"Wir geben Salat"
Fragen, denen sich Mitarbeiter von Tafeln und Verantwortliche aus Caritasverbänden auf einer Fachtagung in Krefeld stellten.
"Hilfen zwischen Sozialstaat und Barmherzigkeit" lautete der Titel der Fachtagung - und dieser Halbsatz "zwischen Sozialstaat und Barmherzigkeit" durchzieht schon seit einigen Jahren die Diskussionen in der Caritas in NRW. Zwei Positionspapiere und eine wissenschaftliche Befragung und Untersuchung hat es gegeben. Man weiß viel, hat viele Argumente ausgetauscht, aber es fehlt in den Verbänden an einer konsequenten Haltung. Da steht auf der einen Seite die politische Forderung: Unser Staat muss für ein gerechtes Maß an Unterstützung und Teilhabe auch für die Bedürftigen, Armen, Schwachen sorgen. Er, der Sozialstaat, darf sich nicht verlassen auf private Wohltätigkeit, darf nicht kalkulieren mit den möglichst billig zu entsorgenden Überschüssen einer clever gemanagten Lebensmittel-Industrie. Also: Tafeln abschaffen, politisch Druck machen?
Auf der anderen Seite steht die christliche Forderung an jeden Einzelnen: Sei barmherzig! Die kirchliche Tradition der Barmherzigkeit war jahrhundertelang eine Triebfeder auf dem Weg zu einer - heute würde man sagen - inklusiven Gesellschaft. Wenn der Staat es nicht schafft, die materielle Armut zu vermeiden, müssen wir Christen Not sehen und handeln.
Doch wie ist das bei unseren Ehrenamtlichen in den Warenkörben und Tafeln? Wie reagieren sie auf die Menschen, die anders riechen, anders aussehen, anders leben, aber zu uns kommen, weil sie bedürftig sind? Wollen wir wirklich mit ihnen zu tun haben, in Beziehung treten oder sie einfach nur abspeisen? Ist die Theke in unseren Räumen eine Schranke? Markieren wir ein Machtverhältnis, um uns abzugrenzen? Geben wir Salat oder auch Freundschaft? Nur wenn die Bedürftigkeit nachgewiesen ist? Warum kaufen Tafeln mit gespendetem Geld Lebensmittel ein, anstatt das Geld direkt den Bedürftigen zu geben, damit diese selbst einkaufen? Welche Würde messen wir dem "Kunden" zu? Warum ist das selbstbestimmte "Containern" verboten, also das Suchen nach unverdorbenen Lebensmitteln in den Abfallbehältern der Supermärkte, und die institutionalisierte Überschuss-Entsorgung über die Tafeln wird gefördert?
Kommunikation stiften
Eine Antwort der Caritas in NRW auf die Frage nach dem Spannungsverhältnis zwischen Sozialstaat und Barmherzigkeit war in der Vergangenheit der Versuch, nicht nur Essen abzugeben, sondern auch Beratung zu leisten, Beteiligung zu fordern, Teilhabe zu ermöglichen. Die einen schließen gar die Tafel als reine Warenausgabe und geben verstärkt warme Mittagessen "für alle" aus, andere bieten gemeinsames Kochen an. Dahinter steht die Beobachtung, dass die Kunden der Tafel, die Bedürftigen (!), nicht nur Hunger haben, sondern auch ein Grundbedürfnis nach "Heimat", Familienersatz", "Zugehörigkeit". Nicht mehr reine materielle Hilfe, sondern Kommunikation stiften. Und so Gleichheit herstellen.
Da gibt es den Versuch, die Tafel einladender zu machen, damit sich die Menschen wohl fühlen. Getreu dem Spruch des Kölner Armenpfarrers Franz Meurer: " Da, wo Menschen arm sind, darf es nicht ärmlich aussehen." Beziehungsarbeit, Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Bei der Entwicklung von Fähigkeiten und Fertigkeiten helfen, nicht die Menschen mit Almosen abspeisen. Thomas Becker, Vorstand beim Caritasverband Soest, brachte es auf der Tagung mit dem Zitat einer Betroffenen auf den Punkt: "Ich habe bei der Caritas gelernt, wie stark ich bin." Wenn wir als Caritas das hinkriegen, so Becker, "sind wir gut". Über das Wie wird die Diskussion weitergehen.