Wege aus dem Pflegenotstand
Im Düsseldorfer Altenzentrum Herz Jesu schaut man noch immer etwas staunend auf diese Bilanz: Innerhalb von zwei Jahren hat sich die Anzahl der Auszubildenden mehr als verdreifacht - auf jetzt 28. Grund dafür: eine damals eher spontane Idee des Düsseldorfer Caritasverbandes und die Frage: Wie wäre es, wenn Ausbildungsinteressierte rund um die Uhr Hilfe und Informationen bekommen? "Bei Anruf Ausbildung" nennt sich die Aktion (siehe auch Bistumsteil Köln), in deren Mittelpunkt eine 24-Stunden-Hotline steht.
Jederzeit können sich Ausbildungswillige und am Pflegeberuf Interessierte Rat holen: Ist eine Ausbildung überhaupt das Richtige? Bietet sich ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) an? Sollte es erst mal ein Praktikum sein? "Wir gehen das Thema Personalakquise völlig neu an", sagt Rainer Schlaghecken, Referatsleiter Pflege der Caritas Düsseldorf. "Wir nehmen grundsätzlich erst einmal alle Interessierten auf und fördern sie im Laufe der Zeit entsprechend ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten."
Eine Herangehensweise, die sich bewährt: Vor Beginn der Aktion hatte das Altenzentrum Herz Jesu acht Auszubildende, heute sind es 28. Davon profitiert das gesamte Haus, das mit 180 Bewohnern die größte Altenpflegeeinrichtung der Caritas Düsseldorf ist. Allein 80 Mitarbeitende arbeiten in der Pflege, die Fachkraftquote liegt bei über 50 Prozent. Und die Aktion "Bei Anruf Ausbildung" hatte noch einen schönen Nebeneffekt: Es wurden auch solche Auszubildende gewonnen, die es gemeinhin schwerer haben auf dem Lehrstellenmarkt. Denn mehr als die Hälfte der neuen Auszubildenden haben einen Migrationshintergrund, drei kamen sogar als Geflüchtete nach Düsseldorf.
So wie Abu Traore, 25 Jahre alt, aus Guinea. Er kam 2013 nach Deutschland, um, wie er sagt, seinen "größten Wunsch, zur Schule zu gehen", zu verwirklichen. Nachdem er 2018 seinen Hauptschulabschluss gemacht hatte, begann er eine Ausbildung zum Altenpfleger. Seit vier Monaten ist er nun im Altenzentrum Herz Jesu und dankbar, dass sein Weg ihn hierhingeführt hat. Was er besonders schätzt: "Den ganz alltäglichen Umgang mit den Bewohnern. Das hilft mir, meine Deutschkenntnisse zu verbessern."
Die Hotline allein wäre natürlich nicht nachhaltig, im Herz-Jesu-Haus wird auch viel dafür getan, dass die Mitarbeitenden sich wohlfühlen. "Wir bieten familienfreundliche Arbeitszeiten an und gehen individuell auf die Mitarbeiterbedürfnisse ein", sagt Einrichtungsleiterin Wera Steffens, "sonst hätte die beste Aktion keinen Sinn.”
Gerade in der Pflege, so Steffens, würden viele Alleinerziehende arbeiten. "Wenn wir das nicht berücksichtigen in unserer Planung, verlieren wir die Menschen wieder." Grundvoraussetzung dafür sei eine offene und gute Kommunikation im Team. "Wenn Wünsche frühzeitig kommuniziert und Absprachen eingehalten werden, funktioniert das super im Arbeitsalltag."
Dass Mitarbeiterwohl und Mitarbeiterakquise Hand in Hand gehen müssen, weiß auch Ulrich Schwarz. Er leitet das Caritas-Altenzentrum St. Maternus in Köln-Rodenkirchen mit 37 Pflegekräften - darunter 30 Fachkräfte - und elf Auszubildenden. 2018 wurde die Einrichtung nach zweijähriger Umbauphase neu eröffnet, seitdem punktet sie mit moderner Ausstattung und neuer Raumaufteilung: Statt großer Wohnbereiche mit 30 Bewohnern gibt es nun kleine Hausgemeinschaften mit nicht mehr als 15 Personen. "Es gab da eine ganz klare Rückmeldung der Mitarbeitenden, dass sie kleinere und überschaubare Gruppen mit kürzeren Wegen bevorzugen", so der Einrichtungsleiter.
Mit internetfähigem TV, Tablets, sprachgesteuerten Assistenten wie Alexa und einer Station, an der Virtual-Reality-Brillen genutzt und in den Pflegealltag integriert werden können, ist die Einrichtung in Sachen Digitalisierung am Puls der Zeit - das, so Schwarz, wirke anziehend auf neue Mitarbeitende. Ganz zu schweigen von der Präsenz des Maternusheims auf Facebook. Tagtäglich wird gepostet: Back-Aktionen, Ausflüge oder Interviews mit den Mitarbeitenden. So zeigt die Einrichtung einer breiten Öffentlichkeit, was es bedeutet, in einer Pflegeeinrichtung zu leben und zu arbeiten. "Ich finde es wichtig, dass die Pflegekräfte selbst zu Wort kommen und der Heimalltag transparent dargestellt wird", meint Ulrich Schwarz.
Das Maternusheim füllt die Caritas-Kampagne 2019 "Sozial braucht digital" mit Leben. Vorteil: Wer überlegt, sich in der Einrichtung zu bewerben, kann sich in den sozialen Netzwerken vorher schon eingehend informieren. Es läuft so gut, dass Schwarz und seine Leute jetzt auch Instagram für sich entdeckt haben. Den Kanal teilen sich gleich mehrere Altenzentren der Kölner Caritas. Jedes Haus hat dafür eigene Redakteure ausgebildet, die Fotos und Texte hochladen. Die Botschaft dahinter ist deutlich: Pflege ist bunt - und macht Spaß.
Im Altenzentrum Elisabeth-von-Thüringen-Haus in Köln-Worringen trugen die Mitarbeitenden ihre Zufriedenheit mit ihrem Arbeitgeber unlängst buchstäblich auf die Straße. 36 Pflegekräfte arbeiten in dem Haus (Fachkraftquote: 56 Prozent), zusätzlich zwei Auszubildende. Einige von ihnen gingen raus auf die Straße und warben mit Infozetteln und Werbepostkarten für einen Job in der Altenpflege. In kürzester Zeit waren fünf vakante Stellen in der Pflege besetzt.
"Wenn die Pflegekräfte sich gehört fühlen und ihre Probleme ernst genommen werden, tragen sie ihre Zufriedenheit auch nach außen", schlussfolgert Einrichtungsleiterin Silke Joseph und überlegt, die Aktion zu wiederholen.
Und damit das neue Personal nicht direkt wieder abspringt, möchte das Haus seinen Mitarbeitenden den Arbeitsalltag erleichtern. So finden zum Beispiel regelmäßig Wohlfühltage statt - mit Massagen für das Personal.