Unbequem, aber lohnend?
Es gibt Widersprüche, die sich tief ins kollektive Gedächtnis eingraben: zum Beispiel ein 400-PS-Maserati als Dienstwagen des Geschäftsführers eines gemeinnützigen Vereins der Obdachlosenhilfe in Berlin. Auch nach über zehn Jahren geistert dieses Beispiel von Raffgier und Selbstbedienungsmentalität durch die Öffentlichkeit, vor allem wenn es um neue Affären und Skandale in der Welt der steuerrechtlich privilegierten Wohlfahrtspflege geht: um exorbitante Vorstandsgehälter, um Verflechtungen in die Politik, um dubiose Tochterunternehmen. Man sollte meinen, dass das Thema Transparenz ganz oben auf der Agenda der Freien Wohlfahrtspflege steht. Die Realität ist komplizierter.
Ob Zufall oder nicht: Immerhin nahm auch im Jahr 2010 das Thema Transparenz im gemeinnützigen Sektor Fahrt auf. Erstmals legten Caritas und Diakonie Transparenzstandards vor, die den Mitgliedsträgern zur Umsetzung empfohlen wurden. Die Begründung: Transparenz entspreche nicht nur dem eigenen theologisch-ethischen Selbstverständnis, sondern auch dem berechtigten Interesse aller, die finanzielle Mittel bereitstellten: staatliche Geldgeber, Sozialversicherungsträger, Kirchen, zivilgesellschaftliche Organisationen, Kreditinstitute oder Spender. Eine weitere Begründung zielt auf die gesellschaftliche Legitimation des gemeinnützigen Sektors: In der Öffentlichkeit, in Politik und Zivilgesellschaft, wird heute sehr kritisch hinterfragt: Wofür werden Steuergelder eingesetzt? Und: Wie zeitgemäß sind die bisherigen Strukturen des Sozialstaats und der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland?
In der Tat ist Gemeinnützigkeit hinter den Kulissen unter Druck geraten. Einer Organisation wie Attac wurde aufgrund ihrer politischen Arbeit die Gemeinnützigkeit aberkannt, eine entsprechende Klage hat das Hessische Finanzgericht am 26. Februar 2020 abgewiesen. Umgekehrt gibt es Vorstöße des Staates, die es gemeinnützigen Organisationen erleichtern sollen, selbst aus der Gemeinnützigkeit auszusteigen, weil sie sich beispielsweise privatgewerblich und damit renditeorientiert aufstellen möchten. Bislang ist dies ein kompliziertes Verfahren. Eine geplante unbürokratische Ausstiegspauschale konnte im Jahressteuergesetz 2020 dank Intervention der Freien Wohlfahrtspflege noch einmal verhindert werden. "Gemeinnützigkeit ist ein hohes Gut, und die Freie Wohlfahrtspflege ist besorgt, dass bei einem erleichterten Ausstieg aus der Gemeinnützigkeit das berechtigte Interesse der Allgemeinheit, aber auch von Spenderinnen und Spendern an einer dauerhaften gemeinnützigkeitsrechtlichen Vermögensanbindung verletzt wird", betont Hans Jörg Millies, Finanz- und Personalvorstand des Deutschen Caritasverbandes.
Transparenz geht im gemeinnützigen Bereich also deutlich über herkömmliche Begründungen wie Glaubwürdigkeit und Profilstärkung hinaus. "Es reicht heute nicht mehr, ‚gemeinnützig‘ auf dem Etikett stehen zu haben, man muss diesen Nutzen für die Gesellschaft auch erklären", sagt Christopher Bangert, Referatsleiter Sozialwirtschaft beim Deutschen Caritasverband. Die Transparenzstandards von Caritas und Diakonie gehen daher bewusst über Basisangaben in den Bereichen Struktur und Finanzen hinaus, zielen auf "weiche Faktoren" wie Wirksamkeit und Qualität der Arbeit.
1400 Organisationen nutzen das ITZ-Siegel - es könnten mehr sein
Welcher Träger diese Standards umsetzt, ist zahlenmäßig kaum zu fassen. Anhaltspunkte bietet die Initiative Transparente Zivilgesellschaft (ITZ), deren standardisierte Transparenzkriterien im Wesentlichen denen von Caritas und Diakonie entsprechen. Seit 2010 ist die ITZ unter www.transparency.de das führende Transparenzportal für Organisationen aus dem gemeinnützigen Bereich. Diese müssen sich zur Einhaltung der vorgegebenen Kriterien formal verpflichten, um das ITZ-Logo auf ihrer Homepage zu nutzen. Aktuell sind dies mehr als 1400 Organisationen. Angesichts von mehr als 6200 angeschlossenen Rechtsträgern allein im Bereich des Deutschen Caritasverbandes ist hier also noch Luft nach oben. Die ITZ selbst sieht in den eigenen Informationskriterien Vor- und Nachteile. Die Angaben könnten nur den Rahmen für grundlegende Transparenz in gemeinnützigen Organisationen bilden. Die ITZ bzw. die Verwendung des Logos garantiere nicht die Richtigkeit der von der Organisation gemachten Angaben, sondern lediglich - und auch nur, soweit dies von außen möglich sei -, dass die Angaben im Sinne der Selbstverpflichtung vollständig seien.
Dennoch: Die Selbstverpflichtung zur Transparenz nach Caritas-/Diakonie- bzw. ITZ-Standards kann ein erster Schritt sein - der jedoch häufig noch gescheut wird. "Transparenz kann auch unbequem sein", weiß die Paderborner Diözesan-Caritasdirektorin Esther van Bebber. Manche Träger fürchteten bei maximaler finanzieller Offenheit Wettbewerbsnachteile. Vor allem aber könne Transparenz in einzelnen Verhandlungen mit Kostenträgern nachteilig sein, weil einem mit Verweis auf Jahresabschluss bzw. Bilanz des Trägers insgesamt Mittel verwehrt würden. Van Bebber: "Das ist besonders ärgerlich, wenn Träger zukunftsorientiert und erfolgreich wirtschaften, um für Krisenzeiten wie aktuell gerüstet zu sein oder auch um Spielräume für neue Projekte zu haben." Ist der Ehrliche also der Dumme?
Keine Augenhöhe mit den Kostenträgern
Christian Stockmann, sozialfachlicher Vorstand des Caritasverbandes Arnsberg-Sundern, sieht den Knackpunkt im Verhältnis zwischen Kostenträgern und gemeinnützigen Trägern. Es ist ein Verhältnis, das in vielen Fällen immer noch von einer festen Rollenaufteilung geprägt ist: hier Bittsteller, dort Kontrolleur. Doch eigentlich müssten beide - auf Augenhöhe - in die gleiche Richtung blicken. Stockmann: "Diese Augenhöhe findet derzeit zum Beispiel in den Gesprächen mit den Kostenträgern nicht statt! Von daher scheuen auch viele Träger davor zurück, transparent die Tätigkeit darzustellen." Es gehe nicht darum, recht oder unrecht zu haben oder sich mit irgendwelchen Machtfragen durchzusetzen, sondern darum, gemeinsam daran zu arbeiten, positiv fürs Gemeinwohl zu wirken.
Stockmann ist mit seinem Verband beim Thema Transparenz in die Offensive gegangen. Als einer der ersten Caritasverbände hat er einen Jahresbericht nach den Standards der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) vorgelegt, gleichsam als nächste Stufe auf der Transparenzleiter. Der übliche Transparenzbericht bewege sich stark auf der Struktur- und Organisationsebene. "Ein GWÖ-Bericht wirft den Blick auf die Wirkung der Tätigkeit im Gemeinwesen." Den Nutzen für die Gesellschaft erklären, das kann unbequem sein und viel Arbeit machen - doch für Christian Stockmann lohnt sich dieser Aufwand.