Kreuz- und querdenken
Was von diesem Bild passt in unseren caritativen Alltag, wo das soziale Handeln in ständig neuen Hilfeformen Ausdruck findet? Besonders einzigartig scheint schon mal, dass die Erfinder zumeist hoffen, diesen Dienst selbst nicht in Anspruch nehmen zu müssen. Etwa neuartige Ansätze zur Aktivierung langzeitarbeitsloser Menschen oder ein WG-Wohnkonzept für demenziell Erkrankte. Speziell ist auch: Soziale Innovationen werden entlang der Nöte der Menschen hervorgebracht, sind nicht primär vom Wettbewerbsvorteil und Unternehmensprofit getrieben. Soziale Innovationen sind lebensnotwendige Fürsorge und Mitsorge, betreten Neuland im gesellschaftlichen Miteinander und sind deshalb untrennbar mit Rolle und Aufgabe der Caritas verbunden.
Was bedeutet das nun: "Neuland betreten"? So unbestimmt die Formulierung ist, so sehr stimmt sie im Kern. "Das haben wir ja noch nie so gemacht!": Nicht als strukturkonservative Abwehr, sondern als Erkenntnis ist dieser Satz Gold wert, weil er, wenn er stehen bleiben darf, Raum schafft für Kreativität, fürs Querdenken. Querdenkertum fällt nicht so einfach vom Himmel. Damit Innovationen in der verbandlichen Caritas Platz greifen, so mitten in der erfahrenen und geübten Verbandsarbeit, braucht es eine gezielt herbeigeführte und lebendige Kultur des unfertigen Miteinanders mit einer hohen Fehlerfreundlichkeit. "Quer"-Denken impliziert nämlich schon, dass es mal kreuz und quer geht. Nicht ziellos, aber mit der Bereitschaft, Irrwege einzuschlagen und Irrtümer einzugestehen.
Innovationen sind bei Weitem nicht immer weit durchgedacht und schon gar nicht systematisch erprobt. Sie werden meist einfach aus dem Boden gestampft. "Not sehen und handeln", ist das Credo der vielen Christinnen und Christen, die seit Jahrhunderten auf das reagieren, was sie auf der Straße oder an ihren Mitmenschen beobachten. Daraus hat sich eine Organisationsform entwickelt, die Innovationen "als Ausdruck unternehmerischen Handelns der Caritas" in Eckpunktepapieren (DCV 2012) beschreibt. Innovationsfähigkeit und Querdenkertum in einer Organisation schriftlich zu begrüßen und es dann im Verbandsalltag zu realisieren ist noch mal ein echter Sprung, der teilweise viel (Selbst-)Überwindung kostet. Was müssen wir als Caritas eigentlich tun, um innovativ zu sein? Ist es immer das Erneuern, wie der lateinische Ursprung es meint?
Hier tappt man leicht in eine Falle: Neu, jung und unverbraucht soll ein innovativer Arbeitsansatz am liebsten sein. "Ob die Gedanken wirklich aus den Köpfen stammen? Meist stammen sie aus zweiter Hand", sagt der polnische Schriftsteller Wieslaw Brudzinski. Oft, sehr oft sogar ist es eben doch ein bekanntes Muster, eine schon gut irgendwo anders realisierte Idee, die sich regional neu anpassen lässt. Innovation kommt vom Zuhören und Zuschauen und Von-anderen-Lernen und Sich-inspirieren-Lassen. Vielleicht bei einer Hospitation in einem caritativen Tätigkeitsfeld weit außerhalb der eigenen Professionalität oder im Zusammenwirken mit Leuten aus ganz anderen Arbeitswelten, zum Beispiel in Projekt-Beiräten, oder in der Arbeit mit Studierenden, die mit Außenblick ein Caritas-Thema in ihrer Bachelor- oder Masterarbeit angehen. Es gibt viele Ideen und Ansätze, Kreativität und Innovation in die tägliche Arbeit der Caritas zu holen - dazu gehört auch mehr Mut zum Unkonventionellen! Entscheidend ist, dass wir nicht nur kreuz-, sondern auch querdenken.