Nicht abschreiben!
In der Diözese Münster protestierten die Mitarbeiter in Geldern, Ahlen, Moers und Münster gegen die vom Bundeskabinett vor kurzem beschlossene "Instrumentenreform" der Eingliederungshilfe in den Arbeitsmarkt. Im Ergebnis soll sie nach einem ersten Schritt zu Jahresanfang weiter von 6,6 Milliarden bisher um 41 Prozent auf 3,9 Milliarden Euro gekürzt werden.
"Damit wird Beschäftigungsförderung kaum noch möglich sein", kritisierte Diözesan-Caritasdirektor Heinz-Josef Kessmann im Jugendausbildungszentrum in Münster: "Wir dürfen die Langzeitarbeitslosen aber nicht abschreiben". An ihnen gehe der Aufschwung praktisch komplett vorbei und es gebe für sie nur eine Chance mit intensiver Unterstützung.
In der Instrumentenreform soll vor allem als zusätzliches Kriterium eingeführt werden, dass die Beschäftigung "wettbewerbsneutral" sein muss und nicht wie bisher schon nur "zusätzlich" und in "öffentlichem Interesse". Das, so Kessmann, würde eine "marktnahe" Förderung praktisch ausschließen und die Chancen der Langzeitarbeitslosen auf eine Beschäftigung nach der Maßnahme weiter vermindern. Als ebenso hinderlich könnte sich die im Gesetzespaket ebenfalls geplante Kürzung der Fördermittel erweisen. Könnte sie bisher dem individuellen Bedarf angepasst werden und lag in 2010 bei durchschnittlich 266 Euro, soll sie künftig auf maximal 150 Euro pro Monat begrenzt werden.
Noch immer haben 1,1 Millionen Menschen seit mindestens zwei Jahren keine Arbeit gefunden, eine halbe Million ist sogar seit 2005 arbeitslos. Wie die Erfahrungen aus den vergangenen Jahren mit Ein-Euro-Jobs und dem Programm "Jobperspektive" zeigen, kann es bei entsprechender Förderung gelingen, vielen eine Perspektive zu geben. Wobei für Kessmann klar ist, dass es für einen Teil einen dauerhaft geförderten zweiten Arbeitsmarkt geben muss. Aber: "Es ist sicher sinnvoller, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren."
Mit Transparenten und Trillerpfeifen demonstrierten in Paderborn rund 200 Personen für die weitere Unterstützung von Langzeitarbeitslosen durch öffentlich geförderte Arbeit. Veranstalter war der Arbeitskreis sozialer Beschäftigungsträger im Kreis Paderborn. Die Teilnehmer des Demonstrationszuges zogen vom Jobcenter zur Agentur für Arbeit am Hauptbahnhof.
Johannes Bracke, Geschäftsführer des katholischen Vereins für soziale Dienste in Paderborn (SKM), erinnerte in seinem Abschluss-Statement daran, dass trotz positiver Zahlen vom Arbeitsmarkt mehr als eine Million Menschen langzeitarbeitslos sind, davon die Hälfte länger als zwei Jahre. "Zahllose vergebliche Bewerbungen haben sie entmutigt, teilweise wurde sie depressiv und fühlen sich wertlos, von der Gesellschaft nicht gebraucht."
Die derzeitige Politik der Bundesregierung lasse befürchten, dass diese Menschen abgeschrieben und auf eine lebenslange Alimentierung durch den Staat angewiesen sein werden. Nicht nachvollziehbar sei die Kritik von Bundesarbeitsministerin von der Leyen an den Ein-Euro-Jobs, die reguläre Arbeitsplätze verdrängen und keine Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt böten. "Ich weiß nicht, wo die Ein-Euro-Jobs so falsch laufen. Bei uns in Paderborn gibt es eine enge Abstimmung mit dem JobCenter, der Agentur für Arbeit und anderen Partnern um genau dies zu verhindern."
In der Kritik stehen für die sozialen Beschäftigungsträger die Hürden, die für Arbeitsgelegenheiten z. T. neu aufgebaut werden, insbesondere Merkmale wie "Zusätzlichkeit" und "Wettbewerbsneutralität". Hier würden Scheinarbeitswelten geschaffen, die nichts mit Integration zu tun hätten. Johannes Bracke bleibt da nur Sarkasmus: "Vielleicht sollen wir ja alle sozialen Beschäftigungsträger auffordern, einen großen Platz zu suchen, auf den wir einen großen Haufen Sand kippen können, den wir an geraden Arbeitstagen nach links und an ungeraden Arbeitstagen wieder rechts schaufeln können. Das ist wettbewerbsneutral - aber idiotisch!"
Neben den Arbeitsgelegenheiten seien auch erfolgreiche Programme wie die "Jobperspektive" gefährdet. "Ich habe nie ein besseres Programm erlebt, das Menschen, die ansonsten keine Chance haben, in der Arbeitswelt eine Perspektive für einen Job gibt", sagte Bracke. Das von der Politik vorgebrachte Kostenargument sei gerade bei der "Jobperspektive" fehl am Platz, weil die Kosten dieses Arbeitsplatzes nicht allein von der öffentlichen Hand finanziert werden. Die jeweilige Arbeitsstelle gibt bis zu 35 Prozent der Personalkosten dazu. Allein im Bereich des Erzbistums Paderborn seien durch dieses Programm über 300 neue Arbeitsplätze für benachteiligte Personen geschaffen worden.
Zusätzlich zur Demonstration fand beim Diözesan-Caritasverband Paderborn ein Gespräch von Vorstand und Verwaltungsrat des Verbandes mit dem heimischen Bundestagsabgeordneten Carsten Linnemann (CDU), Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Soziales, statt. In Bezug auf die Trägerpauschale zu Arbeitsgelegenheiten unterstützte Linnemann das Anliegen der Caritas, die Mittel nicht bundesweit zu deckeln, sondern individuell und orientiert am jeweiligen Förderbedarf der langzeitarbeitslosen Personen auszurichten. Zusätzlich müsse der Bereich der Prävention von Langzeitarbeitslosigkeit verstärkt in den Blick genommen werden.
In Münster diskutierte SPD-MdB Christoph Strässer mit den Caritas-Vertretern und betroffenen Mitarbeitern im Jugendausbildungszentrum. Im Ahlener Sozialkaufhaus von Horizonte trafen sich mehrere Bundestagsabgeordnete und Bürgermeister am Nachmittag zu einer Gesprächsrunde.
In Gelsenkirchen wandte sich die Caritas per Brief an zahlreiche Politiker mit dem Ziel, sie von der notwendigen Korrektur der "Instrumentenreform" zu überzeugen". Außerdem kündigte der dortige Verband Einladungen zu einem Tag der offenen Tür in das "Job-Café" in der Gelsenkirchener Neustadt und in das Sozialkaufhaus in-petto, einem Integrationsbetrieb der Caritas in Gelsenkirchen-Bismarck, an. "Wir hoffen, dass die konkrete Begegnung zwischen Betroffenen und politisch Verantwortlichen, diese von der nötigen Modifizierung des Entwurfes überzeugt", so Christian Stockmann, Fachbereichsleiter "Gesundheit und Soziales" bei der Caritas Gelsenkirchen.
Eine Übersicht über die Standorte der Aktion, weitere Informationen zum Thema und einen Film über die Erfahrungen eines langzeitarbeitslosen jungen Mannes finden Sie unter www.caritas.de/langzeitarbeitslos.