Ehrenamtliche vermitteln den Flüchtlingen Sicherheit
Diplom-Psychologin Elisabeth Montag arbeitet als ausgebildete Familien- und Traumatherapeutin mit kurzzeittherapeutischen systemischen Methoden beim Caritasverband für den Kreis Lippe und die Stadt Bad Pyrmont.
KNA: Gewalt und Verlust, Hunger und Kälte - Menschen auf der Flucht erleben viel Elend. Wann wird eine psychische Belastung zum Trauma?
Elisabeth Montag: Wenn ein Ereignis als so bedrohlich wahrgenommen wird, dass der Organismus nicht mehr das Gefühl hat, dass er das bewältigen kann. Das kann bei Flüchtlingen der Fall sein, wenn sie in ihrem Heimatland verfolgt wurden, Gefängniserfahrungen haben oder Folter erlebt haben. Auch Vorfälle auf der Flucht können Traumata hervorrufen, Gewalterlebnisse etwa oder wenn Familienmitglieder verloren gehen.
KNA: Und wenn die Flüchtlinge in Deutschland ankommen, wirken die traumatischen Erfahrungen nach?
Elisabeth Montag: In der Bedrohungssituation selbst funktioniert das Gehirn wie ein Schutzwall. Es erstarrt und schützt Betroffene vor dem Miterleben des schrecklichen Augenblicks. Aber diese Lähmung erschwert eine geordnete Verarbeitung des Ereignisses. Das kann dann hinterher zu posttraumatischen Belastungsstörungen führen.
KNA: Wie viele der Flüchtlinge, die zu uns kommen, sind denn traumatisiert?
Elisabeth Montag: Man sagt, dass 40 Prozent der geflüchteten Personen traumatisierende Erfahrungen gemacht haben. Aber nicht immer folgt daraus eine posttraumatische Belastungsstörung. Unser Gehirn hat sehr starke Selbstheilungskräfte, um funktional zu arbeiten und unser Leben fortsetzen zu können. Von einer posttraumatischen Belastungsstörung kann man frühestens drei Monate nach dem Trauma sprechen.
KNA: Wie können Ehrenamtliche traumatisierte Flüchtlinge unterstützen?
Elisabeth Montag: Für die Flüchtlinge ist der Kontakt zu Ehrenamtlichen wahnsinnig wichtig. Sie brauchen freundliche Menschen, die ihnen signalisieren: "Hier seid ihr sicher." Dazu tragen gemeinsame Aktionen bei, wenn zum Beispiel ein Haus gemeinsam angestrichen wird, wenn alle bei Festen mitanpacken. Das Schlimmste ist ja, dass Flüchtlinge oft zum Nichtstun verdonnert sind. Sie müssen immer warten, warten, warten. Die Untätigkeit in den Unterkünften ist belastend.
KNA: Wie äußert sich eine posttraumatische Belastungsstörung?
Elisabeth Montag: Die Symptome sind ganz unterschiedlich. Das können unerklärliche Kopf- und Magenschmerzen oder starkes Zittern sein. Auf der psychischen Ebene können sich Depressionen entwickeln oder Erinnerungsblitze auftreten, die mit der traumatischen Situation zusammenhängen. Wenn ein Flüchtling von einer Person in roter Kleidung tödlich bedroht wurde, dann kann das Opfer einen tiefen Schrecken bekommen, wenn es dieses Rot wiedersieht. Dann durchlebt es die damalige Bedrohung mit allen Gefühlen noch einmal. Das nennt man Flashback.
KNA: Müssen ehrenamtliche Helfer Angst davor haben, dass eine solche Situation aus dem Ruder läuft?
Elisabeth Montag: Nein. Bei einem solchen Flashback wird die Person wieder in die Erstarrung zurückversetzt, die sie in der damaligen traumatischen Situation gefühlt hat. Der Betroffene fällt in dem Moment eigentlich nur dadurch auf, dass er am umliegenden Geschehen keinen Anteil mehr nimmt. Es kann natürlich sein, dass er aufsteht und aus dem Raum rausmuss, weil er Angstzustände kriegt. Aber man muss nicht befürchten, dass eine Angriffssituation entsteht. In der Traumasituation haben die Personen erlebt, dass sie völlig hilflos sind. In dieser Hilflosigkeit sind sie auch im Moment der blitzartigen Erinnerung.
KNA: Psychotherapeutische Hilfen anzunehmen ist für Flüchtlinge sicher nicht leicht ...
Elisabeth Montag: Es ist schwierig, überhaupt zu erkennen, dass man professionelle Hilfe braucht. Auch für uns. Wer sagt denn schon: "Ich ticke nicht richtig"? Bei Flüchtlingen kommt hinzu, dass sie die psychotherapeutischen Angebote noch weniger kennen als wir. Von daher ist es so wichtig, dass Ehrenamtliche Betroffene begleiten und sagen: "Komm, lass uns das doch einfach mal versuchen." Oder dass die freiwilligen Helfer einen Hausarzt einschalten, der dem Patienten erst mal ein Medikament geben kann, um das aufgeregte Nervensystem ein Stückchen zu beruhigen. Der nächste Schritt könnte sein, eine Traumatherapie zu verordnen.
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KNA: Ein Problem ist sicher auch, dass die freiwilligen Helfer zum Teil inzwischen selbst seelisch belastet sind ...
Elisabeth Montag: Deswegen brauchen wir hinter den Ehrenamtlichen ein Netz von Fachleuten, das die Helfer bei Bedarf begleitet. In den Caritas-Schulungen weise ich die Freiwilligen immer darauf hin, dass es Sekundärtraumatisierungen geben kann. Wer zu einem traumatischen Ereignis dazugerufen wird, dessen Gehirn kann mit all den schweren Umständen dieses Ereignisses belastet werden. Auch wenn man selbst gar nicht dabei war, fühlt man die Situation eventuell nach. Eine Helferin hat mir erzählt, dass sie nachts nicht mehr schlafen kann, seitdem sie diese Bilder von dem Gehörten im Kopf hat.
KNA: Wie befreit man sich von diesen Bildern?
Elisabeth Montag: Wenn es uns gut geht und wir gut aufgestellt sind, kann man davon ausgehen, dass die Bilder wieder verflachen und dass man aus den Emotionen rauskommt. Das kann schon mal ein paar Tage dauern. Manchmal müssen Helfer auch Abstand nehmen. Wer eine Familie begleitet und merkt, dass die nötige Distanz fehlt, kann es hilfreich finden, sich Unterstützung von außen zu holen. Das kann Supervision sein, wie das im hauptamtlichen Bereich der Fall ist. Es kann aber auch sein, dass ein anderer Ehrenamtlicher die Familie weiterbetreut. Schade wäre es, wenn ein Freiwilliger aus Frustration oder Überlastung aufgibt.
RTL-Moderatorin Nazan Eckes und Schriftsteller Navid KermaniMarianne Jürgens
Service
"Danke" für 30 Jahre Therapiezentrum für Folteropfer
in Köln
Der Schriftsteller Navid Kermani und RTL-Moderatorin Nazan Eckes zählen zu den Unterstützern des Kölner Therapiezentrums für Folteropfer. 1985 wurde es als bundesweit erste Einrichtung dieser Art für schwersttraumatisierte Flüchtlinge gegründet und feierte jüngst 30-jähriges Jubiläum. Dabei ist die Hilfe für traumatisierte Menschen nötiger denn je.
40 Prozent der Flüchtlinge, die Deutschland erreichen, gelten als traumatisiert. Rund 1000 von ihnen kann das Therapiezentrum im Jahr helfen. Finanziert werden immer noch lediglich die Basiskosten wie Mietanteile und die Sozialarbeit durch das Erzbistum Köln. Für die therapeutische Arbeit ist die Einrichtung auf Projekt- und Stiftungsmittel sowie Spenden angewiesen. "Die extreme Ungleichheit zwischen Arm und Reich, zwischen Krieg und Frieden, die Ungleichheit auf engstem Raum wird nicht mehr aufrechtzuerhalten sein, dazu trägt der Flüchtlingsstrom bei", warnte Kermani. Ausdrücklich dankte er Initiatoren, Geldgebern und dem Team des Therapiezentrums.
Hier geht es zur Informationsseite des Therapiezentrums. Die Langfassung des Beitrages ist in der Caritas Konkret, Ausgabe 2/2015 zu finden.