Erbarmen als soziale Form
Manchmal stellen bildende Künstler die entscheidenden Fragen und bringen Verhältnisse in eine Form. So ist es kein Wunder, dass die sperrige Formel "Erbarmen als soziale Form" von einem Künstler stammt. Neben den Initiatoren Ludger Hengefeld, Frank J. Hensel und Stefan Kraus stand der Künstler Felix Droese am Anfang des Projekts. Bei der Frage, was "Erbarmen" genau ist, dürften die Auffassungen weit auseinandergehen. Die "soziale Form" beschäftigt Benimmschulen, Gesellschaftswissenschaften, Sozialverbände oder künstlerische Ideen eines Joseph Beuys ("Soziale Plastik"). Droese selbst schuf "Sühnetafel", eine Großskulptur, die anlässlich des Eucharistischen Kongresses prominent am Kölner Domforum platziert war. "Hier stehe ich mit leeren Händen vor Dir", konnte man auf einer grün gefassten Eichenplanke lesen.
Diese Arbeit kam auch in den Blickpunkt durch die öffentliche Armenspeisung, die "Juttas Suppenküche" seit Langem vor dem Domforum vollzieht. In dieser Nachbarschaft konnte man die Speisung der Menschenschlange auch als eine Art Aufführung sehen, als eine inszenierte Visualisierung gesellschaftlicher Umstände. Ein Kunstwerk als Sehhilfe? Der Kölner Künstler Reinhard Matz konzipierte zehn gleiche Emailletafeln, auf denen vier einfach klingende Thesen zum "Geben und Nehmen und Tauschen" festgehalten sind. Seine Arbeit "Chinesische Teekannensprüche" hängt nun an verschiedenen Stellen in Köln und erzeugt Nachdenklichkeit, Irritation oder auch offenen Widerspruch. Die wertige Form der aufwendig gewölbt produzierten Emailletafeln signalisiert deutlich einen Unterschied zum Bombardement mit Werbebotschaften aller Art. Die jeweiligen Umgebungen diktieren neben den Thesen ihre eigenen Regeln, beschreiben auch den Stadtraum als "soziale Form", die je nach Straße, Platz oder Gebäudebezug sehr unterschiedlich ausfällt.
Dorothea Bohdes Recherchen ließen sie auf die Armensuppe stoßen, die der englische Graf Rumford zu Zeiten der Französischen Revolution für das bayrische Militär entwickelt hatte. Die Kölner Künstlerin, die seit Langem ihr "Art Café" als eine Schnittstelle verschiedenster Künste entwickelt hatte, experimentierte mit dem überlieferten Rezept und fand ihre eigene Version auf die Frage Rumfords, wie denn minimale Bedürfnisse und minimale Kosten in einer Suppe zusammenfinden. Sie bot diese Suppe während einer Veranstaltung an, die neben der materiellen Bedürftigkeit auch Formen geistlicher Armut und kultureller Schmalkost thematisierte.
Diese Arbeiten zielen durchaus auf die kulturbürgerliche Mitte der Gesellschaft: Hier ankert das Problem, dass angesichts eines wachsenden Konsummarktes mehr Bedürftige und Arme entstehen. Das Leitbild eines sich verschlankenden Staats erzeugt notwendig einen wachsenden Bereich privaten Engagements in Charity-Szenarien - und kümmert sich wenig um den so erzeugten langfristigen Umbau der Gesellschaft, geschweige denn die Schattenseiten dieser Entwicklungen. Wenn Künstler aus ihren Lebenserfahrungen und aus dem professionellen Umgang mit Formen und Prozessen zumindest die richtigen Fragen kondensieren, ist bereits viel gewonnen.