Günstiger Zeitpunkt für einen neuen Anlauf
Quartiersentwicklung - eine alte Idee im neuen Gewand? Seit Jahrzehnten weiß die Caritas um die Bedeutung der Orientierung am Lebensraum vor Ort, im "Sozialraum", und um die notwendige Beteiligung aller Betroffenen, wenn es um die Lösung sozialer Probleme geht. Noch länger kennt die Katholische Soziallehre das Subsidiaritätsprinzip: Die kleine Einheit vor Ort (Familie, Kommune) regelt die Lebensverhältnisse mit ihren Möglichkeiten, und die größeren Einheiten (Land, Staat) werden unterstützend tätig, wenn die örtlich Zuständigen an die Grenzen ihrer Kräfte kommen.
Wenn nun das Land NRW die Bedeutung der örtlichen Quartiere für die Sicherung des Lebens im Alter wiederentdeckt und mit dem "Masterplan Quartier" viele Betroffene und Beteiligte zum gemeinsamen Handeln unter Führung der Kommunen motivieren will, könnte man sagen: Ein alter Hut, aber viel Erfolg haben wir damit bisher auch nicht gehabt - vor allem weil die Unterstützung fehlte!
Doch es scheint ein günstiger Zeitpunkt, einen neuen Anlauf zu nehmen: Die meisten Akteure in der Politik und in der Sozialwirtschaft haben verstanden, dass die Sicherung eines menschenwürdigen Lebens im Alter mehr Alternativen zur Heim-Unterbringung verlangt, dass aber die bisherige Infrastruktur für die häusliche Versorgung und Pflege an ihre Grenzen stößt und nicht beliebig ausgeweitet werden kann. Die Betroffenen sehnen sich sowieso nach flexibleren Lösungen, die ihnen ein Verbleiben in der eigenen Wohnung und Teilhabe in ihrem Quartier ermöglichen.
Allerdings reicht es nicht, mit einem neuen Begriff ein bewährtes Prinzip nur neu ins Bewusstsein zu heben - es bedarf auch konkreter Unterstützung. Sonst hätte sich die Sozialraumorientierung längst besser etabliert. Analyse-Instrumente, Öffentlichkeitsarbeit, Tagungen sind gut. Anschubfinanzierungen, um in den Kommunen qualifizierte und möglichst unabhängige Initiativen und Moderatoren für die Quartiersarbeit beauftragen und bezahlen zu können, müssen unbedingt hinzukommen. Weiter bedarf es der Abstimmung zwischen Landes- und Bundesgesetzen, damit etwa die Mittel der Pflegeversicherung besser in der Gestaltung des Lebens vor Ort eingesetzt werden können und die Träger der Altenheime größeren Spielraum z.B. beim flexiblen Einsatz ihrer Immobilien erhalten.
Überhaupt ist dringend zu klären, welche Rolle den Kommunen und welche den (bewährten) Anbietern wie stationären Einrichtungen und Pflegestationen bei der Gestaltung des Quartiers zukommen soll. Auch hier ist an das Subsidiaritätsprinzip zu erinnern: Die Akteure vor Ort suchen gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern nach den besten Lösungen, und die Kommunen sichern (nicht steuern!) diesen Prozess durch Planung, Vermittlung, Unterstützung ab. Nur dann werden die Träger eine reale Chance sehen, ihre bestehenden Einrichtungen für die Quartiersentwicklung zu öffnen und die notwendigen Kooperationen einzugehen. Quartiersentwicklung könnte dann tatsächlich zu einer neuen Form von Gestaltung des Sozialen im 21. Jahrhundert werden: im Zusammenwirken von Bürgern, öffentlicher und Freier Wohlfahrtspflege und auch den gewerblichen Anbietern vor Ort und zum Wohl der dort lebenden und alt werdenden Menschen. Ein "Werkzeugkasten" ist ein ordentlicher Anfang, doch Landes- und Kommunalpolitik sind aufgefordert, weitere Maßnahmen zur Unterstützung zu leisten. Die Caritas wird sie gerne aufgreifen.