In langsamen Schritten weitergehen
Bunt und geschäftig geht es zu im Joseph-Cardijn-Haus. Die Regale und Tische sind voll mit kleinen und großen kreativen Projekten: großflächige Bilder, Armbänder, Schmetterlinge aus Papier. Ein Highlight ist allerdings eine Katze aus Holz. "Streicheln Sie mal", sagt Sascha Szkudlarek. Kaum zu glauben, aber die Katze schnurrt bei Berührung, ihre kleinen Lämpchen-Augen leuchten. Szkudlarek ist einer von 15 Teilnehmenden der Arbeitsgelegenheit (AGH) "Perspektive im Blick", die unter Anleitung solche Upcycling-Produkte herstellen. Die Materialien dazu kommen als Spenden über den Caritasverband. Im Werkraum haben die Teilnehmenden die Möglichkeit, Projekte sowohl im Bereich Computer, Elektrotechnik und Elektronik als auch in den Bereichen Metall- und Holztechnik umzusetzen. In der Hauswirtschaft stehen ihnen Nähmaschinen, Leinwände und verschiedenste Kreativutensilien zur Verfügung. In der Probierküche lernt die Gruppe, gesund und kostengünstig zu kochen und Lebensmittel nachhaltig und schonend zu verarbeiten. Montags steht ein gemeinsamer Spaziergang auf dem Programm. Mittwochs wird zusammen gefrühstückt oder zusammen gekocht und gegessen. "Das Gemeinsame, dem Tischnachbarn auch mal die Butter zu reichen, sich familiär zu verhalten, das kennen viele Teilnehmende nicht, sie brauchen und genießen es aber", sagt die Sozialarbeiterin Anaid Schulz, die Ansprechpartnerin der AGH ist. Diese Maßnahme richtet sich vorrangig an Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen von illegalen Suchtmitteln. Sie war vor drei Jahren das erste Angebot für diese Zielgruppe in Dortmund. Den Grundstein legte 2018 das Programm "Mit dem Blick nach vorn", das Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen von legalen Suchtmitteln eine Arbeitsgelegenheit bietet. Aufgrund des großen Bedarfs wurde das Programm auf Konsumentinnen und Konsumenten illegaler Suchtmittel ausgeweitet. Beide Zielgruppen brauchen einen strukturierten Alltag und suchen mittelfristig einen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt. Arbeitsgelegenheit - das bedeutet jedoch auch, dass die Menschen lediglich eine Mehraufwandsentschädigung von zwei Euro pro geleisteter Arbeitsstunde erhalten. Dennoch sind beide AGH-Programme in der Regel voll ausgelastet - ein Zeichen für ihre Bedeutung in der Dortmunder Suchthilfelandschaft.
Sascha Szkudlarek ist seit sieben Wochen dabei und möchte die Möglichkeit nicht missen. "Es gibt mir Kraft, hier zu sein. Ich habe eine legale und illegale Suchtproblematik", sagt er. Einige Therapien habe er bereits hinter sich, hier sei er richtig aufgeblüht. Grundsätzlich sind die AGH als Anschluss an eine Reha- oder Entzugsbehandlung konzipiert, um einem Rückfall in alte Konsummuster entgegenzuwirken. Eine vollständige Suchtmittel-Abstinenz ist allerdings für die Teilnahme am Projekt nicht zwingend erforderlich, solange der Wunsch besteht, diese grundsätzlich zu erlangen, erklärt Anaid Schulz. "Menschen mit illegalen Suchterkrankungen sind oft substituiert oder haben Beikonsum, sie werden aus diesen Gründen woanders nicht aufgenommen oder dürfen bei Rückfällen nicht bleiben. Hier bei uns ist dies kein Ausschlusskriterium", sagt Schulz. Die Caritas schicke die Teilnehmenden höchstens mal einen Tag lang nach Hause. "Wir gehen immer ins Gespräch, bauen Vertrauen auf. Es geht weiter - in langsamen Schritten, aber es geht weiter", bekräftigt Schulz. "Wenn ich den Menschen Angst mache mit Sanktionen, dann konsumieren sie, weil sie Druck haben. Die Menschen brauchen aber eine Perspektive!" Der Name der AGH wird hier ernst genommen. Auch wenn Teilnehmende es doch einmal nicht schaffen, zur Arbeit zu kommen, oder mehrere Anläufe brauchen oder sich nicht mehr melden, wird der Kontakt gesucht, und sie werden immer wieder ins Programm aufgenommen. Auch das funktionierende Netzwerk von Caritas und IN VIA ist hilfreich, wenn es darum geht, in andere Arbeitsbereiche weiterzuvermitteln. "Die Menschen wollen gesehen werden und nicht abgetan", sagt Schulz.
Sascha Szkudlarek weiß genau, wo die AGH ihn hinbringen soll: "Ich habe einen Staplerschein und möchte wieder in einem Warenlager arbeiten. Aber dafür muss ich wieder stabil werden." Dazu gehören auch ein geregelter Tagesablauf und eine Beschäftigung. "Morgens aufstehen muss ich sowieso wegen meiner Katzen. Aber als ich noch nicht hier gearbeitet habe, war der erste Gang der zum ,Netto‘, um Alkohol zu kaufen."
In den oberen Stockwerken im Joseph-Cardijn-Haus arbeiten 18 Teilnehmende der AGH "Mit dem Blick nach vorn" in einer Kreativwerkstatt und einem Holzwerkraum. Sie fertigen Kunst aus Holz, Stoff und Pappmaché, so professionell und so heiß begehrt, dass die Stücke bei Spendenauktionen regelmäßig verkauft werden können. Einige der Teilnehmenden konnten aus diesen Werkstätten bereits in Ausbildungen vermittelt werden, weil sie so erfolgreich waren.
Szkudlarek hat zunächst ein kurzfristiges Ziel: "Ich möchte mir selbst einen Brief schreiben", sagt er. So soll man sich auch mal auf die Schulter klopfen können für das, was man schon geschafft hat. Und reflektieren, was man noch erreichen möchte und was man dazu braucht. "Wir setzen dann gemeinsam einen Zeitpunkt fest, wann der Brief an sich selbst abgeschickt oder überreicht wird", erklärt Anaid Schulz. "Die Teilnehmenden sind oft ganz hart zu sich, weil sie es nicht anders gewohnt sind. Mit dem Brief sollen sie auch mal ihre Seele pflegen."
www.ksd-dortmund.de/in-via-dortmund
www.caritas-dortmund.de
Landesfachstelle berufliche und soziale Integration der Suchtkooperation NRW
https://lf-integrationundsucht.nrw
Auftraggeber ist das Jobcenter
Die Arbeitsgelegenheiten "Mit dem Blick nach vorn" und "Perspektive im Blick" sind Kooperationsprojekte von Caritasverband und IN VIA Dortmund. Pro Projekt stehen den Teilnehmenden je zwei Sozialarbeitende sowie Anleiter und Anleiterinnen von beiden Trägern zur Seite. Auftraggeber ist das Jobcenter Dortmund. Die Trägergemeinschaft aus Caritasverband und IN VIA ist Mitglied im Arbeitskreis (AK) der Arbeitsmaßnahmen für Menschen mit Suchterkrankungen in NRW. Dieser wird von der Landesfachstelle berufliche und soziale Integration der Suchtkooperation NRW mit Sitz in Paderborn organisiert und koordiniert. Der AK ist ein Zusammenschluss von (freien) Trägern, die sich für die genannte Zielgruppe einsetzen und vielfältige Möglichkeiten vorhalten, um mit den Teilnehmenden einen geregelten Tagesablauf aufzubauen, eine sinnstiftende Tätigkeit zu fördern und entsprechende Hilfestellung zur sozialen und beruflichen (Re-)Integration zu leisten.