Wenn der Traum platzt
Im Frühjahr 2004 wohnen die Jannings in einem Haus in der Innenstadt von Ibbenbüren. Schimmel an den Wänden deutet unter anderem auf schlechte Bausubstanz. "Wir waren ständig krank", erinnert sich Simone Janning. Eine neue Wohnung musste her. Insgeheim hatte das Ehepaar immer schon den Wunsch, ein eigenes kleines Häuschen zu haben. Eines Tages besichtigen die beiden ein Musterhaus, das weitgehend ihren Vorstellungen entspricht. Die Eheleute kommen mit der Immobilienfirma in Kontakt. Die Beraterin betont, jede Familie könne ein eigenes Haus haben. Man müsse die Bedingungen nur genau prüfen. Roland Janning arbeitet als Lagerist bei einer großen Lebensmittelkette. Er verdient je nach Stundenzahl zwischen 1600 und 1800 Euro im Monat. Simone Janning ist nicht berufstätig, weil der älteste Sohn wegen einer besonderen Krankheit viel Betreuung braucht. Welche Form der Unterstützung für Tim in Frage kommt, darüber streiten Behörden und Ärzte.
In Panik zugestimmt
Die Beraterin überzeugt das Ehepaar, dass sein Wunsch nach einem Eigenheim mit einer Belastung von unter 600 Euro im Monat realisierbar ist. Um sofort Miete zu sparen, ziehen die Jannings zu Rolands Eltern - vorübergehend für etwa drei Monate. Aber die Erschließung des neuen Baugebietes zieht sich hin, die ein oder andere Frage zum Haus muss noch geklärt werden. "Daraus wurde dann ein Jahr - eine ganz schwierige Zeit", beschreibt Simone Janning das Leben in zwei kleinen Zimmern unter dem Dach ihrer Schwiegereltern.
Von dem Gehalt zahlt die Familie jeden Monat 580 Euro auf ein Sonderkonto. Davon würde das Haus finanziert, hatte ihnen die Beraterin versichert. Zudem hatte sie empfohlen, mit dem Konto zu einer bestimmten Bank zu wechseln. Gleichzeitig regte sie an, alle Versicherungen zu kündigen und unter ihrer Regie neu abzuschließen. "Sie hat auf uns wirklich einen sehr kompetenten Eindruck gemacht", bekennt Roland Janning.
"Wir wurden das erste Mal stutzig, als uns die Bank mitteilte, unser Konto sei um 1500 Euro überzogen", erzählt Simone Janning. Auf Nachfrage habe die Beraterin dann abgewiegelt, es müsse sich um ein Versehen handeln. Sie werde das klären. Die nächste Nachricht von der Bank wies ein Minus von 3000 Euro aus - verbunden mit der "intensiven Bitte", das Minus auszugleichen. Die Beraterin wusste Rat: Eine Nachfinanzierung musste aufgestellt werden, auch weil versehentlich keine Tilgung eingerechnet worden war.
Das Soll war inzwischen auf fast 10000 Euro angewachsen. Die Beraterin empfiehlt, die Summe auf 25000 Euro aufzustocken, da "die Familie ansonsten Gefahr läuft, das Haus zu verlieren". Die Konsequenz: "In der Paniksituation haben wir zugestimmt", sagt Simone Janning. "Wir wollten unser eigenes Haus nicht verlieren." Der Schwiegervater tritt zudem als Bürge auf, wenn auch mit Bauchschmerzen. Die Belastung für die Familie steigt erheblich. Zu den 580 Euro werden die vermögenswirksamen Leistungen von 40 Euro sowie weitere 128 Euro monatlich fällig, um die Nachfinanzierung in Form des Bausparvertrages bedienen zu können.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden im Jahr 2011 insgesamt 103.289 Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Die durchschnittlichen Schulden je Fall lagen in den Jahren 2006 bis 2008 bei etwa 60.000 Euro; mittlerweile liegt die Summe bei circa 25.000 Euro (Stand: 21. Oktober 2011).Fotolia (Foto) / Andreas Schmid (Montage)
Verbraucherinsolvenzverfahren
"Und trotzdem wuchs danach das Minus auf unserem Konto immer weiter", war Roland Janning enttäuscht. Die Familie dreht jeden Cent um, spart, wo es möglich ist. Ohne Effekt für das Konto. Dann hat Simone Janning einen Unfall mit Totalschaden. "Meine Frau war zwar nicht schuld, aber wir wollten das Auto verkaufen. Jetzt hat die Versicherung gerade mal den Restwert erstattet." Und schließlich kündigt die Bank das Konto.
Simone Janning verfolgt im Fernsehen die RTL-Sendung "Raus aus den Schulden" - mit Folgen: "Wir suchen jetzt gezielt nach einer Schuldnerberatung", nimmt Simones Mutter Annemarie Herdorn das Heft in die Hand. Die Jannings haben Glück: Eine ehrenamtliche Mitarbeiterin des Sozialpunktes beim Sozialdienst katholischer Frauen in Ibbenbüren hört zu, hilft beim Sortieren der Unterlagen, klärt einige offene Fragen mit der Hausbank - und vermittelt einen Termin bei der Schuldnerberatung im eigenen Hause. Die Jannings erfahren zudem, dass die (Zusammen-)Arbeit mit der Schuldnerberatung Zeit und Geduld erfordert - anders als im Fernsehen.
Aufgrund der Schuldenlast muss das Haus verkauft werden. Bei den Bemühungen stellt sich heraus, dass es erhebliche Baumängel gibt, deren Beseitigung die Familie nicht leisten kann. Ein junges Ehepaar kauft schließlich das Haus - für 135000 Euro. "Das Geld deckte inzwischen unsere Schulden nicht mehr", ist Simone Janning zerknirscht. Der Traum vom Eigenheim ist geplatzt…
Trotzdem ist keine außergerichtliche Einigung für die verbliebenen Schulden zu erreichen. Schuldnerberaterin Barbara Kurlemann bemüht sich vergeblich um einen Vergleich. Letzter Ausweg: ein Antrag auf Eröffnung des gerichtlichen Verbraucherinsolvenz-verfahrens. Seit gut einem Jahr wohnen die Jannings nun in einer Doppelhaus-hälfte. Ihrem Vermieter haben sie ihre Situation offengelegt. Er hat auf die Kaution verzichtet. Auch wenn es mit den Nachbarn noch nicht so richtig klappen will, fühlt sich die Familie wohl. Aufgrund der Arbeit der Schuldnerberaterin haben Simone und Roland Janning wieder einen Überblick über die Finanzen. Jetzt geht es darum, die passende Hilfe für Sohn Tim zu finden. Und für Oliver, der immer wieder Rücksicht auf seinen großen Bruder nehmen muss und kaum eigenen Interessen nachgehen kann.
Und dann ist da ja noch das Zelt.
* Die Namen der Betroffenen wurden geändert.
Die im Text genannte Schuldnerberaterin des SkF Ibbenbüren ist die Frau des Autors.