Wie ein Stadtteil demenzfreundlich wird
Dieter Hoffe lebt gerne im Seniorenzentrum am Haarbach im Aachener Stadtteil Haaren. "Wir fühlen uns hier sehr wohl. Vor allem das Essen ist gut. Die lesen uns hier die Wünsche von den Augen ab", sagt der 78-Jährige. Seine Frau Hildegard (78) nickt. Gemeinsam bewohnen sie ein Doppelzimmer in der zweiten Etage des Hauses, das in Trägerschaft der Pfarre Christus unser Bruder ist. Dass das Paar nun in Aachen lebt und nicht - wie die längste Zeit seines Lebens - im geliebten Düsseldorf, vergisst es immer öfter. Dieter und Hildegard Hoffe sind dement.
Diese Erkrankung war auch der Grund, warum Bettina Weitzel für ihre Eltern einen stationären Pflegeplatz suchte. In ihrem Haus im nahen Kohlscheid konnte sie die Eltern nicht länger betreuen. "Meine Eltern in eine Einrichtung zu geben, fand ich zunächst schrecklich. Da sind bei mir auch viele Tränen geflossen", sagt sie. Ihre Wahl fiel schließlich auf das Seniorenzentrum am Haarbach. "Der Blickwinkel hier ist ein anderer. Es gibt immer ein freundliches Wort, für die Ängste der Angehörigen hat man hier viel Verständnis", sagt Bettina Weitzel.
Ein Blickwinkel, der immer stärker auch für den Stadtteil gilt. Möglich machte das Christoph Venedey. Er leitet das Seniorenzentrum. Ein Vortrag der niederländischen Pädagogin Maria Aarts über die von ihr für die Kinder- und Jugendhilfe entwickelte Marte-Meo-Methode gab den Anstoß. Dabei werden alltägliche Situationen zwischen Erziehern und Kind per Video aufgezeichnet und analysiert. "Dinge, die funktionieren, macht Maria Aarts mit ihrer Methode groß. Ich habe sie gefragt, ob das nicht auch für die Altenhilfe und im Umgang mit Dementen funktionieren könnte", erzählt Christoph Venedey. Mitarbeiter des Seniorenzentrums sind in dieser Methode geschult, auch gewann er Politiker, Geschäftsleute, Kirchen, Vereine und Behörden dafür. Und für seine Idee, Haaren auf die Bedürfnisse an Demenz erkrankter Menschen hin auszurichten. Mit einer Aachener Werbeagentur entwickelte er das Projekt "Demenzfreundliches Haaren". Eine Broschüre und ein Film entstanden, um Bürger für das Projekt ins Boot zu holen. Viele teilen nun die Idee. Deutlich wird das an vielen Geschäften, an denen an der Tür der runde pastellgrüne Aufkleber "Demenzfreundliches Haaren" klebt.
Auch an der Tür des gegenüber vom Seniorenzentrum gelegenen Frischemarktes ist der Aufkleber angebracht. An der Kasse des Geschäftes sitzt Renate Hüllenkremer. Ihre mittlerweile verstorbene Mutter war an Demenz erkrankt. Marte-Meo-Schulungen halfen auch ihr, mit dementen Kunden gut umzugehen. "Kürzlich kam eine an Demenz erkrankte Frau mit einer Strumpfhose zur Kasse, hatte aber kein Geld dabei. Da habe ich ihr gesagt: Ich lass die Strumpfhose hier liegen, holen Sie Geld, dann kommen Sie gerne wieder", erzählt die 55-Jährige.
Mit GPS-Sender unterwegs
Frank Prömpeler, Leiter des städtischen Bezirksamtes in Haaren, begrüßt, dass Christoph Venedey die Initiative ergriffen hat. Das Bezirksamt, das in der alten Schule von Haaren untergebracht ist, ist Ziel vieler älterer dementer Menschen. Ihnen ist der Gang zur Schule noch aus ihren Kindertagen vertraut. "Wenn sie zu uns kommen und einfach nur einmal reden möchten, werden sie genauso bedient wie jeder andere Besucher auch", sagt der 46-Jährige. Wenig hält er davon, Projekte wie "Demenzfreundliches Haaren" zum Standard in Kommunen zu machen. "Standards schleifen sich gerne ein. Ich fürchte, dass man dann dieses Projekt nutzlos macht", sagt Prömpeler. Viel wichtiger sei, in Haaren immer weiter für die Demenzfreundlichkeit zu werben.
Das sieht auch Peer Welski so. Seit 24 Jahren betreibt er in Haaren einen Optikerbetrieb. Durch das Projekt "sind sehr viele Menschen im Ort gegenüber der Erkrankung Demenz viel offener geworden", sagt der Augenoptikermeister. Auch Monika Wolf, die etwa einen Kilometer vom Seniorenzentrum entfernt eine Apotheke führt, hat Marte-Meo-Schulungen besucht. "Ich muss mich in meinem Tempo zügeln, habe ich dabei gemerkt", sagt die Apothekerin. Dass das Projekt viele Geschäftsleute im Ort erreicht hat, ist nach Ansicht von Monika Wolf auch eine Beruhigung für die Angehörigen: "Viele im Ort haben ein Auge auf Menschen mit Demenz."
Bettina Weitzel ist froh, dass sie für ihre Eltern in dem Haus einen Platz gefunden hat. Vor allem dass sich ihre Eltern frei bewegen können und selbstständig in den Ort gehen können, freut sie. Ihre Mutter ist vom Seniorenzentrum mit einem GPS-Sender ausgerüstet worden. Das Haus ist jederzeit orientiert, wo Hildegard Hoffe sich aufhält. "Klar würde ich Rotz und Wasser heulen, wenn meiner Mutter etwas passieren würde, aber alles ist besser, als eingesperrt zu sein", sagt Bettina Weitzel. Sie weiß ihre Eltern in dem Seniorenzentrum und im Ort gut aufgehoben.