Verantwortung übernehmen
Es ist eine Frage der Würde. Für Menschen mit Behinderung, die wegen Art und Schwere ihrer Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können, bieten Werkstätten für behinderte Menschen eine Teilhabe am Arbeitsleben. Der Begriff Teilhabe wird hier definiert in "Bestätigung + Ebenbürtigkeit + Gleichberechtigung + Zustimmung" (nach Freese/Lelgemann, "Arbeit, Erwerbsarbeit, Werkstattarbeit in Theorie und Praxis"). Doch wie können hier Selbst- und Mitbestimmung von Menschen mit Behinderung ermöglicht werden? Diese Frage stellt sich einerseits für jede einzelne beschäftigte Person in ihrem Arbeitsfeld, andererseits bei der Weiterentwicklung und Ausrichtung der gesamten Werkstatt.
In Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes sind Mitbestimmung und Mitwirkung der Arbeitnehmer durch das Betriebsverfassungsgesetz geregelt. Für Menschen mit Behinderung in Werkstätten gilt seit 2001 die Werkstättenmitwirkungsverordnung (WMVO). Werkstätten der Caritas und des Diakonischen Werkes haben daran angelehnt eigene Mitwirkungsordnungen erstellt. So regelt die Caritas-Werkstätten-Mitwirkungsordnung (CWMO) Aufgaben, Unterrichtungs- und Mitwirkungsrechte der von den beschäftigten Menschen mit Behinderung gewählten Werkstatträte. Diese wachen über die Einhaltung von Ordnungen, gesetzlichen Vorschriften und vereinbarten Richtlinien, die für Werkstätten und deren Arbeit bestehen; sie regen an, geben Beschwerden weiter und wirken mit bei Fragen der Werkstattordnungen, bei Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, bei der Zuteilungsverwendung der Arbeitserlöse für die Entgeltzahlungen, bei der Festlegung von Entlohnungsgrundsätzen, bei Um- und Erweiterungsbauplanungen, bei allen Planungen für Fortbildungen der Werkstattbeschäftigten und bei sozialen Angeboten. Die Werkstatträte haben darüber hinaus umfangreiches Informationsrecht. Den Werkstatträten stehen auf Wunsch Vertrauenspersonen für eine Assistenz zur Verfügung.
Mitwirkung benötigt Einsatzbereitschaft
Um Mitwirkungsmöglichkeiten angemessen nutzen und ausfüllen zu können, braucht es zunächst einmal Vertreter aus dem Kreise der Beschäftigten mit der Bereitschaft, sich für ihre Kolleginnen und Kollegen zu engagieren. Jede Mitwirkungsverordnung ist jedoch immer nur so gut, wie in den Werkstätten genügend Mitwirkung ermutigende und ermöglichende Strukturen geschaffen, unterstützt und weiterentwickelt werden. Entscheidend ist, welchen Stellenwert Teilhabe bzw. Partizipation für die Trägervertreter (Vorstände), für die Leitenden und für das Fachpersonal der Werkstätten für behinderte Menschen haben.
Die Konferenz der Werkstätten für behinderte Menschen der Caritas in NRW und Niedersachsen ist eine Arbeitsgemeinschaft von Werkstätten in katholisch ausgerichteter Trägerschaft. Schon seit 1990 bietet sie den Werkstatträten und ihren gewählten Mitgliedern eine Plattform für Austausch, Information und Fortbildung.
Im Fortbildungswerk wurden bislang etwa 1500 Mitglieder von Caritas-Werkstatträten in 72 3-Tage-Seminaren für ihre Aufgaben fortgebildet. Auch für die Assistenzpersonen, die Werkstatträte zu ihrer Unterstützung aus dem Personal der Werkstätten wählen können, gibt es jährliche Informations- und Reflexionstreffen.
Um kompetente und autorisierte Mitwirkung leisten zu können, haben sich die Caritas-Werkstatträte in NRW im Jahr 2002 zu einer Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstatträte in Caritas-Werkstätten für behinderte Menschen zusammengeschlossen. Sie haben in demokratischer Weise selbsttätig eine Geschäftsordnung entwickelt und aus den eigenen Reihen eine Lenkungsgruppe gewählt.
Sie beraten den Vorstand der Konferenz in den Fragen, welche mit den in den Mitgliedswerkstätten beschäftigten Menschen mit Behinderung zu tun haben, so auch mit deren institutionellem Selbstverständnis und deren Perspektiven.
Jährlich gibt es vier Treffen mit Vertreterinnen und Vertretern der Werkstatträte der 27 Caritas-Werkstätten für behinderte Menschen in NRW.
Mitwirkung strengt an
Die Mitglieder von Werkstatträten sind für jeweils vier Jahre gewählte Beschäftigte in Werkstätten für behinderte Menschen. Nach ihren Wahlen müssen sie oft erst einmal lernen, mit demokratischen Denkweisen und nicht immer nur umsetzbaren Vorstellungen und Wünschen ihrer Mitbeschäftigten umzugehen. Eine Aufgabe im Werkstattrat erfordert, die eigenen Interessen zurückzunehmen, aber auch bei den Erwartungen, Forderungen und Beschwerden der Mitbeschäftigten zu erkennen, ob hier ein Gemeinschaftsanliegen oder ein eigennütziges Anliegen vorgetragen wird. Hier sind Mut, Selbstvertrauen, Einsatzbereitschaft und Kompetenz gefragt, um Unrealistisches und Unvernünftiges zu erkennen, zu besprechen und gegebenenfalls auch zurückzuweisen oder, was angebracht ist, auch weiterzutransportieren.
Es hat auch immer wieder Situationen gegeben, in denen Werkstattleitungen ihre Werkstatträte erkennbar zu steuern versuchten. Auch so etwas gilt es zu erkennen und sich auch angemessen davon abzusetzen. Scheinbeteiligungen entsprechen nicht ehrlicher Mitwirkung und bieten keine wirkliche Partizipation.
Der demokratische Prozess, der alle vier Jahre immer wieder neue Zusammenstellungen von Werkstatträten zustande bringt, erschwert eine kontinuierliche, erfahrungsbasierte Mitwirkungsarbeit.
Mitglieder von Werkstatträten stehen auch nicht selten wegen des erforderlichen Zeitaufwandes für ihre Aufgaben in ihren Werkstätten unter dem Druck von Leitenden und der Anmache von Mitbeschäftigten, die so ähnlich lauten können: "Muss du schon wieder weg?" "Was habt ihr da immer zu besprechen?" "Weißt du nicht, dass wir dann für dich mitarbeiten müssen?" Werkstatträte sind in ihren Werkstätten mit Ausnahme weniger Freistellungen für eine eigentlich andere Aufgabe zuständig. Zusätzlich noch in der Mitwirkung tätig zu sein bedeutet auch, sich einer fast doppelten Anforderung zu stellen. Bei einigen führt dies auch zu Überforderungserscheinungen.
Mitwirken zu können heißt teilhaben
Trotzdem bieten sowohl die Institution selbst als auch das demokratische Wahl-Verfahren der Werkstatträte große Chancen für emanzipatorische Entwicklungsprozesse. Emanzipation ermöglicht engagiertere Mitwirkung, und Mitwirkung bzw. Mitbestimmung heißt, teilzuhaben an Ablauf- und Gestaltungsprozessen in den Werkstätten für behinderte Menschen und darüber hinaus. Auch die politische Interessenvertretung ist ein Kennzeichen von Teilhabe und Partizipation.