Alt und arm? Jung und arm?
Der alte Taxifahrer: Eigentlich bin ich es gewohnt, dass der Fahrer aus dem Iran kommt oder der Türkei, wenn ich mal nachts mit dem Taxi fahre. Ich wette dann immer mit mir selbst bei den "Persern", wie die älteren sich selbst nennen, ob er Ingenieur oder Mediziner war im früheren Leben im Iran.
Doch diesmal habe ich einen schon ziemlich alten Taxifahrer erwischt - und dazu einen Deutschen. Nix Akademiker, sondern früherer Bergmann, dann verschiedene Jobs, mal kurz Selbstständigkeit, arbeitslos, dann Taxifahrer, jetzt immer noch mit fast 80 Jahren. Dafür fuhr er noch ganz gut und konnte gut erzählen. So gut, dass wir noch eine Weile im Taxi sitzen blieben nachts um halb eins und nach dem Bezahlen, weil er gar nicht mehr aufhörte zu erzählen. Von der kleinen Rente von der Knappschaft, weil er viel zu wenig Jahre "geklebt" hatte. Von gescheiterten Versuchen der Selbstständigkeit, Pleiten, Schulden, Krediten. Von seiner kranken Frau, die viele Kosten durch Zuzahlungen bei den Medikamenten verursachte und die er tagsüber dauernd zum Arzt fahren musste. Vom kargen Lohn eines Taxifahrers, von langen Wartezeiten, unangenehmen Gästen, Rückenproblemen und, und ...
Aber ohne diesen Job, trotz des Alters, könnten sie kaum leben, weil seine Frau vier Kinder großgezogen hatte und kaum Rente bezog. Die Kinder lebten verstreut in der Welt, kümmerten sich kaum, hätten eigene Probleme. Und zum Sozialamt gehen? Auf keinen Fall, zu stolz, um der Allgemeinheit auf der Tasche zu liegen. So bleibt nur der Weg, bis zum Umfallen zu arbeiten, solange man ihn lässt.
Das Gespräch hinderte mich dann doch am schnellen Einschlafen, trotz der späten Stunde.
Der junge "Haustechniker": Nennen wir in Jorge, Flüchtlingskind, allein eingereist, Pflegefamilie, Kinderheim, Abschiebeandrohung mit 18 Jahren, langer Kampf, um hierzubleiben. Zwei Lehren angefangen und abgebrochen, psychisch erkrankt. Nach 16 Jahren das erste Mal wieder in der Heimat bei der Familie, die ihn irgendwie nach Deutschland gebracht hatte, damit er nicht als Kindersoldat endete im Bürgerkrieg in seinem Land. Danach ein festes Ziel, das erste wohl in seinem Leben: Geld verdienen und dann zurück in die Heimat.
Aber wie als Ungelernter? Erst versuchte er sich als Aushilfskellner für sechs Euro die Stunde, das reichte kaum zum Leben hier, dann bei einer Leiharbeitsfirma, ähnliche Verhältnisse, nur beschwerlicher wegen ständig wechselnder Einsatzorte. Er ist technisch geschickt und sehr willig zu arbeiten, deshalb versuchte ich, ihn bei einer karitativen Einrichtung unterzubringen als Haustechniker, neun Euro die Stunde. Aber mehr als 25 Stunden die Woche ging nicht, macht 900 Euro im Monat. Dann besorgte ich ihm noch einen "400-Euro-Job" bei einem Fleischgroßunternehmen als "Packer" oder "Kommissionierer" im Kühlhaus am Wochenende, teilweise nachts. So kommt er dann auf 1166,- Euro netto. Liegt hart über der "Hartz-IV-Grenze", reicht aber auch kaum zum Sparen.
Jetzt hat er zweimal die Woche spätnachmittags und abends noch Pfortendienst in einer Alteneinrichtung, das gibt noch mal ca. 360 Euro brutto. Er hat kein Auto, geht kaum raus, spart aber auf ein Ziel hin. Ich hoffe, er schafft es mit der Rückkehr und dem Aufbau eines kleinen Geschäftes mit seinen Brüdern. Denn wenn er sich im Alter auf die Rente verlässt, ist er wohl verlassen.