Eigene Türklingel
Dass es aber auch andere Lösungen gibt, zeigt das mittlerweile bundesweit als "Leverkusener Modell" bekannte Verfahren in der Bayer-Stadt am Rhein. Lioba Engels-Barry, Leiterin des Fachdienstes für Integration und Migration des Caritasverbandes Leverkusen, beschreibt die Entwicklung: "Die Unterbringung von Flüchtlingen war in den letzten Jahrzehnten in Leverkusen sehr umstritten. Um das Jahr 2000 plante die Stadt, eine weitere große Unterkunft zu bauen. Allerdings war man sich der damit verbundenen Probleme bewusst: hohe Kosten, schnelle Abnutzung und die Gefahr, soziale Brennpunkte zu bilden. Im Jahr 2002 fand sich schließlich ein Kompromiss zwischen allen an der Flüchtlingsunterbringung Beteiligten, also der Stadt, der Caritas sowie dem Flüchtlings- und Integrationsrat." Der bahnbrechende neue Ansatz: Die Flüchtlinge sollen ab sofort auch bei ungesichertem Aufenthaltsstatus in Privatwohnungen untergebracht werden.
Die Betreuung der Flüchtlinge fiel von Anfang an in den Aufgabenbereich der Caritas. Lioba Engels-Barry: "Die Caritas informiert Betroffene und potenzielle Vermieter über das neue Konzept. Asylbewerber und Menschen im Duldungsstatus dürfen bereits nach wenigen Monaten in eine eigene Wohnung ziehen. Voraussetzung ist unter anderem, dass mit dem Ausländeramt geklärt wird, dass bei den betroffenen Menschen keine konkrete Ausreise bevorsteht, und sie Interesse an einem eigenständigen Leben im neuen Land haben. Zusätzlich stellen wir ihnen ehrenamtliche Umzugsbegleiter zur Seite, um die Übergänge zu erleichtern."
Schnell stellte sich heraus, dass die würdige Unterbringung von Flüchtlingen nicht nur im öffentlichen Interesse ist, sondern sich auch wirtschaftlich rechnet. Bereits in der Frühphase des Projekts können über 145000 Euro eingespart werden, denn Kosten für Sanierung, Bau und Betrieb vorhandener Objekte entfallen ebenso wie Personal- und Betriebskosten. So konnten in den vergangenen zehn Jahren acht Übergangswohnheime in Leverkusen geschlossen werden.
"Die Caritas ist dauerhaft bemüht, die Situation der Flüchtlinge auch in den Wohnheimen zu verbessern, indem wir sie sozial beraten, Sprachkurse und Gruppenangebote vermitteln und einfach Ansprechpartner für alle Belange sind", erläutert die Caritas-Mitarbeiterin. Kennt man das Schicksal seiner Nachbarn, ist es kaum noch möglich, in ihnen Fremde zu sehen. Darum nutzt die Caritas jede Gelegenheit, um für Verständnis zu werben und die Angst vor dem Fremdartigen zu nehmen, zu informieren und zu helfen, die Situation der Flüchtlinge aus deren Perspektive zu sehen.
Nicht immer ist es jedoch leicht, eine passende Wohnung zu finden: "Preisgünstiger Wohnraum in Leverkusen wird immer knapper, und wir sind an die Obergrenzen des Bundessozialhilfegesetzes gebunden. Besonders Wohnungen für große Familien sind zurzeit echte Mangelware", so Lioba Engels-Barry.
Dennoch, nach über zehn Jahren zeigt sich, dass sich das Leverkusener Modell in der praktischen Arbeit bewährt hat. Es verbessert die individuelle Lebensgestaltung der Flüchtlinge und fördert den Spracherwerb, die Integration und erhöht ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Und es ist erwiesenermaßen wirtschaftlich sinnvoll. So ergaben auch Berechnungen im Jahr 2012, dass die Unterbringung in einer Privatwohnung mit knapp der Hälfte der Kosten, die in einem Flüchtlingsheim entstehen, zu Buche schlägt.
Der afghanische Automechaniker Amjad G.*, der seit fünf Jahren in Leverkusen lebt, weiß, dass sein Leben niemals wieder so sein wird wie früher. Und doch bedeutet der schlichte Klingelknopf an einer Leverkusener Haustür, neben dem jetzt sein Name steht, die ganze Welt für ihn - eine Welt, in der er wieder "Herr seiner eigenen Schritte ist", mit einer Wohnung, einer Arbeit für sich und seine Frau Derya*, ganz normalem Schulbesuch für seine Töchter Aziza* und Dilane*, in einer Nachbarschaft, in der er einfach einer von vielen ist.
* Namen geändert
Mission mittendrin: Asyl
Wie sieht das Leben in einem Flüchtlingsheim aus? Warum fliehen Menschen aus ihrem Heimatland und geben zum Teil gute Jobs und ihren ganzen Besitz auf? Reporter Steffen König ist für drei Tage in ein Asylheim gezogen und verbringt dort die Zeit mit den Bewohnern. Er lernt junge Menschen kennen, die alles aufgeben mussten, weil ihr Leben in Gefahr war - wie den 27-jährigen Iraner Daniel. Weil er sich vom Islam abwandte und zum Christentum konvertierte, drohte ihm nach eigenen Angaben die Todesstrafe. Steffen erfährt aus erster Hand, wie eine Flucht aussieht. Gerade die Strapazen der Flucht überstanden, stehen diese Menschen in Deutschland vor ganz neuen Problemen: keine Berechtigung zu arbeiten. Kein Geld. Kaum Kontakt zur Familie und isoliert von der Gesellschaft.
Gedreht wurde in einer Haaner Flüchtlingsunterkunft, unterstützt wurde das Filmteam dabei von Mitarbeitenden des Caritasverbandes für den Kreis Mettmann. Der gut gemachte Film aus der Serie "Mission mittendrin" richtet sich eher an ein jüngeres Publikum und ist nach seiner Ausstrahlung im Fernsehen auch auf Youtube zu sehen: http://www.youtube.com/watch?v=__cRErXCV-Q