Jungen Menschen neue Chancen geben
Experte für lange Haare: Giuseppe Sgarriglia ist sehr talentiert für den Friseurberuf.Cornelia Klaebe
Dass der 24-jährige Giuseppe Sgarriglia, der in fünf Monaten die Gesellenprüfung macht, es so weit schaffen würde, war noch vor wenigen Jahren undenkbar.Trotz seines großen Talents hatte der junge Mann seine erste Lehre abbrechen müssen. Grund dafür waren seine mangelnden Deutschkenntnisse, die Giuseppe in der Berufsschule Fünfen und Sechsen in fast allen Fächern einbrachten. Mit sechs Jahren war er mit seinen Eltern von Deutschland nach Italien gezogen und erst kurz vor dem Schulabschluss wieder zurückgekommen - Schriftdeutsch Fehlanzeige. Und damit keine Chance auf dem normalen deutschen Arbeitsmarkt.
Keine Chance gehabt hat auch Domenico Fava selbst - eigentlich. Auch er hatte seine erste Lehre abbrechen müssen. Damit sah es schlecht für ihn aus. "Aber auch ich wurde gefördert", erzählt der 31-Jährige. Er schaffte die Lehre im zweiten Anlauf, stieg bald schon zum Filialleiter auf, machte dann seinen Meister. Heute hat Domenico Fava einen eigenen Friseursalon mit sieben Mitarbeitern mitten in der Herforder Altstadt.
Hinter der Förderung der beiden Friseure steht der "Solidaritätsfonds Jugendarbeitslosigkeit", und hinter dem steht in vorderster Reihe Klaus Waldschmidt. Der 78-Jährige, der früher als Betriebswirt arbeitete, könnte genauso gut seinen Lebensabend auf Mallorca verbringen - aber davon hält er nichts: "So eine Spinnerei kommt mir gar nicht in den Sinn", sagt der Mann in rot kariertem Hemd, Strickweste und Krawatte. Im Gegenteil, Urlaub sei nur eingeschränkt möglich. "Meine Frau trägt das mit."
Es sind benachteiligte Jugendliche, die durch den Solidaritätsfonds eine neue Chance bekommen. Sie haben eine Lehre abgebrochen, kommen aus schwierigen Familienverhältnissen, haben einen Migrationshintergrund oder waren im Gefängnis. Oder sie haben eine Behinderung, eine Lernschwäche, Drogenerfahrung. "Auch wenn im Handwerk zurzeit nach Lehrlingen gesucht wird, bleiben diese Jugendlichen übrig", sagt Klaus Waldschmidt. Viele hätten bereits etliche Bewerbungen geschrieben, Praktika gemacht, sich sehr bemüht und dennoch keine Lehrstelle gefunden. Die steigende Jugendarbeitslosigkeit war 1984 der Grund, warum Waldschmidt mit vier anderen Katholiken den Solidaritätsfonds gründete. Bis heute leitet er ihn mit Unterstützung seiner Frau Helga.
Das Ehepaar investiert sehr viel Zeit: Klaus Waldschmidt unterhält sich mit sozial benachteiligten arbeitslosen Jugendlichen. Gemeinsam mit ihnen lotet er aus, was sie können und gern tun, überlegt einen passenden Beruf. "Wir sprechen Betriebe an, die eine soziale Ader haben und bereit sind, sich verstärkt um die jungen Leute zu kümmern", erklärt Waldschmidt. Darüber hinaus wirbt er Spendengelder ein. Helga Waldschmidt kümmert sich vor allem um Papierkram: Jahresbericht, Spendenbescheinigungen, Bankwesen.
Die Spendenbeträge fließen zusätzlich zu Mitteln aus der Treuhandstiftung "Solidaritätsfonds Jugendarbeitslosigkeit" unter dem Dach der CaritasStiftung für das Erzbistum Paderborn in das Projekt. Denn der Solidaritätsfonds übernimmt 60 bis 80 Prozent der Ausbildungskosten für jeden der jährlich zehn bis 15 vermittelten Jugendlichen. Diesen Anteil müssen die Betriebe also nicht selbst aufbringen.
"Ohne diese Hilfe hätte ich es mir nicht leisten können, Giuseppe einzustellen", erzählt Friseurmeister Fava. Er selbst hatte sich an Klaus Waldschmidt gewandt, als der junge Mann ihn nach der gescheiterten ersten Lehre um Hilfe gebeten hatte. Das Risiko für den Geschäftsinhaber wird minimiert, denn der geförderte Auszubildende läuft zusätzlich zum normalen Betrieb. "Nicht immer klappt es", weiß Fava aus Erfahrung, denn vor Giuseppe hat er schon andere benachteiligte Jugendliche als Lehrlinge angenommen. Dennoch gibt er gern die Hilfe weiter, die er selbst erfahren hat: "Es ist dieses Gefühl: Die könnten etwas erreichen, aber es hapert an den Möglichkeiten."
Drei Generationen: Klaus Waldschmidt (r.) hat mitgearbeitet am beruflichen Erfolg von Domenico Fava (l.) und seinem Auszubildenden Giuseppe Sgarriglia.Cornelia Klaebe
Wichtig ist auch die Begleitung der Jugendlichen während der Lehre. Immer mal wieder gibt es Kommunikationsprobleme zwischen Lehrherren und Auszubildenden. Manche rufen dann Klaus Waldschmidt zu Hilfe. Meist kann er vermitteln. "Das unterstreicht, dass Jung und Alt gut zusammenpassen", sagt der Ehrenamtliche lächelnd. Aber auch die Betriebe selbst sind gefordert. "Giuseppe wollte im Dezember 2013 wieder abbrechen, da habe ich ihm in den Hintern getreten", erinnert sich Lehrherr Fava. Ein halbes Jahr lang musste der italienischstämmige Lehrling an seinem freien Tag für zwei bis drei Stunden in den Betrieb kommen, um schreiben zu üben. Die Noten verbesserten sich beträchtlich, und Giuseppes Traum vom Gesellenbrief rückte wieder näher.
Erfolgsquote: 80 Prozent
Die Erfolgsquote der in Handwerk, Industrie und Handel vermittelten Jugendlichen ist hoch: "Etwa 80 Prozent bleiben bei der Stange", berichtet Waldschmidt. Mittlerweile gelte er als Geheimtipp: "Geh mal zum Herrn Waldschmidt", heiße es immer wieder. Für sein Engagement wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz und dem Päpstlichen Silvester-Orden. "Das hat sich so ergeben, das war nicht mein Ziel", sagt der Herforder. Aber die Auszeichnungen helfen, den Spendern Vertrauen zu vermitteln in die Redlichkeit des Projekts. Auch der Status als kirchliche Treuhandstiftung unter dem Dach der CaritasStiftung trage dazu bei. Dieser biete gleichzeitig auch steuerliche Vorteile und erspare Verwaltungsaufwand, betont Waldschmidt.
Wenn Giuseppe Sgarriglia in einem knappen halben Jahr die Lehre abschließt, will Domenico Fava ihn übernehmen. "Er ist fachlich top und arbeitet schon zu 100 Prozent mit", berichtet der Geschäftsinhaber. Zeugnisse hätten nicht immer viel zu sagen, auch wenn Sprachkenntnisse natürlich unabdingbar seien. Giuseppe ist hoch motiviert: "Ich werde die Prüfung schaffen, weil ich das möchte." Und er freut sich darauf, weiter als Friseur arbeiten zu können: "Die Menschen und ihre Zufriedenheit, die machen mir am meisten Spaß." Die erfahrene Unterstützung hat er dabei nicht vergessen: "Ohne Domenico und Herrn Waldschmidt hätte ich es nicht geschafft. Wenn es solche Menschen nicht gäbe, hätten jüngere Generationen keine Chance."
Cornelia Klaebe