Ausgenutzt, geschlagen, missbraucht
Im Terminal des Flughafens von Addis Abeba stapeln sich Säcke mit der Aufschrift "Kingdom of Saudi Arabia". Hektisch werfen Airport-Mitarbeiter sie auf Rollwagen und schieben diese von einem Gang in den nächsten. Sie schaffen Platz für weitere Säcke. 13 Maschinen werden an diesem Tag aus der saudischen Hauptstadt Riad in Addis Abeba eintreffen - und mit jeder von ihnen wächst der Gepäckberg.
Das Hab und Gut Hunderter Äthiopier, aufgetürmt in gesichtslosen, gleich großen Säcken. Es markiert das dramatische Ende einer langen Odyssee. An ihrem Anfang stand die Hoffnung, bitterer Armut zu entfliehen. Hunderttausende Äthiopier suchten im reichen Saudi-Arabien ihr Glück. In einer Art Handstreich hat der Golfstaat nun 151000 Äthiopier aus dem Land geworfen und zurückgeschickt ans Horn von Afrika, weil sie angeblich weder Aufenthalts- noch Arbeitserlaubnis hatten.
Abba Hagos Hayish, Generalsekretär der katholischen Kirche in Äthiopien und Direktor der äthiopischen Caritas (ECSDC), steht im Terminal des Airports von Addis und starrt auf den Gepäckberg. "Wir müssen diese Menschen jetzt wieder ansiedeln. Das ist eine enorme Herausforderung für unser armes Land", sagt er. Mit Vertretern der Regierung und von Hilfsorganisationen trifft er sich fast täglich am Airport von Addis. Erster Schritt: den Rückkehrern auf die Schnelle eine Notunterkunft bereitzustellen. Die äthiopische Caritas versorgt rund 10000 Frauen und 1000 Kinder mit energiereicher Nahrung, Milch und Hygienesets.
Äthiopien ist eines der wirtschaftlich ärmsten Länder der Welt. Auf dem Human Development Index, jenem Indikator, der den Wohlstand der einzelnen Staaten misst, steht es auf Platz 173 von 186. Fast 40 Prozent der Äthiopier leben unterhalb der Armutsgrenze. Das Bruttoinlandsprodukt liegt bei 430 Dollar pro Kopf - in Deutschland ist es fast hundertmal so hoch.
Jahr für Jahr verlassen deshalb mehr als 200000 Äthiopier ihr Land. Die meisten zieht es auf die Arabische Halbinsel. Dort hoffen sie auf einen Job auf einer Baustelle in Katar, in einem Hotel in Dubai oder einem Privathaushalt in Saudi-Arabien. An jedem Auswanderer hängen nach Einschätzung von Caritas international fünf Familienmitglieder in der Heimat, die von den Überweisungen profitieren. Wenn also jetzt 151000 Äthiopier zurückkehren, wirft das mehr als eine halbe Million Menschen zurück in die Armut.
Das ölreiche Königreich hat die meist nicht registrierten Migranten lange in Ruhe gelassen, zu abhängig war man von billigen Arbeitskräften aus dem Ausland. Jetzt aber kriselt die Wirtschaft, die Arbeitslosenquote liegt offiziell bei 12,5 Prozent, inoffiziell bei knapp 30 Prozent. Die Regierung erklärte, sie wolle mehr Arbeitsplätze für die einheimische Bevölkerung schaffen, und ging deshalb mit gezielten Razzien und teils brachialer Gewalt gegen Illegale vor. Es traf vor allem die große Gruppe der Äthiopier.
"Die Menschen wurden aus den Häusern geholt oder auf den Straßen abgefangen und ins Abschiebegefängnis gesteckt", berichtet Caritas-Direktor Abba Hagos. "Sie hatten oft nur ihre Kleidung am Leib, als sie ins Flugzeug zurück nach Addis gesetzt wurden." Die Massenabschiebung war über Wochen das beherrschende Thema in äthiopischen Medien, denn sie zeigt die fatalen Folgen der Arbeitsmigration. "Als die Äthiopier vor Jahren ausreisten, waren sie arm. Jetzt, wenn sie zurückkehren, sind sie weiterhin arm und auch noch traumatisiert", sagt Wolfgang Fritz, Äthiopien-Referent von Caritas international. Viele der Migranten wurden in den saudischen Haushalten behandelt wie Sklaven. Ausgenutzt, geschlagen, missbraucht. Das ganze Ausmaß der Misshandlung wurde erst jetzt durch die Massenausweisung bekannt. "Vor allem die Frauen müssen Entsetzliches durchgemacht haben", sagt Fritz. Äthiopiens Außenminister Tedros Adhanom soll geweint haben, als er vor dem Parlament von den Arbeitsbedingungen seiner Landsleute berichtete. Er war kurz zuvor in die saudische Hauptstadt Riad gereist, offenbar um sich ein Bild von der Lage zu machen.
Saudi-Arabien soll inzwischen ein Verbot für Äthiopierinnen als Hausmädchen erlassen haben. Die Sprecherin der äthiopischen Caritas, Makeda Yohannes, glaubt aber, dass das saudische Durchgreifen ihre Landsleute kaum davon abhalten wird, auch weiterhin in Scharen das Land zu verlassen in der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen. "Dazu ist unser Land zu arm. Wir müssen hier bessere Perspektiven schaffen."
Dialogreise
Auf Initiative von Caritas international besuchte eine deutsche Caritas-Delegation im November 2013 Äthiopien. Vor Ort schaute sich die Reisegruppe Projekte der Katastrophenvorsorge an, die unter anderem mit Geld aus Deutschland unterstützt werden. Traditionell eng ist die Partnerschaft zwischen Caritas international und der gut organisierten Caritas im christlichen Land Äthiopien. Etwa 40 Prozent der 91 Millionen Einwohner bekennen sich zur äthiopisch-orthodoxen Kirche, nicht einmal ein Prozent ist katholischen Glaubens. Dennoch erreicht die äthiopische Caritas mit ihren 5000 Mitarbeitern insgesamt 15 Millionen Menschen - über Schulen, Krankenhäuser oder Selbsthilfeeinrichtungen. "Ziel der Reise ist es nicht nur mitzuerleben, mit welchen Problemen und Katastrophen die Menschen zu tun haben. Wir können häufig auch von unseren Partnern im Ausland lernen und wichtige Impulse für unsere eigene Arbeit mit nach Hause nehmen", beschreibt Oliver Müller, Leiter von Caritas international, das Ziel der Dialogreise.