Alleinerziehend und Vater
Das Telefon und die Türklingel gehen gleichzeitig. Der Anrufbeantworter schaltet sich an und Mia öffnet ihren beiden Freundinnen die Tür. Die Schulaufgaben sind noch nicht gemacht, geputzt und eingekauft werden muss auch noch. Trotzdem lehnt sich Markus Holzer (Name von der Redaktion geändert) entspannt zurück und trinkt seinen Kaffee erst einmal zu Ende. Nach einer Vater-Kind-Kur hat er wieder Kraft geschöpft für den Haushalt als alleinerziehender Vater mit einer Tochter.
Vor drei Jahren hatte sich Holzer (43) von seiner Frau getrennt. Den Erziehungsauftrag für seine 10-jährige Tochter ist ihm damals zugesprochen worden, da sie eine engere emotionale Bindung zu ihrem Vater entwickelt hatte. In der ersten Zeit nach der Trennung war er sich unsicher, ob er das Lebensumfeld für seine Tochter und sich stabil halten kann. Würde er als vollzeitbeschäftigter Betriebstechniker in einem Pharmaunternehmen seine Arbeit und die Betreuung seiner Tochter unter einen Hut bringen können? Ließ sich das Einfamilienhaus halten? "Ich wollte so viel wie es geht für mein Kind da sein, musste aber während meiner Berufstätigkeit ihre Betreuung organisieren", erinnert sich Holzer. Es gelang, mit dem Arbeitgeber ein familienfreundliches Arbeitszeitmodell zu vereinbaren und mit der Nachbarin und der Oma zwei zusätzliche feste Betreuungspersonen für die Tochter zu aktivieren.
Doch nach drei Jahren als alleinerziehender Vater sah er sich in "einer Mühle, in der ich immer für das Kind und mich funktionieren musste, fühlte ich mich ausgepowert und leer". Aber auch seine Tochter habe sich seit der Trennung umstellen und "funktionieren" müssen, damit sie gemeinsam den Alltag bewältigen konnten. So suchte er nach einer Möglichkeit der zeitweisen Entlastung. "Ich wollte mit meiner Tochter einmal ganz raus aus diesem Alltagstrott." In der Beratungsstelle des Caritasverbandes wurde ihm eine Vorsorgemaßnahme in der Fachklinik Thomas Morus auf Norderney empfohlen. In der Klinik wird eine speziell auf die Bedürfnisse von Männern ausgerichtete Vater-Kind-Kur angeboten.
"Ein sehr geschützter Raum" war die dreiwöchige Kur in einem überschaubaren Kreis von 40 Männern mit ihren Kindern. Neben den Therapienangeboten der Klinik waren ihm die Gespräche mit den anderen Vätern besonders wichtig. "Da waren viele bereit, von sich zu erzählen und Erfahrungen weiterzugeben." Medizinische und therapeutische Angebote wechselten ab mit sportlichen Aktivitäten sowie frei gestaltbare Zeit mit seiner Tochter und den anderen Familien. "Mir hat das Meer besonders gut gefallen und das Muscheln sammeln", erzählt Mia. Auch neue Freunde hat sie kennen gelernt, mit denen sie den Briefkontakt weiter pflegen möchte. Die Schulaufgabenbetreuung sei "nicht schlimm" gewesen, "aber am liebsten hätte ich meine ganze Klasse mit auf die Insel genommen", sagt sie strahlend.
Die Achtsamkeit für seinen Körper und seine Bedürfnisse, die er in der Kur erlernt hat, wolle er sich auch künftig bewahren, wenn es im Alltag wieder stressig wird, sagt Markus Holzer. "Viele Väter sind permanent bereit, ihre freie Zeit für das, was angeblich getan werden muss, zu opfern." Holzer will aber künftig stärker freie Zeit für gemeinsame Aktivitäten mit seiner Tochter, aber auch für sich alleine reservieren. So hat er es in der Kur kennengelernt . Auch habe er gelernt, seiner Tochter nicht immer fertige Lösungen für sämtliche Alltagsprobleme anbieten zu müssen: "Ich muss auch mal mit 80 Prozent zufrieden sein dürfen." Mit dieser neuen Zufriedenheit könne auch seine Grundstimmung wieder stabiler und besser werden, die für die Qualität des Zusammenlebens im Alltag mit seiner Tochter so wichtig ist.
Zur Alltagsqualität gehört etwa das 20-Minuten-Ritual am Nachmittag, wenn Vater und Tochter nach Hause kommen, um vom Tag zu erzählen und zueinander zu finden. Sie sehen sich gerne gemeinsam Natur-Dokumentationen im Fernsehen an oder fahren zusammen Fahrrad. Am Wochenende auch schon mal eine Tagestour über 50 Kilometer, erzählt Mia stolz. Eine gute Gelegenheit, die neuen Strategien für einen gelingenden Alltag mit seiner Tochter zu reflektieren, ist das Nachgespräch in der Caritas-Beratungsstelle. Dass er mit seiner Tochter zusammenleben darf, empfindet er als Lebenschance, die er für sich und seine Tochter nutzen will. "Sie hat schließlich ein Anrecht auf eine glückliche Kindheit."
* Namen von der Redaktion geändert
Die Zahl der Alleinerziehenden (sog. Ein-Eltern-Familien) ist von 274 000 im Jahr 1999 auf 325 000 im Jahr 2009 gestiegen.
Rund 465 000 Kinder unter 18 Jahren Leben in einer Ein-Eltern-Familie (das sind 15 Prozent aller Kinder in NRW).
Sozialberichterstattung NRW 2011