Nur positive Effekte!
Ob suchtkranke oder wohnungslose Menschen ins Café Plattform der Caritas Aachen am Bahnbetriebswerk hinter dem Hauptbahnhof kommen, nach einem Getränk fragen, eine Beratung wahrnehmen oder ein warmes Essen haben möchten, Mark Krznaric kennt viele ihrer Geschichten. Er leitet die Einrichtung, die ursprünglich als Einrichtung der Wohnungslosenhilfe an der Hermannstraße beheimatet war. "Ob sie wohnungslos sind oder eine Suchterkrankung haben, die Problemlagen unserer Besucherinnen und Besucher sind oft ähnlich", sagt der 42-Jährige. Der Sozialarbeiter ist froh, dass die Caritas Aachen im Jahr 2022 ihre Kompetenzen aus den Fachreferaten Eingliederung und Sucht im Café Plattform gebündelt hat und dort nun ein Angebot machen kann, das auf Wohnungslose mit und ohne Suchterkrankung ausgerichtet ist. Sieben Jahren beschäftigte sich der Verband mit diesem Plan und folgte schließlich dem, was Experten schon seit geraumer Zeit sagen: Gerade bei niedrigschwelligen Angeboten, wie sie das Café Plattform bietet, sind Angebote für Wohnungslose und Suchtkranke kaum noch zu trennen. "Sucht und Obdachlosigkeit gehen oft Hand in Hand. Früher hatten wir zwei getrennte Läden: den Kiosk Troddwar am Kaiserplatz, er gehörte zur Suchthilfe. Und das Café Plattform gehörte zur Eingliederungshilfe. Beide hatten und haben fast die gleiche Zielgruppe. Da ist es nur logisch, das Angebot im Sinne der Zielgruppe an einem Ort anzubieten", erläutert der Sozialarbeiter. Schließlich war es die Corona-Pandemie mit den Hygiene-Anforderungen, die die Initialzündung gab, lang gehegte Pläne umzusetzen.
Im November 2020 sah sich die Caritas Aachen als Trägerin des Cafés Plattform und des Kiosks Troddwar gezwungen, eine Raumalternative zu suchen. Die fand sich in der Kirche St. Peter, unweit des Aachener Bushofs. Die Gemeinde stellte der Caritas die Kirche zur Verfügung, weil dort genügend Raum ist, die Angebote für Wohnungslose und Suchtkranke weiter aufrechtzuerhalten. Mit wenigen Handgriffen verwandelte die Caritas die im Halbrund angeordneten Kirchenbänke in Sitzgruppen mit Tischen. Auf der Empore der Kirche gibt es Beratungsangebote. Auch auf die regelmäßige Ausgabe des warmen Mittagessens muss keiner der Besucher verzichten. "Das war der Testfall, und es hat funktioniert, wir haben nur positive Effekte gesehen", sagt Lorena Worms, Teamleitung des Cafés Plattform. Das veranlasste die Caritas Aachen, den Ansatz zu verstetigen und der Stadt ein entsprechendes Konzept vorzulegen. Ergebnis: Vor zwei Jahren zog das Café Plattform an seinen heutigen Standort an der Reumontstraße.
Das Café Plattform umfasst heute einen Verbund von niedrigschwelligen Anlaufstellen für Wohnungslose und Suchtkranke. Dazu gehören die Einrichtungen Café Plattform und die Notschlafstelle im gleichen Haus, der Kiosk Troddwar, der mit seinen Angeboten für Suchtkranke weiterhin am Kaiserplatz beheimatet ist. "Wir haben es dort unter anderem mit der Kokain-Konsumentenszene zu tun. Die findet nach unseren Erfahrungen nicht den Weg in die Beratung. Also ist für die weiterhin der Kiosk Troddwar die Anlaufstelle", sagt Hüseyin Kizmaz, Streetworker im Café Plattform. Auch das Angebot, Spritzen zu tauschen und saubere Konsummittel zu bekommen, hält die Caritas dort vor. Dem Café Plattform sind des Weiteren das Streetworkangebot, die medizinische Ambulanz und das Projekt Querbeet zugeordnet sowie das ambulant betreute Wohnen. Queerbeet ist eine tagesstrukturierende Beschäftigungsmaßnahme für suchtkranke, substituierte, wohnungslose Langzeitarbeitslose. Die Projektteilnehmenden bepflanzen und pflegen im öffentlichen Raum befindliche Pflanzkübel. Nicht zu unterschätzender Nebeneffekt des Projektes: Eine oft als störend empfundene Szene wird wahrgenommen als eine Gruppe, die sich um das Viertel kümmert.
Mark Krznaric sieht nur Vorteile im Zusammengehen von Sucht- und Wohnungslosenhilfe. "Ein deutlich besseres und effektiveres Hilfesystem ist jetzt möglich", sagt er. Dafür sorgen 36 im Café Plattform beschäftigte Personen, von der studentischen Hilfskraft über Sozialarbeiter bis zur Ärztin und Krankenschwester. Suchtkranke und Wohnungslose haben nun gleichermaßen Zugriff auf die Notschlafstelle. Beide Gruppen haben auch den gleichen Beratungsbedarf. Wohnungslosigkeit, so erläutert Krznaric, bringe viele Herausforderungen mit sich, unter anderem monetäre Armut, Vereinsamung, Mangel an Wohnraum und häufig auch Suchtprobleme. Was früher zwei unterschiedliche Beratungsstellen abwickelten, erledigt nun eine. Auch die medizinische Versorgung ist jetzt einfacher, zudem ist rund um die Uhr an allen Tagen des Jahres eine Ansprechperson erreichbar.
Das Kontaktcafé im Café Plattform hat täglich rund 100 bis 120 Besucherinnen und Besucher. Rund 29 Übernachtungsgäste werden in einer Woche in der Notschlafstelle gezählt. Pro Monat beteiligen sich zwischen 40 und 70 Personen an den Angeboten des Projektes Querbeet. Jeden Tag gibt es zwischen 15 und 20 Beratungen, und 50 warme Mahlzeiten werden täglich verkauft.
Auch wenn Sucht- und Wohnungslosenhilfe nun im Café Plattform kooperieren, die beiden Referate Suchthilfe und Wohnungslosenhilfe hat die Caritas Aachen nicht abgeschafft. Aus gutem Grund, wie Mark Krznaric findet: "So bleibt der Blickwinkel der Kolleginnen und Kollegen auf das eigene Referat und die fachlichen Entwicklungen immer geschärft, und davon profitiert auch die Kooperation im Café Plattform."
Befürchtungen, die es auch in Teilen der Politik gab, haben sich nicht bewahrheitet. "Es gab Stimmen, die fürchteten einen Ballungseffekt zweier Probleme", sagt Krznaric. Die Politik verstehe das Konzept und erkenne an, dass es niedrigschwellige Angebote geben müsse. Ihr sei bewusst, dass Sucht ein Motor für den sozialen Abstieg sei. Und von anderen Stellen oder Kommunen landeten Anfragen bei der Caritas in Aachen. "Sie wollen wissen, wie wir das machen. Unser Konzept versenden wir mittlerweile sehr häufig", freut sich der Sozialarbeiter.
Café Plattform
Reumontstraße 3-5
52064 Aachen