Caritas will Klimaschutz – ein Überblick
Was hat Caritas mit Klimaschutz zu tun? Warum kümmert sich jetzt auch noch die Caritas um dieses Modethema?
Wenn es um die Zukunft der Menschen in Deutschland und weltweit geht, dann steht für die verbandliche Caritas nach ihrem Selbstverständnis das Zielbild eines gelingenden Lebens für alle Menschen an vorderster Stelle. Die frohe Botschaft des Evangeliums erfordert nämlich schon hier und heute die Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation. Christliches Handeln bedeutet also Einsatz für alle, die von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen sind und in Zukunft betroffen sein werden.
Was lehrt denn die katholische Kirche zu dem Themenkomplex?
In seiner Sozial- und Umweltenzyklika "Laudato si’" (2015) hat Papst Franziskus genau diesen Zusammenhang zwischen Umweltschutz und sozialer Gerechtigkeitbetont: "Wir kommen jedoch heute nicht umhin anzuerkennen, dass ein wirklich ökologischer Ansatz sich immer in einen sozialen Ansatz verwandelt, der die Gerechtigkeit in die Umweltdiskussionen aufnehmen muss, um die Klage der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde" (LS 49). Soziales und Klimaschutz dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Tradition der Kirchen, sich auch im Umweltschutz zu engagieren, ist allerdings deutlich älter: Der konziliare Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung, den die Kirchen 1983 begonnen haben, hatte auch schon den Umweltschutz aufgegriffen. Trotzdem fordert Papst Franziskus ganz explizit eine "ökologische Umkehr", dazu gehöre, die eigenen Fehler und Nachlässigkeiten einzugestehen.
Wieso ist aktiver Klimaschutz denn auch Sozialpolitik?
Gerade ältere Menschen und einkommensschwache Personen sind jetzt schon direkt betroffen. So wohnen Einkommensärmere häufig in schlecht isolierten Wohnungen, die sich in heißen Sommern stark aufheizen und sich nachts nicht abkühlen. In dicht bebauten Stadtvierteln fehlen die für Abkühlung nötigen Frischluftschneisen. Ältere Menschen leiden stärker unter hohen Temperaturen als jüngere. Und es gibt sehr viele solcher Beispiele. Klimaschutz ist Gesundheitsschutz!
Was folgt aus dieser Analyse für die Arbeit der Caritas?
Die Caritas muss bewusst an der Schnittstelle von Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit ansetzen. Denn gerade an dieser Schnittstelle sind sozialpolitische Forderungen bislang selten. Die zu entwickeln, wird dem Anspruch der Caritas gerecht, sozialpolitische Akteurin und Anwältin für Benachteiligte zu sein. Die zentrale Frage auch im Hinblick auf die Bundestagswahl wird sein: Was müssen wir fordern, und wo müssen wir mitgestalten, damit ein Beitrag zur Verhinderung des Klimakollapses mit gleichwertigen Lebensverhältnissen und mehr Lebensqualität für alle einhergeht?
Warum reicht es nicht aus, an die Verantwortung der Menschen zu appellieren?
Weil man messen kann, dass besonders umweltbewusste Verbraucher sich zwar Bio-Lebensmittel leisten, ansonsten aber nicht sehr umweltbewusst leben. Forscher haben herausgefunden, dass der Energieverbrauch bei uns umso höher ist, je positiver die Umwelteinstellungen sind. Appelle und bloße Verhaltensanreize reichen nicht mehr aus, um sich den Klimazielen überhaupt nur zu nähern. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Der ökologische Fußabdruck, den die umweltbewusste und klimasensible Mittelschicht in Deutschland hinterlässt, ist um vieles größer als der ökologische Fußabdruck der ärmeren Menschen, obwohl die sich "Bio" oft nicht mal leisten können.
Was braucht es dann?
Klimaschutz lässt sich nur erreichen, wenn die Emission von Treibhausgasen reduziert wird. Dass vor allem CO2 einer der Hauptantreiber für den Klimawandel ist, ist wissenschaftlich unumstritten und wird nur noch von Verschwörungsmythikern diffamiert. Also muss man Treibhausgasemissionen teurer machen, um sie zu reduzieren. Daneben braucht es weitere klima- und sozial wirksame ökonomische Anreize, Förderungen und Beratungen, Änderungen am Steuerrecht sowie Ge- und Verbote, die sich am Ziel der Klimagerechtigkeit orientieren. Eine Klimapolitik, die überwiegend auf die Selbstverpflichtung von Wirtschaft und Industrie baut, nimmt die Notwendigkeiten in der Sozialpolitik nicht ernst. Es ist nicht gerecht, wenn ohnehin benachteiligte Gruppen in der Gesellschaft zu den Verlierern der Klimaschutzpolitik werden.
Was ist die "ökologische Wahrheit"?
Die Benennung der "ökologischen Wahrheit" von Verhaltensweisen und daraus entstehenden Produkten ist ein Instrument für bessere Wirkung von Klimapolitik. Bislang fließen die Folgekosten von klimaschädlichem Verhalten nicht in die Preise von (Konsum-)Gütern ein. Die Kosten trägt die Gesellschaft - und meist diejenigen, die am wenigsten zur Verursachung des Schadens beigetragen haben. Die "ökologische Wahrheit" benennt die Höhe von Subventionen für ganze Branchen und einzelne Produkte offen. Zur "ökologischen Wahrheit" gehört auch, dass die bisherige Bepreisung von Treibhausgasemissionen viel zu niedrig angesetzt ist, wenn nicht nur die unmittelbaren Folgen, sondern auch die vielfältigen Wechselwirkungen von Umweltschäden (z. B. das Aussterben von Arten) bedacht werden. Zur "ökologischen Wahrheit" gehört es aber auch, zu sagen, dass allein eine Internalisierung von Kosten in Produkte nicht der einzige Weg sein kann, denn er vernachlässigt die notwendigen strukturellen Veränderungen in Wirtschaft und Industrie.
Ein Beispiel?
Im deutschen Steuerrecht werden durch das Dienstwagenprivileg besonders umweltschädliche und teure Pkw mit jährlich 3,1 Mrd. Euro gefördert. 60 Prozent der Neuzulassungen in Deutschland betreffen gewerblich genutzte Autos, mehr als zwei Drittel der Neufahrzeuge mit über 200 PS werden an Unternehmen und Selbstständige ausgeliefert.
Eine Politik für mehr Klimaschutz würde zum Beispiel die Automobilindustrie treffen, eine solche Politik bräuchte starken Rückhalt in der Bevölkerung?
Ja! Und weil die Autoindustrie eine starke Lobby hat, wird sie von den Regierungsparteien meist mit Samthandschuhen angefasst. Aber es gibt auch Umfragen, die diese zögerliche Haltung der regierenden Parteien massiv infrage stellen:
Mehr als die Hälfte der Haushalte (56 Prozent) empfinden die Energiewende mittlerweile als ungerecht, nur 18 Prozent finden sie gerecht. Mehrheitlich wird die Energiewende als elitär eingestuft, nur wenige (14 Prozent) empfinden sie als bürgernah. Zwei Drittel der deutschen Haushalte (68 Prozent) sind mit der Energiewendepolitik der Bundesregierung unzufrieden. Die kritische Haltung ist in allen Alters-, Einkommens- und Bildungsgruppen zu finden. Das deutet auf ein Empfinden von sozialer Ungerechtigkeit UND mangelndem Mut hin.
Was müsste die Politik beispielsweise im Verkehr durchsetzen?
- Öffentlichen Nahverkehr ausbauen: Mind. 90 Prozent der Bevölkerung sollen innerhalb eines Kilometers stündlich zwischen 6 und 22 Uhr angebunden sein.
- Kostenlose ÖPNV-Tickets für Transferhilfeempfängerinnen und -empfänger und alle Menschen mit geringem Einkommen
- 365-Euro-Tickets für alle einführen
- Überregionalen Bahnverkehr ausbauen und Preise attraktiv gestalten
- Flugverkehr reduzieren: verbindliche CO2-Reduktionsziele einführen; innerdeutsche Kurzstreckenflüge verlagern; Dumpingpreise im Flugverkehr unterbinden; Luftverkehr in den europäischen Emissionshandel aufnehmen; alle Zertifikate versteigern; eine Kerosinsteuer einführen
- Klimaschädigende Subventionen im Verkehrssektor abschaffen
Und die internationale Dimension?
Die DCV-Kampagne "Globale Nachbarn" (2014) mit ihrem Slogan "Weit weg ist näher, als du denkst" hat eindrucksvoll vor Augen geführt, dass das (Konsum-)Verhalten und der Lebensstil in Deutschland Auswirkungen darauf haben, wie es Menschen in stark vom Klimawandel betroffenen Regionen der Welt geht. Wir sehen heute beispielsweise, dass Menschen in südlichen Ländern, die von zunehmend häufigeren Dürren betroffen sind, in den Slums der Großstädte landen - und ein kleiner Teil zieht weiter als Flüchtling nach Europa. So entsteht eine Armutskette mit Auswirkungen auch auf uns in Europa.
Wie glaubwürdig ist die Caritas in ihren Forderungen?
Die Caritas-Forderungen nach einer sozialen Ausgestaltung der Klimapolitik müssen gepaart sein mit einem sorgfältigen Blick auf die eigenen Hausaufgaben in Sachen Klimaschutz. Mit ihren über 25000 Diensten und Einrichtungen erzeugt auch die Caritas einen gewaltigen ökologischen Fußabdruck. Selbst handeln ist unabdingbar.
Wo kann die Caritas das Klima schützen?
Der Verband besitzt oder unterhält einen großen Bestand an Sozialimmobilien. Die lassen sich sanieren: Wärmedämmung, optimierter Energieverbrauch, Fassadenbegrünung sind Stichwörter für besseren Klimaschutz.
Sehr präsent für die Öffentlichkeit sind die Fahrzeuge der über 1000 Sozialstationen der Caritas. In vielen der über 4300 stationären Einrichtungen der Caritas in der Alten-, Behinderten-, Gesundheits- und Jugendhilfe werden Mahlzeiten zubereitet. Alles sind Ansatzpunkte für Maßnahmen zum Klimaschutz. Und jeder dieser Ansatzpunkte kann ein kleiner Hebel sein hin zu mehr Glaubwürdigkeit.
Wie kann die Caritas andere überzeugen?
Die Caritas als Ganzes hat über ihre mehr als 690000 Mitarbeitenden und zahlreichen Kontakte zu Klientinnen und Klienten eine nicht zu unterschätzende Ausstrahlungswirkung in die Gesellschaft. Wird eine Caritas-Einrichtung von ihren Mitarbeitenden als verantwortungsvoller und aktiver ökologischer Akteur erlebt, so wirkt sich dies positiv auf das eigene Image aus und kann Konsumgewohnheiten bei den Mitarbeitenden verändern. Über die Bildungsarbeit, die insbesondere in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, aber auch in den vielen Ausbildungsstätten der Caritas geleistet wird, lassen sich ebenfalls bewusstseinsbildende Akzente im Sinne des Klimaschutzes setzen.
Zusammengestellt von Markus Lahrmann
"Der Beitrag des Einzelnen ist wichtig, auch wenn er in der Dimension der Dramatik gering aussieht. Wichtige Bausteine sind im Kleinen umzusetzen, um nicht in die Lähmung zu verfallen, aber es braucht auch die große Perspektive."
Caritas-Präsident Peter Neher