Beste Freundinnen
Stephanie Andryszak nimmt sich Zeit für Hassan und Reijhan. Es ist ein einfaches Spiel, das sie spielen. Mit Buchstaben und Bildern. Welcher Buchstabe gehört zu welchem Bild? T? Zu Tomate! Die Jungs haben Spaß und wetteifern, wer mehr richtige Antworten zustande bringt. Die Grundschüler besuchen die Brukterer Grundschule in Dortmund-Lanstrop - und sind als Flüchtlinge erst seit wenigen Monaten in Deutschland."Die Kinder lernen gern und schnell", lächelt Maria Nienhaus, Koordinatorin der offenen Ganztagsschule hier im nördlichsten Stadtteil Dortmunds. "Unsere Schule verfügt über eine Auffangklasse, in der die Kinder auf den Schulalltag vorbereitet werden; die meisten Flüchtlingskinder nehmen aber bereits am normalen Unterricht teil. Wir als OGS schaffen ihnen dann einen Raum, in dem sie das Gelernte umsetzen können. Spielerisch."
Draußen, auf dem Hof, spielen Roha und ihre Freundin Fiona. Als sie zum Foto gebeten werden, ist Roha etwas unschlüssig. Setzen soll sie sich auf einen Stein? Aber ihr Kleid: Darauf ist sie stolz. Wird es nicht dreckig? Maria Nienhaus lacht und erklärt: Roha hat heute ein neues Kleid an. Roha ist aus Syrien, Fiona ein Lanstroper Kind. Die beiden sind inzwischen die besten Freundinnen.
"Als OGS betreuen wir 98 der 112 Schülerinnen und Schüler der Brukterer-Grundschule. Darunter sind alle 17 Flüchtlingskinder." Aufgeteilt ist die OGS in vier Gruppen mit jeweils einem Leiter / einer Leiterin, Maria Nienhaus leitet die Gruppe der Erstklässler. Das ist ein normaler Personalschlüssel, da bleibt an sich wenig Zeit, um sich um die besonderen Bedürfnisse der Flüchtlingskinder zu kümmern. "Wir können unseren Kindern, und zwar allen Kindern, sehr schöne erweiterte Angebote machen. Montags zum Beispiel, da gehen wir auf einen Reiterhof, dienstags kooperieren wir mit einem Schwimmverein im Stadtteil Scharnhorst, mittwochs steht Tanzen und Trommeln auf dem Programm. Wir führen die Kinder zusammen, wir lassen sie miteinander Dinge wie das Reiten erleben, freitags spielen wir Schach und Fußball. Das bringt die Kinder zusammen, sie lernen voneinander, das ist Integration."
Bei den Ausflügen, Unternehmungen und AG-Angeboten wird mit Honorarkräften gearbeitet. Was natürlich die angestellten OGS-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter entlastet. Sie werden beim Ausflug zu Mitspielern - und Vertrauenspersonen. "Viele Flüchtlingskinder sind traumatisiert. Als Erzieher in der OGS dürfen wir im Umgang mit den Kindern generell etwas lockerer sein als die Lehrerinnen in der Schule. Das schafft Vertrauen, und das erkennen die Kinder: Als OGS können wir ihnen ein Ansprechpartner sein, weil wir zwischen Schule und ihren Eltern stehen." Nah - und doch mit Distanz.
Spielerisches Lernen, Kindern Freiräume schaffen, Kinder zusammenbringen. Das klingt logisch, und in Lanstrop wird das konsequent umgesetzt. Doch spätestens beim Blick auf die Zusatzangebote, die die OGS anbietet, wird klar: Lanstrop kann nicht stellvertretend für ganz Dortmund stehen. Kleinstädtisch ist der Stadtteil, etwas abgelegen vom Rest der Metropole, aber mit eigener Infrastruktur. In einem solchen Umfeld lassen sich eben auch Angebote wie der regelmäßige Besuch eines Reiterhofs ermöglichen.
Als im Dezember 2014 die ersten Flüchtlinge kamen, organisierte sich in diesem Umfeld schnell Hilfe, und es entstanden Strukturen, auf die im Sommer 2015 zurückgegriffen werden konnte. Ehrenamtliche Helfer treffen sich regelmäßig mit den Flüchtlingsfamilien im "Café Angekommen" im evangelischen Gemeindehaus, die OGS ist in diesen Helferkreis integriert. Gleichzeitig wurden viele Flüchtlingsfamilien im Ort in Häusern der örtlichen Wohnungsgesellschaft untergebracht, neben alteingesessenen Lanstropern, so dass die Flüchtlinge nicht an einem Ort isoliert wohnen.
Sollte man Flüchtlingsfamilien also möglichst breit verteilen, gerade auch in kleinstädtischen Strukturen, durch eine restriktivere Wohnortzuweisung, wie im Integrationsgesetz vorgeschrieben? Auf diese Frage kann und will Maria Nienhaus keine Antwort geben. "Für uns in Lanstrop", so ihr Fazit stattdessen, "ist es wichtig, dass unsere Arbeit nicht auf den Ort Schule beschränkt bleibt, sondern die OGS Teil eines größeren Helfernetzwerkes ist."