Grenzen der Inklusion
Kinder können grausam seinAchim Pohl
Eine Mutter berichtet: Warum geht Matthias denn zur Förderschule, der ist doch so fit ...
... Diesen Satz hörte ich in den letzten zwei Jahren so oft. Unser Sohn Matthias ist acht Jahre alt und wurde mit dem Down-Syndrom geboren. Mit dem Thema Schule wurden wir zum ersten Mal konfrontiert, als er vier Jahre alt war und am Sprachtest "Delfin 4" teilnehmen sollte, den die Kinder seines Jahrganges machen mussten, die im folgenden Jahr eingeschult wurden. An diesem Punkt sollten wir schon die Weichen für das weitere Leben unseres Sohnes stellen!
Bis zu diesem Zeitpunkt haben wir uns als fast normale Familie mit zwei Kindern gefühlt. In der integrativen Tagesstätte und im Umgang mit seiner sieben Jahre älteren Schwester Leonie und deren Freunden gab es genug Kontakt zu nicht Behinderten. Matthias entwickelte sich bestens, Lob und Anerkennung wegen seiner tollen kognitiven Entwicklung kamen von allen Seiten, deshalb machte ich mich mit Unterstützung meiner Familie auf den langen Weg der Suche nach der geeigneten Schule.
Ich schaffte es, dass Matthias ein Jahr zurückgestellt wurde, und hatte fast zwei Jahre Zeit, mich mit Schulen, Integrationshelfern, Eltern und deren Kindern zu beschäftigen. Familien luden mich zu sich ein, Eltern gaben bereitwillig Auskunft in langen Telefongesprächen, Lehrer und Schulleiter der beiden Integrationsschulen in unserem Einzugsgebiet luden mich ein, im Unterricht zu hospitieren. In dieser Zeit lernte ich sehr viel, gerade von den Eltern der integrativ beschulten Kinder, wobei alle Kinder das Down-Syndrom hatten. Ich sah Kinder in Integrationsklassen mit 23 Kindern, die mit der Integrationshelferin fleißig geübt hatten, und war von den enormen Leistungen begeistert.
Ich führte Gespräche mit deren Eltern und bekam von allen die Rückmeldung, dass es ab dem 2. Schuljahr schwierig wurde und die Kinder frustriert waren, wenn es mit dem Rechnen nicht so gut klappte wie bei den Mitschülern. Die Eltern bemerkten zunächst Verhaltensauffälligkeiten, deren Ursache erst nach längerer Zeit mit therapeutischer Hilfe geklärt werden konnte, da die Kinder ihre Nöte nicht ausdrücken konnten.
Ich hörte von Integrationshelfern, dass sie die Pausen mit dem Kind verbrachten, die Mitschüler sich wohl interessierten, besonders am Anfang, aber es keine Freundschaften auf Augenhöhe gab. Auf der anderen Seite hatte ich aber auch eine große Angst vor der Entscheidung, Matthias für den Rest seines Lebens in die Behindertenecke zu stellen ...
Also nächster Ansatz: Was passiert eigentlich in der Förderschule mit meinem Kind? Wird es auch genug gefordert? Ist es eine Verwahranstalt, in der mein fittes Kind die, die es härter getroffen hat, "bespaßt" und sich ansonsten langweilt? Ich hatte Glück, einige kompetente Menschen, u. a. eine Lehrerin der Franz-Sales-Förderschule, persönlich zu kennen, und in etlichen Gesprächen zerstreuten sich meine Bedenken.
Es musste irgendwann einfach eine Entscheidung getroffen werden, und es war klar, dass das Gras nicht schneller wächst, wenn ich daran ziehe. Damit will ich sagen, dass unser Sohn heute in einer Klasse mit sechs anderen Kindern, zwei Lehrern und zwei zusätzlichen Kräften entsprechend seinem individuellen Lerntempo gefördert und gefordert wird und dabei gute Fortschritte in allen Bereichen macht. Er hat gelernt, sich seinen Mitschülern gegenüber zu behaupten, und ist selbstbewusster geworden.
Inklusion bedeutet (auch) teilnehmen und teilhaben auf Augenhöhe.Achim Pohl
Entscheidend für die Schulwahl war auch die zu erwartende Förderung der lebenspraktischen Fähigkeiten. Ich schätze die Kooperation der Lehrer mit uns sehr, so kommt unser Sohn gut voran. Matthias kann sich auf Augenhöhe mit seinen Mitschülern messen, wobei er mal der Stärkere und mal der Schwächere ist. Er hat einen besten Freund und wird zu Kinder-geburtstagen eingeladen. Bei Schulaufführungen sitzt er nicht am Rand und bestaunt die anderen Kinder, sondern er ist dabei und mittendrin, weil es die Schulform zulässt, dass es genug Zeit für so wichtige Aktivitäten wie Musikmachen und Theaterspielen gibt.
Grundsätzlich finde ich es richtig, Kinder mit Behinderungen in die Regelschulen zu integrieren, wobei es im bestehenden System in erster Linie den Kindern ohne Behinderung zugutekommt. Deren soziale Kompetenz wird dadurch geschult. Die Kinder mit Behinderungen bekommen zu wenig Unterstützung, weil die Lehrer mit der großen Anzahl Schüler überfordert sind.
Ich habe den Kampf einer Mutter erlebt, die ihren körperbehinderten Sohn vergebens am Gymnasium ihrer Wahl anmelden wollte. Hier scheiterte es in erster Linie an dem Interesse der Schulleitung und der Angst der Lehrer vor der Mehrbelastung und nicht an mangelnder Barrierefreiheit des Gebäudes.
Fazit: Am wichtigsten ist, dass unsere Kinder glücklich sind, Anerkennung erfahren, die Möglichkeit haben, Spaß zu haben und Freundschaften zu schließen. Nur so ist auch entspanntes Lernen möglich, gerade für unsere Kinder mit besonderen Bedürfnissen. Matthias geht jeden Morgen sehr gerne zur Schule. Sie ist für ihn ein geschützter Raum, in dem er sich selbstständig bewegt. Von hier aus kann er etliche Integrationsangebote seiner Schule bezüglich Sport, Kultur und Kooperationsprojekte mit anderen Essener Schulen wahrnehmen. Wir haben die Entscheidung für die Förderschule nicht ein einziges Mal bereut und sind froh, uns so entschieden zu haben.