Gemeinsam für mehr Lebensqualität
Das Fachwerkhaus: Dieses Wohnhaus aus dem Jahre 1911 nennen die Dorfbewohner liebevoll „Eierhaus“, weil es von der Konstruktion her einem Ei ähnelt. Dieses architektonische Kleinod wurde erstmals auf der Weltausstellung 1911 in Turin vorgestellt.Martina Schäfer
Denn die heile Welt auf dem Lande hat auch Schattenseiten. In der mit 121 Einwohnern pro Quadratkilometer rar besiedelten (NRW-Durchschnitt: 515) und vor allem strukturschwachen Gegend ist der demografische Wandel bereits spürbar: Seit 1994 sank die Zahl der Erstklässler von 2000 auf 1270. In den vergangenen 13 Jahren wurden 20 der 44 Grundschulen im Kreis geschlossen, zwei weitere Schließungen stehen demnächst an. Die kommunalen Kassen sind klamm, überall wird gespart.
Fachkräfte werden zur Mangelware. Und selbst wenn Unternehmen qualifizierte Mitarbeiter deutschlandweit suchen, lehnen potenziell geeignete Bewerber den Standort im ländlichen Raum trotz großzügiger "Dschungelzulage" ab.
Und die Zukunft sieht alles andere als rosig aus. Denn bis zum Jahr 2030 wird laut einer Studie der Gütersloher Bertelsmann-Stiftung die Hälfte der Bevölkerung im Kreis Höxter älter als 52 Jahre sein. Im Jahr 2009 lag der Wert noch bei 44 Jahren. Auch beim Bruttoinlandsprodukt ist der Landkreis seit Jahren eines der Schlusslichter.
Folgenschwere Entwicklungen, die nicht nur Stadtväter, Politiker, Vereine und Institutionen aufschrecken lassen, sondern auch die Bewohner des Kreises selbst, die nicht selten das Gefühl haben, auf einem absteigenden Ast zu sitzen.
Und trotz vieler dunkler Wolken am Horizont geben Orte im Kreis Höxter nicht auf und versuchen mit positiven Aktionen, Lichtblicke zu schaffen. Dabei ist ihnen klar: Patentrezepte gibt es keine, aber gute Ideen, sich dem Umbruch entgegenzustellen.
So wie im kleinen Dorf Willebadessen-Helmern, im Südwesten des Kreises Höxter gelegen. Wer über die enge, kurvige und holprige Kreisstraße 20 das 190-Seelen-Dorf erreicht, hat den Eindruck, im Voralpenland angekommen zu sein. Weite Waldrücken, saftige Wiesen, friedlich grasende Pferde, gemütliche Familienhäuser mit großen, blühenden Gärten säumen die wenigen Straßen. Auf einer Anhöhe in der Mitte des Dorfes thront die kleine Kapelle, erbaut 1713 und dem Schutzpatron St. Kilian gewidmet. Liebenswert und friedlich, aber auch abgeschieden von allen großen Straßen, so präsentiert sich die kleine Ortschaft dem Besucher.
Die deutlichen Spuren des Strukturwandels sind inzwischen unverkennbar: Das Lebensmittelgeschäft ist geschlossen, auch die Tankstelle im Ort musste weichen, Gastwirtschaft und Getränkemarkt stehen leer, die Holzfabrik hat dichtgemacht, und die Zahl der Vollerwerbslandwirte hat sich seit 1982 halbiert. Lediglich ein mobiler Bäcker versorgt die Dorfbewohner zweimal in der Woche. Berufliche Perspektiven gibt es nur noch in den größeren Nachbarorten wie Warburg, Paderborn, Bad Driburg oder Brakel. Ohne Auto läuft nichts in Helmern.
Die Kirche hat ebenfalls einen Wandel vollzogen: Im Pastoralverbund Willebadessen-Peckelsheim werden nur noch Sonntagsgottesdienste im Zwei-Wochen-Rhythmus und ein Gottesdienst in der Woche gefeiert. Wechselnde Geistliche gestalten die heilige Messe. Die Ortsgruppe der Caritas wurde aufgelöst, und auch der Karnevalsverein stuft sich als ruhend ein.
Dorfansicht am Eingang zu Helmern mit grünen Gärten und hohen BäumenMartina Schäfer
Viel Engagement - ökumenisch
Trotzdem blicken die Bewohner mutig nach vorn. Mit viel Engagement schart Matthias Gockeln, Vorsitzender der Schützenbruderschaft Helmern und in vielen anderen Vereinen aktiv, Gleichgesinnte um sich, um die Identifikation mit dem Dorf voranzutreiben und deutlich zu machen, wie lebenswert der kleine Ort doch ist. Dabei legen Gockeln und seine Mitstreiter Wert darauf, Jung und Alt in das Dorfgeschehen mit einzubinden. Und: Das Engagement ist absolut ökumenisch orientiert, es ist jeder aufgerufen mitzumachen. Der Einsatz trägt erste Früchte. Die Vereine, ob Schützenverein, Katholische Frauengemeinschaft (kfd), Kirchenvorstand oder Feuerwehr, bilden inzwischen ein Netzwerk, pflegen enge Kontakte mit Nachbargemeinden und machen sich für die Initiative "Für ein lebenswertes Helmern" stark.
Gute Resonanz hat das Dorf nicht nur bei traditionellen Aktionen wie dem Schützenfest, sondern auch bei seinen Umwelttagen, in denen Müll gesammelt wird, Bänke im Dorf installiert oder Baumschnittseminare abgehalten werden. Große Erfolge feiert der Ort mit seinem Dorffest. Beim letzten Mal haben junge Leute in sechs Mannschaften ein Kochduell ausgetragen. Eine Ausstellung des bundesweit renommierten und in Helmern ansässigen Bildhauers und Künstlers Raphael Johannes Strauch brachte vor wenigen Jahren hochkarätige Kultur ins Dorf.
Für Vereinsaktivitäten jeglicher Art, Gemeindefeste oder private Feiern steht die St.-Kilian-Halle, im Besitz des Dorfes, zur Verfügung. Als neue Begegnungsstätte dient gleich nebenan die "Alte Schule". In Eigenarbeit haben Bürger aus Helmern die Räume renoviert. "Jetzt können hier jüngere und ältere Menschen an einen Tisch kommen", freut sich Luzia Falke, ehemalige Mitarbeiterin der Caritas und Kirchenküsterin. Sie selbst ist auch in anderen Gremien und Vereinen ehrenamtlich aktiv, weiß aber: "Wir müssen die Leute immer wieder neu und gezielt ansprechen."
Matthias Gockeln, Vorsitzender der Schützenbruderschaft Helmern, und Luzia Falke, Kirchenküsterin, auf der Treppe vor der Kapelle von 1713Martina Schäfer
Nachbarschaftshilfe wächst
Ein Umstand, den auch der Caritasverband im Erzbistum Paderborn begrüßt. "Denn wir suchen vor Ort immer Verbündete, die mit uns gemeinsam Möglichkeiten aufzeigen, Menschen aus ihrer Isolation zu holen", betont Matthias Krieg, der das Demografieprojekt im Diözesan-Caritasverband betreut und nach Wegen sucht, um den Menschen Perspektiven zu geben und neue Entwicklungen anzustoßen. Wichtig sei es, dass es für Menschen, ganz gleich, ob in der Stadt oder auf dem Land, einen Ort gebe, wo man hingehen könne, wo man sich in Gesellschaft aufgehoben fühle.
Luzia Falke macht sich trotz vieler guter Angebote im Dorf keine falschen Illusionen: "Wir können es nicht schaffen, den Letzten vom Sofa zu holen." Denn das Freizeitverhalten habe sich bei den Menschen stark verändert. "Viele sitzen vor dem Computer oder Fernseher und verbringen wenig Zeit in der Natur", ergänzt Matthias Gockeln. Dazu komme die fehlende Verbindlichkeit der jüngeren Generation, die sich im besten Fall zwar noch punktuell engagiere, aber selten langfristig.
Positiv: Nachbarschaftshilfe wird großgeschrieben, die Familien unterstützen sich gegenseitig. "Jeder kennt eben jeden, und auch den älteren Mitbürgern wird beispielsweise bei Einkäufen oder Arztbesuchen geholfen", erzählt Matthias Gockeln. Auch Luzia Falke ergänzt: "Der Zusammenhalt bei den Älteren ist sehr groß."
"Auch in der Finanznot muss die Politik unsere Anliegen ernst nehmen, sonst kämpfen wir für den Erhalt der kleinen Dörfer gegen Windmühlen", sind Matthias Gockeln und Luzia Falke überzeugt. Sie wollen jedoch weiterkämpfen - für eine lebenswerte Perspektive in Helmern, für dörfliche Vielfalt und Gemeinschaft.