Moderne Sklaverei anprangern
"Sich verdingen", dieser langsam veraltende Ausdruck für "eine Lohnarbeit, einen Dienst annehmen" (Duden) trifft die Sache gut. Denn dass Arbeiter aus Rumänien und Bulgarien in Schlachtereien behandelt werden wie ein "Ding", wie eine Sache, war Kossen zu Ohren gekommen. Jene braun gebrannten, schwarzhaarigen Männer mit Schnauzbart, die ihre besten Jahre in feuchten, kalten Schlachträumen verbringen. Fern von Ehefrau und Kindern. Die, mit schwerem Stahlschutz und nicht minder leichten Gummischürzen umgeben, zehn bis zwölf Stunden am Tag Schweineköpfe zerlegen oder Knochen abbahnen. Und arm sind - trotz Arbeit.
Dass ein Stundenlohn von 3,50 Euro ihre Arbeit nicht annähernd wertschätzt, war für den 45-jährigen Peter Kossen eines der Dinge, die ihn auf die Palme brachten. "Wer 40 Stunden in der Woche oder mehr arbeitet, muss von seinem Lohn leben können, und zwar oberhalb der Armutsgrenze", ist für Kossen klar.
Das wäre gerechter. Kossen, ständiger Vertreter des Bischöflichen Offizials in Vechta und damit der zweitmächtigste Mann der katholischen Kirche zwischen Nordsee und Dammer Bergen, rechnet es vor: Eine Bezahlung der Arbeiter von 8,50 Euro pro Stunde würde den Kunden an der Fleischtheke nur 5,7 Cent mehr pro Kilo Fleisch kosten. "Eine Gerechtigkeit, die wir uns leisten können."
Doch Kossens Forderungen nach einem flächendeckenden Mindestlohn, nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit, nach weitestgehender Einschränkung der Werkverträge in der Fleischindustrie gehen im Grunde weiter.
Von Beraterinnen des Sozialdienstes katholischer Frauen erfährt der Priester, der die Eucharistie nicht mehr feiern kann, ohne an das Leid unzähliger ausgebeuteter Männer und Frauen zu denken, Dinge, die über nicht versicherte Kinder rumänischer Arbeiter in Grundschulen hinausgehen.
Nämlich, dass es Betten gab, die rund um die Uhr belegt waren. Dass also der, der jetzt freihat, sich in das noch warme Bett dessen legt, der das Schlachtermesser jetzt in seine rechte Hand genommen hat.
Stundenlohn 2,10 Euro
Dass 14 Männer und Frauen aus Rumänien - wie dann die Frankfurter Rundschau berichtete - drei Zimmer, eine Dusche, eine Toilette und eine kleine Küche teilen mussten. Dass sie nicht wie versprochen zwei Mahlzeiten am Tag bekamen, sondern fürs Essen selbst sorgen mussten und bei 190 Stunden im Monat zwischen 2,10 und 3,70 Euro pro Stunde in ihrem Geldbeutel landen.
Solche Vorgänge brachten den katholischen Priester dazu, nach seiner Predigt im Altenheim das Unrecht auch im Sonntagsgottesdienst beim Namen zu nennen. Und an jenem Sonntag saß eine Redakteurin der ortsansässigen Zeitung vorne links im Gottesdienst. Zufall oder Fügung. Oder beides zusammen.
Auf jeden Fall schafft es der 45-jährige Prälat auf die Titelseite der Montagsausgabe. Kossen spricht hier noch über das Thema und dort. Doch selbst Journalisten glauben, dass das Thema bald verpufft sein wird.
Anonyme Drohung
Aber es ist die beharrliche Art des aus Rechterfeld im Landkreis Vechta stammenden Theologen, die ihn in die Schlagzeilen der nächstgrößeren Zeitung und schließlich in die von Spiegel und Stern bringen. Vom "Krebsgeschwür, das unsere inneren Werte zerfrisst", spricht Kossen und immer wieder von "moderner Sklaverei".
Schließlich klagt er in einer Talkshow bei Günther Jauch über den Sozialbetrug. Der sei dann gegeben, wenn Unternehmer staatliche Hartz-IV-Mittel und Wohngeld von vornherein in ihre Lohnkalkulation aufnähmen.
Seine Standfestigkeit und Überzeugung lassen ihn auch nicht verstummen, als eines Morgens ein totes, skalpiertes Kaninchen vor seiner Haustür liegt. Er nehme es in Kauf, sein Leben aufs Spiel zu setzen, sagen manche.
Längst hat er die geografischen und kirchlichen Grenzen überschritten. Kossen ist gefragter Gesprächspartner für den luxemburgischen Wirtschaftsminister. Beim Neujahrsempfang des Osnabrücker Bischofs Franz-Josef Bode wird er nicht müde, den Missbrauch der Werkverträge anzuprangern, durch den Menschen "systematisch ausgebeutet, gedemütigt und betrogen werden".
Den wohlgemeinten Rat zum Schutz seiner Person, sich auf kirchliche Kernthemen zu beschränken, nimmt Kossen an. Aber anders als erwartet: "Nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen" (Dietrich Bonhoeffer) schält sich für den Vechtaer Prälaten, wie er meist genannt wird, immer mehr und innerlich immer klarer zum kirchlichen Kerngeschäft heraus.
Um der Menschen willen. Bis dahin, dass er sich in wirtschaftliche Zusammenhänge einarbeitet und zum Sozialethiker wird. Bis dahin, dass er keine Scheu hat, als Redner bei einer Demonstration vor einem Schlachthof aufzutauchen. "Arm trotz Arbeit", "Gedemütigt bei der Arbeit", "Missbraucht für den Reichtum anderer" ist mit seinem Christsein nicht zu machen. Er, der seine oldenburgische Heimat schätzt, sagt: "Dann verrotten unsere Werte von innen." Und er sagt es, weil es kirchliches Kerngeschäft ist.
Damit der Kampf zum Segen wird
Caritas in NRW: Seit zwei Jahren kämpfen Sie nun schon gegen diese Missstände: Was ärgert Sie heute am meisten?
Peter Kossen: Es hat sich zunehmend der Eindruck bei mir verfestigt, dass eine Veränderung zum Besseren nur mit Druck geschieht. Da, wo die Öffentlichkeit hinschaut, wird häufig hastig etwas unternommen, aber auch nur da. Das hat auch etwas von Gewalt. Ein Ansatz, den ich schwierig finde.
Caritas in NRW: Arm trotz Arbeit - was sagt der Christ, was sagt der Priester dazu?
Peter Kossen: Es gibt Bereiche, da wird mit der Arbeitskraft von Migranten Gewinn erwirtschaftet, der dann auf unangemessene Weise aber abgeschöpft wird. Wenn jemand 14 bis 16 Stunden bei Tiefkühltemperaturen arbeitet, teilweise nachts, wenn er seine Knochen hinhält und dann mit schäbigen Löhnen abgespeist wird, dann macht mich das zornig. Hier muss der Staat regulierend eingreifen.
Caritas in NRW: Woher nehmen Sie den Mut, woher die Kraft zu diesem Protest?
Peter Kossen: Das ist uns aus der biblischen Botschaft aufgetragen. Das ist ein Kernauftrag eines Christen. Davon können wir uns nicht dispensieren lassen und das auch nicht delegieren.
Man muss es rückbinden ins Gebet. Kraft gibt mir auch die Tatsache, dass sich viele zusammentun und sich dadurch auch etwas bewegt. Es ermutigt mich, wenn eine einfache Frau aus dem Saterland zu mir sagt: "Gut, dass die Kirche hier den Mund aufmacht. Das Elend ist groß." Ich glaube, dass das Engagement dann auch Segen bringt - für alle.