Bewusst einbezogen
Es dampft, es zischt und es riecht lecker nach Mittagessen - Melissa Zacher bahnt sich ihren Weg durch die geschäftige Küche des Studentenwerks auf dem Uni-Gelände in Essen. Gemeinsam mit ihren Kollegen bereitet sie hier jeden Tag Zutaten für rund 2.500 Essen vor, hilft bei der Zubereitung der Mahlzeiten und sorgt dafür, dass das Geschirr aus der Mensa wieder sauber wird. Auf den ersten Blick unterscheidet sich die 21-Jährige nicht von den anderen Mitarbeitern. Und doch hat sie etwas geschafft, von dem viele andere Menschen nur träumen: Trotz ihrer geistigen Behinderung hat sie einen regulären Arbeitsvertrag in einem ganz normalen Unternehmen bekommen.
Sie ist stolz auf ihre Leistungen, denn sie hat hart an sich gearbeitet. "Ohne Unterstützung", da ist sich Melissa sicher, "hätte ich das aber nicht geschafft." Weil sie in der Förderschule eine gute Schülerin war, schlugen sie ihre Lehrer 2008 für die Teilnahme am EU-Modellprojekt "BIN IM BERUF" vor. Ziel dieser im Franz-Sales- Haus konzipierten Maßnahme war es, leistungs-starken Förderschülern aus Essen und Mülheim den Weg in den Arbeitsmarkt zu ebnen. Nach einer Eignungsanalyse und der praxisorientierten Anleitung können die Schüler unterschiedliche Arbeitsfelder erproben. "Ich habe mich ziemlich schnell für den Hotel- und Gaststättenbereich entschieden", berichtet Melissa Zacher. "So zielstrebig wie sie sind nicht alle Jugendlichen", weiß Fallmanager Martin Schnell aus dem Franz-Sales- Haus. Viele Teilnehmer kommen mit eher unkonkreten Berufswünschen, wollen "Wissenschaftler" werden oder "was mit Tieren" machen. "Gemeinsam mit den Jugendlichen finden wir durch die Eignungsanalyse heraus, welche Fähigkeiten die Teilnehmer mitbringen und für welche Berufsfelder sie sich besonders gut eignen würden", so Martin Schnell.
Im Franz-Sales-Haus hat Melissa das Berufsfeld Hotel und Gastronomie sowie die Hauswirtschaft kennengelernt. Sie wurde gezielt auf die Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarkts vorbereitet und ist nur noch einen Tag pro Woche zur Schule gegangen, um den Kontakt zu halten. Nach einem halben Jahr war sie dann so weit: Sie konnte durch ihre Praktika erste Erfahrungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sammeln. Nach Abschluss der Maßnahme kam der Case-Manager zu dem Fazit: Die damals 19-Jährige hat das Potenzial für eine Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt. "Probleme gab es allerdings mit dem Arbeitstempo und der Selbstständigkeit", erinnert er sich. Deshalb empfahl er ihr die Teilnahme an dem Qualifizierungsprogramm "Unterstützte Beschäftigung".
"Ich fühle mich hier wohl"
"Während die Teilnehmer in anderen Maßnahmen für eine Tätigkeit qualifiziert werden, ist es bei der ‚Unterstützten Beschäftigung‘ genau umgekehrt", erklärt die Sozialpädagogin Meike Giebelstein, die Melissa Zacher betreut. "Die Teilnehmer werden von uns an den Arbeitsplatz begleitet und dort im Hinblick auf die Anforderungen passgenau qualifiziert." Susanne Gorell, Bereichsleiterin der Campusgastronomie an der Universität Duisburg-Essen, fand dieses Konzept überzeugend: "Wir sind guten Projekten gegenüber offen und fördern gerne junge Leute." Sie hatte zwar schon früher Erfahrungen mit Praktikanten gemacht, war damit jedoch selten glücklich. "Die Eingliederung ist eher schwierig, denn im laufenden Betrieb haben die Mitarbeiter kaum Zeit für eine intensive Betreuung." Im Fall von Melissa Zacher war das anders. "Durch die enge Zusammenarbeit mit dem Franz-Sales-Haus ist uns die betriebliche Integration gut gelungen", meint Küchenchef Achim Herrmann.
Dabei hat sich das Sprichwort "Aller Anfang ist schwer" für Melissa zunächst bewahrheitet: Als jüngste Kollegin mit schüchternem Naturell musste sie sich in das eingespielte Küchenteam mit rund 40 erfahrenen Mitarbeitern einfügen. Die Angst, nicht akzeptiert zu werden und den Anforderungen nicht zu genügen, wuchs von Tag zu Tag. Aufgrund ihres Sprachfehlers war sie zudem extrem reserviert und zog sich immer mehr zurück. Kurz bevor sie hinschmeißen wollte, vertraute sie sich schließlich ihrer Betreuerin aus dem Franz-Sales-Haus an. "Sie war plötzlich ganz aufgelöst", erinnert sich Meike Giebelstein. "Ich habe sofort mit der Küchenleitung gesprochen, und anschließend gab es ein gutes Teamgespräch mit den anderen Mitarbeitern." Die Situation klärte sich umgehend, denn die Mitarbeiter gingen aktiv auf die junge Kollegin zu. Melissa wurde bewusst einbezogen und hatte endlich das Gefühl, richtig dazuzugehören. "Wir sind froh, dass wir Frau Zacher direkt nach ihrer Maßnahme einen regulären Vertrag anbieten konnten", berichtet Küchenleiter Herrmann. "Sie ist motiviert, leistet gute Arbeit und passt in unser Team." Inzwischen kennt sich Melissa gut aus, ist routinierter und selbstsicherer geworden. "Ich fühle mich hier wohl und möchte nichts anderes mehr machen", sagt sie zufrieden lächelnd. "Ich habe in den letzten Jahren eine Menge gelernt. Und das Wichtigste ist: Man kann alles schaffen, wenn man es wirklich will!"
Benachteiligten Jugendlichen und Erwachsenen leisten Einrichtungen wie das Essener Franz-Sales-Haus Hilfestellung im Bereich der beruflichen Eingliederung. Die unterschiedlichen Bildungsmaßnahmen sollen zu einer Ausbildung oder Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt befähigen, im Idealfall sind sie praxisnah und an den Bedürfnissen der Teilnehmer orientiert. In speziellen Integrationsunternehmen können auch schwerbehinderte Menschen langfristig am Arbeitsleben partizipieren und ihre beruflichen Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verbessern.