Ehrenamt im Wandel
"win-win für Alle!" haben die fünf Diözesan-Caritasverbände in NRW das modellhafte Projekt genannt, mit dem über drei Jahre lang Ehrenamtskoordination und das Freiwilligenmanagement gefördert wurden, finanziert aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF). Das Projekt hat beispielhaft deutlich gemacht, wie die Caritas zukünftig auf den Wandel im Ehrenamt reagieren muss. Denn die Zusammenarbeit von beruflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie freiwillig Engagierten wird in den kommenden Jahren an Bedeutung zunehmen.
Das Modellprojekt "win-win für Alle!" war somit ein Qualifizierungsangebot mit Laborcharakter für die Zukunft zum Thema Ehrenamtskoordination/Freiwilligenmanagement. Es basierte auf folgender Analyse:
Erfahrene und traditionelle Organisationen werden sich den neuen Lebens-, Hilfe- und Wohnformen öffnen.
Stichworte hierzu sind: Dezentralisierung, Inklusion, Empowerment, Subsidiarität, Sozialraumorientierung, Quartiersarbeit … Damit diese Ansätze gelingen, ist bürgerschaftliches Engagement die entscheidende Voraussetzung.
Formen des freiwilligen Engagements und der Hilfe werden vielfältiger und "bunter".
Traditionelle Verbände und Organisationen erreichen mit ihren bisherigen Strategien einen kleiner werdenden Teil der Menschen. Beispielhaft sind die Nachwuchssorgen oder neue Kampagnen zur Mitgliedergewinnung wie etwas bei den freiwilligen Feuerwehren zu nennen. Soziale Netzwerke organisieren und entwickeln neue Formen der Unterstützung und Hilfen, wie etwa bei der Flutkatastrophe vor einigen Wochen.
Die Erwartungen an die Formen der Hilfe und Betreuung werden individueller und vielfältiger. Sie sind durch berufliches Handeln allein nicht abzudecken.
Diese Veränderungen sind u. a. zurückzuführen auf: Individualisierung, Veränderung der bisherigen Familienstrukturen, höhere Arbeitsplatzflexibilität, Veränderung der Sozialstrukturen wie Nachbarschaften, Vereine, Kirchengemeinden ... - einerseits fehlt das Netz von Hilfemöglichkeiten, andererseits individualisiert sich die Erwartung an die Hilfe von "anderen".
Es werden sich neue Formen der Kooperationen zwischen Beruflichen und Freiwilligen entwickeln.
Dabei geht es um geteilte Verantwortlichkeiten, Begegnung auf Augenhöhe, gemeinsame Erfolge und Ziele, neue Berufsprofile, Arbeitsbelastung und Berufszufriedenheit, Work-Life-Balance …
Die bisherigen beruflichen Hilfeformen stoßen zunehmend an finanzielle und personelle Grenzen.
Die Gründe hierfür sind vielfältig: Fachkräftemangel (jeder vierte Schulabgänger wird zukünftig in der Pflege und Betreuung benötigt, wenn der derzeitige Standard gesichert werden soll - ist das realistisch?), demografische Entwicklungen, Finanzkrisen, unterbrochene und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse mit der Folge von zukünftig niedrigen Renten …
Stimmt man diesen Thesen zu und will darauf fachlich reagieren, bedarf es eines Prozesses mit verschiedenen Schwerpunkten in der jeweiligen Organisation.
Es beginnt mit der Übertragung und Anwendung der Thesen auf die eigene Organisation. Bevor der Blick nach "außen" gerichtet wird, muss er nach "innen" gehen. Dabei können erste Schritte sein: sich das Selbstverständnis der eigenen Organisation und Erfahrungen mit ehrenamtlichem Engagement bewusst machen, Stärken-Schwächen-Analyse vornehmen, Zielformulierung und Entwicklung von Strategien zur Umsetzung, Klärung der notwendigen Ressourcen, Erkennen und Wahrnehmen von Motivation und Widerständen, Gewinnung von Beteiligten …
Erfolgversprechend für die anschließende Umsetzung und Implementierung ist ein Perspektivwechsel. Das bedeutet:
- Vom Ehrenamtlichen und Engagementbereiten her denken und handeln!
"Wir haben keinen Mangel an Menschen, die sich engagieren wollen, sondern einen Mangel an Zugangsmöglichkeiten", so der Ehrenamtsforscher Paul-Stefan Roß. - Menschen mit ihren Bezügen, Kompetenzen und Ressourcen wahrnehmen und ansprechen. Menschen tut es gut, wenn sie ihre Möglichkeiten einbringen können zum Wohle anderer.
- Die Entdeckung und Förderung von Ressourcen als eigenständige berufliche Aufgabe der verbandlichen Caritas erkennen und finanzieren:
Ehrenamtskoordination, Quartiersentwicklung … im Sinne und mit der Perspektive: Menschen und Strukturen unterstützen, damit Menschen gut leben und helfen können - sich und anderen.
Die mittelfristige Perspektive fasst der Wissenschaftler Roß so zusammen: "Wir haben - was die Engagementförderung angeht - kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem."
Damit wird verdeutlicht:
- Alle größeren wissenschaftlichen Untersuchungen der letzten Jahre belegen, dass es eine hohe Bereitschaft zum freiwilligen Engagement in unserer Gesellschaft gibt.
Diese Erkenntnisse von wissenschaftlichen Untersuchungen sollten wahrgenommen und mit den eigenen "Bildern" und beruflichen Alltagsrealitäten abgeglichen und bewertet werden.
- Was sich verändert hat, sind die Möglichkeiten der Menschen, sich zu engagieren. Das bezieht sich auf zeitliche und räumliche Rahmenbedingungen ebenso wie auf Motivation und Erwartungen an ein Engagement. Darauf sollten und müssen Verbände und Organisationen sich einstellen und einlassen.
- Nicht die Gewinnung von Freiwilligen ist die erste Herausforderung, sondern die Gewinnung der Beruflichen. Leider ist es immer noch nicht selbstverständlich, dass in der Ausbildung helfender Berufe ein professionelles Rollenprofil zur Arbeit mit freiwillig Engagierten vermittelt wird. Das ist auch eine Erklärung für Widerstände, Konkurrenzfantasien und Unsicherheit im Umgang mit Ehrenamtlichen.
Zu Umsetzungsproblemen:
- Immer noch wird Ehrenamt / freiwilliges Engagement reduziert und eingegrenzt als "billige Ergänzung der hauptamtlichen Arbeit" oder als "nice to have" bewertet. Dabei hat es - ganz überwiegend- einen eigenständigen und vom beruflichen Engagement losgelösten Wert für die Menschen. "Freiwilliges Engagement ist ein Wert an sich" - so haben wir es immer wieder bei den Exkursionen in die Niederlande gelernt.
- Wertschätzung und professionelle Begleitung sind noch nicht überall selbstverständlich und folgen häufig noch eingefahrenen Formen und Ritualen. Ehrenamtskoordination muss als berufliche Profession etabliert und entsprechend finanziert werden.
- Ein professionelles Freiwilligenmanagement ist Leitungsaufgabe. Es umfasst und verändert nach und nach die gesamte Organisation. Ehrenamtskoordination ist dabei von entscheidender Bedeutung, da es die Akzeptanz und Umsetzung fördern kann bei allen Beteiligten.
Im Rahmen des Projektes "win-win für Alle!" ist ein Praxishandbuch erarbeitet worden. Es enthält Grundlagen und Anregungen zu Ehrenamtskoordination/ Freiwilligenmanagement.
Es ist gegen Erstattung der Porto- und Versandkosten über die Diözesan-Caritasverbände in NRW zu erhalten.
Das Projekt win-win für Alle! ist auf drei Jahre angelegt (2010-2013). In unterschiedlichen Zeitabschnitten werden Workshops für Führungskräfte und Ausbildungskurse für Ehrenamtskoordinatorinnen und Koordinatoren angeboten.