Back to the roots – into the future
Im Advent und im Sommer gehen Sammlerinnen und Sammler von Caritas und Diakonie in NRW von Tür zu Tür. Denn Armut und Not gibt es auch in unserer Nachbarschaft, Menschen, die durch das soziale Netz fallen. Jeder Besuch schlägt Brücken und setzt Zeichen für Herz und Mut. | www.wirsammeln.de
Wenn mich jemand vor meinem Diensteintritt gefragt hätte, ob ich die Caritas als Spenden sammelnde Organisation definieren würde, ich hätte, ohne zu zögern, "Ja" gesagt. Mein Bild der Caritas war stark geprägt durch die ehrenamtlichen Sammlerinnen und Sammler in den Gemeinden und die breit gestreuten Spendenaufrufe von Caritas international. Natürlich wusste ich um die Aufgaben der Freien Wohlfahrtspflege als Säule unseres Sozialstaates und um das zugrunde liegende Prinzip der Subsidiarität. Ich musste dann entgegen meinem ursprünglichen Caritasbild erkennen, dass vor dem Hintergrund der Erfüllung sozialstaatlicher Aufgaben und deren Finanzierung durch staatliche Mittel die Einwerbung von Spendengeldern bei der Caritas, auf das große Ganze bezogen, kaum noch eine Rolle spielt. Im Vergleich zu anderen Nichtregierungsorganisationen sammelt die Caritas eher wenig. Der Anteil von Spendengeldern an der Gesamtfinanzierung ist gering, und Spendengelder haben für das Gros der Dienste und Aufgaben wenig Bedeutung. So hat eine stichprobenartige Abfrage bei einzelnen Verbänden ergeben, dass Spenden zwischen 0,2 Prozent und maximal 3,0 Prozent der Gesamthaushalte ausmachen. Folglich werden auch über die sozialstaatlichen Aufgaben hinausgehende Projekte weniger aus Spendengeldern, sondern eher aus institutionellen Fördermitteln, Eigenmitteln und kirchlichen Mitteln finanziert.
Eine Ausnahme bildet neben Caritas international insbesondere der ehrenamtliche Bereich mit Quartiersarbeit, Kleiderkammern und Suppenküchen. Und auch die armutsorientierten Dienste und Angebote der Verbände wie allgemeine Sozialberatung, Schuldnerberatung und Einzelfallhilfen sind zumeist nicht komplett durch staatliche Gelder gegenfinanziert, ohne Spenden kaum denkbar und heben die Caritas deutlich ab von anderen Wohlfahrtsverbänden.
Grundhaltung für ein "Mehr"
Caritas ist aus ihrem Selbstverständnis heraus mehr als eine Organisation zur Erfüllung staatlicher Aufgaben. Sie ist eine Grundhaltung gegenüber Menschen, besonders gegenüber Menschen in Not, und folgt in ihrer Arbeit der Weisung und dem Beispiel Jesu. Um dieses "Mehr" zu finanzieren, rückt wieder stärker Fundraising oder das Einwerben von Spendengeldern in den Fokus, vor allem vor dem Hintergrund sinkender Kirchensteuermittel und deutlich abnehmender Kapitalerträge.
Die Errichtung von ersten Caritas-Stiftungen vor rund 20 Jahren markiert den Beginn einer Trendwende. Stiftungen beschränken sich im Wesentlichen auf die Akquise von Vermögen, um mit Zinserträgen soziale Projekte zu fördern. Das ist bei der heutigen Finanzmarktsituation schwieriger geworden. Der Vergleich mit spendenfinanzierten Organisationen mit oftmals weit weniger klangvollen Namen zeigt aber das große Zukunftspotenzial, das Fundraising für die Caritas hat. Die Marke "Caritas" ist wertvoll - auch unter Fundraising-Gesichtspunkten.
Ein wichtiger Schritt wäre es, moderne Fundraising-Instrumente für die gesamte Caritas-Familie einfach zugänglich und nutzbar zu machen: von Spenden via PayPal über QR-Codes bis hin zur notwendigen Social-Media-Einbindung. Auf diesem Wege können größere Zielgruppen erreicht, direkte Projektspenden ermöglicht und ganz nebenbei die Sichtbarkeit der einzelnen Projekte erhöht werden.
Neue Fundraising-Instrumente sollten auch Ehrenamtler der Caritas-Konferenzen bzw. der Gemeindecaritas nutzen, wenn die traditionellen Haussammlungen - gerade auch in Pandemiezeiten - nicht mehr ausreichend einbringen. Fundraising und Mitgliederwerbung lassen sich verknüpfen: Persönliche Mitglieder und aktive Ehrenamtler transportieren caritatives Selbstverständnis, machen unterstützenswürdige Projekte sichtbar und tragen direkt zur Einwerbung von Spenden und Anwerbung neuer Spender bei. Die Jahresbeiträge persönlicher Mitglieder - im Erzbistum Paderborn gibt es aktuell 18500 zahlende Mitglieder - sind als Einnahmequelle nicht zu unterschätzen. Das Ehrenamt ist also in vielfältiger Weise bedeutend für das bereits erwähnte "Mehr" in der caritativen Arbeit.
Fundraising ist wie ein Marathon
Eine weitere Säule kann auch die verstärkte Ein- und Anbindung von Unternehmen zum Beispiel als Fördermitglieder oder Förderkreis sein. Ein Pool von Fördermitgliedern ist deshalb so attraktiv, weil die Einnahmen planbarer sind, sofern an eine Fördermitgliedschaft eine regelmäßige Spendenzusage gekoppelt wird. Unternehmen sind oft wertvolle Partner, um in die Gesellschaft hineinzuwirken und die Sichtbarkeit unserer Arbeit zu erhöhen.
Die Caritas-Familie ist unterschiedlich aufgestellt. Viele Verbände und Gruppen, allen voran die Stiftungen, sind bereits sehr aktiv. Andere Organisationseinheiten befassen sich aber bislang noch gar nicht mit dem Thema, oftmals aufgrund von Kapazitätsgrenzen. Umso wichtiger ist es, Synergien zu ermöglichen, voneinander zu lernen und zu profitieren sowie gemeinsam neue Wege zu beschreiten.
Die Entwicklung von Fundraising-Konzepten und deren nachhaltige Umsetzung sind kein Sprint. Fundraising ist ein Marathon, der systematisch und geduldig angegangen werden sollte. Es muss aber auch nicht jeder das Rad selbst neu erfinden. Man wird gemeinsam daran arbeiten, das große Potenzial der Caritas auch im Bereich der Spendenakquise besser auszuschöpfen, um nachhaltig das "Mehr" der caritativen Arbeit gewährleisten zu können.