als Online-Unterricht, wenn er auch dem Distanzlernen einen entscheidenden Vorteil abgewinnen kann: "Das war alles sehr entspannt, vor allem musste ich nicht so früh aufstehen", sagt er.
"Der lern.punkt ist so viel mehr als bloßer Unterricht", sagt Anne Mostert. Das, so glaubt sie, empfinden auch die jungen Leute so. Viele loben das Team, schätzen es sehr, dass Lehrer und Pädagogen alles daransetzen, eine Beziehung zu den Jugendlichen aufzubauen. "Ich glaube, die fühlen sich hier richtig angenommen", sagt Anne Mostert. Vielleicht ist das der Grund, warum einige der jungen Leute noch lange nach dem Unterricht im lern.punkt bleiben.
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