"Machen Sie mal"
Ein Fall für die Sozialpädagogische Familienhilfe: Wenn es gelingt, die Mutter zu stabilisieren, ist auch dem Kind geholfen.Andre Zelck
Entstehen und Vergehen ist ein ständiger Prozess in der Caritas-Arbeit. Gesellschaft verändert sich, Strukturen ändern sich, und Familien benötigen andere Formen der Unterstützung. Die finanzielle Lage der öffentlichen Hand ist eingeschränkt, die Fachlichkeit der Sozialarbeit entwickelt sich weiter. Aus alldem entstehen neue Hilfsangebote und derzeit zunehmend neue Kombinationen von Hilfen.
Die SPFH ist ein gutes Beispiel dafür, wie aus einem in der praktischen Arbeit vor Ort erkannten Bedarf ein neuer Dienst entstehen kann. Vor knapp 40 Jahren war es die Erkenntnis, dass es nicht reichte, durch Familienpflege den Ausfall der Mutter oder des Vaters nur vorübergehend aufzufangen. "War die Mutter wieder fit, beendeten die Familienpflegerinnen ihren Einsatz, dann brach das Familiensystem nach kurzer Zeit wieder zusammen", berichtet Christa Kriete. "Die Frauen brauchten mehr Anleitung", sagt sie. Würde es auf diesem Weg gelingen, eine Zuspitzung der Familiensituation zu vermeiden, dann müssten auch weniger Kinder aus den Familien genommen werden, so die Überlegung. Mit diesem Ziel fuhr die damalige Leiterin der Familienpflege, Christa Müller, nach Berlin und entwickelte mit Experten am Sozialpädagogischen Institut das Konzept der SPFH.
Wobei der Name erst später geboren wurde, am Anfang war es einfach "qualifizierte Familienpflege". Von der Stadt Ibbenbüren gab es auch keinen konkreten Auftrag, sondern die globale Aussage: "Machen Sie mal" und eine Pauschalfinanzierung. Die Klienten wurden unter anderem über Meldungen der Kirchengemeinden und Schulen gefunden, berichtet Anne Twardon. Sie hat die Entwicklung des neuen Dienstes bei der Caritas Emsdetten-Greven fast von den Anfängen her miterlebt. Nur ein Jahr nach Ibbenbüren ging es auch hier los.
Twardon ist heute die einzig verbliebene Erzieherin in den Erziehungshilfe-Teams der beiden Verbände, die eng miteinander kooperieren. Damit ist sie auch ein Beispiel für den stetigen Wandel. Mit ABM-Kräften startete die SPFH, und erst nach drei Jahren gab es die ersten Festanstellungen. Auch Hausfrauen und Kinderpflegerinnen wurden eingesetzt.
Kinderschutz und erzieherische Hilfen
Doch die "Sozialarbeit hat sich zunehmend professionalisiert", erklärt Christa Kriete. Was bei zunehmend schwierigen Problemlagen der Familien auch notwendig war. "Bei Suchterkrankungen oder psychischen Problemen wurde anfangs ein Einsatz abgelehnt", sagt Christa Terheiden, die auf gut 20 Jahre Entwicklung zurückblicken kann. Erst Mitte der 90er-Jahre änderte sich das, und heute zählen zu den Klienten überwiegend Familien mit psychischen Belastungen oder lern- und geistig behinderte Menschen. Fast ein Drittel der Klienten haben mittlerweile einen Migrationshintergrund.
Damit stellen sich ganz neue Anforderungen an die Arbeit. Es gehe mehr um Kinderschutz, so Twardon. Da müssten die erzieherischen Hilfen auch am Wochenende bereitstehen. Es gebe Einsätze an sieben Tagen in der Woche, und schon vor Jahren sei ein Bereitschaftsdienst eingeführt worden.
Einsätze am Morgen sind auch weniger geworden, weil beide Elternteile arbeiten. Dafür dehnt sich die Arbeitszeit in den Abend aus. Früher war die Woche einfach strukturiert. "Man hatte zwei Familien mit jeweils 20 Stunden", sagt Anne Twardon. "Heute fahre ich morgens los mit einem groben Raster und weiß nicht, was wirklich kommt."
Kinderschutz setzt zu Hause an. Gute Ernährung ist ein erster Baustein.Andre Zelck
Eine 39-Stunden-Stelle allein in der SPFH sei kaum noch möglich. Fast alle Mitarbeitenden haben deshalb weitere Standbeine. Christa Terheiden ist beispielsweise mit zehn Stunden noch für die Bürgerstiftung tätig, andere Kollegen in der Erziehungsberatung oder der Ganztagsschule. Nicht von ungefähr firmieren die erzieherischen Hilfen mit dem Zusatz "flexibel".
Beständige Innovation ist gefragt, weil sich die Familienkonstellationen beständig ändern. Vielen jungen Eltern fehle heute das Basiswissen. Auch wenn sie heute häufig nur ein Kind hätten statt wie früher drei oder vier, kämen sie im Alltag nicht klar. Ein Großteil sei mit der Existenzsicherung so beschäftigt, dass kaum mehr möglich sei, sagt Kriete.
Deswegen sind rund um die SPFH neue Angebote entstanden. "FEE" in Emsdetten-Greven und die "Elfen" in Ibbenbüren sind Beispiele dafür. Beide vermitteln Paten in die Familien. "Die haben weniger Bedarf an Beratung, benötigen aber Entlastung", erklärt Heike Kallinich, die bei "Freiwilliges Engagement für Eltern" angefangen hat und inzwischen im Team der "Flexiblen Erzieherischen Hilfen" mitarbeitet.
Dazu kommen die finanziellen Rahmenbedingungen. Die Zeiten der Pauschalfinanzierung sind lange vorbei. Abgerechnet wird nach Fachleistungsstunden - und das möglichst sparsam. Neuer Trend: Statt SPFH gehen die Jugendämter lieber wieder in Richtung Familienpflege. Weil es hier bislang nicht gelungen ist, kostendeckende Sätze mit den Krankenkassen zu verhandeln, kostet sie nur die Hälfte der im Kinder- und Jugendhilfegesetz angesiedelten erzieherischen Hilfen. Zudem werden erst alle anderen Möglichkeiten wie offene Ganztagsgrundschule oder Erziehungsberatung ausgereizt.
Im Ergebnis wird heute im Hilfeplanverfahren ein individuelles Unterstützungspaket aus verschiedenen Fachhilfen für die Familie geschnürt. Darin ist die SPFH mittlerweile nur noch ein kleiner Bestandteil. Möglicherweise ist das Ende der klassischen SPFH absehbar. Für Kriete ist klar, dass die Sozialpädagogische Familienhilfe als singulärer Dienst nicht weiter existieren kann. Selbst das Team der "Flexiblen Erzieherischen Hilfen" gebe es so eigentlich nicht mehr, sondern es gehe auf in dem noch größeren Bereich aller Jugend- und Erziehungshilfen. Damit alle Register gezogen werden können.
So ist vor allem eins sicher in der sozialen Arbeit: der Wandel.