"Ein Stück Lebenserfahrung"
Landtagsabgeordnete fällen zahlreiche Entscheidungen in der Sozialpolitik - häufig mit weitreichenden Konsequenzen für die betroffenen Menschen. Da ist es wichtig, nicht nur auf fundierte Sachinformationen zurückgreifen zu können, sondern auch auf eigene Einblicke in die vielfältigen Lebenssituationen von Menschen, die Unterstützung suchen und brauchen.
Der Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln hat im Rahmen der Woche des bürgerschaftlichen Engagements alle 58 Abgeordneten des nordrhein-westfälischen Landtags aus dem Erzbistum Köln eingeladen, einige Stunden in einer caritativen Einrichtung ihrer Wahl mitzuhelfen. Ziel der Aktion "Ein Sozialtag für den Landtag" war es, die wieder- bzw. neu gewählten Abgeordneten auch emotional über Berührung und Begegnung mit armen und ausgegrenzten Menschen sowie haupt- und ehrenamtlich in der Caritas Engagierten für Caritas-Anliegen zu sensibilisieren.
Über das Internet konnten die Abgeordneten aus zahlreichen Angeboten von mehr als 20 katholischen Trägern ihren Einsatzort auswählen. Ein nützlicher Nebeneffekt: Der Internetauftritt veranschaulichte mit einer regional gegliederten Bistumskarte und einer Auflistung der unterschiedlichen örtlichen Träger die geografische Dimension und die Mitgliederstruktur der Caritas im Erzbistum Köln.
Die meisten Abgeordneten entschieden sich für ein Engagement im eigenen Wahlkreis. Einige zeigten über die vorbereitete Liste hinaus Interesse, einmal ein ganz bestimmtes Angebot sozialer Arbeit näher kennenzulernen. Am Ende standen Einsätze von 18 Männern und drei Frauen von CDU (16), Bündnis 90/Die Grünen (3), SPD (1) und FDP (1) im breiten Spektrum caritativer Arbeit: Mithilfe beim Dekorieren im Altenheim etwa oder bei der Essensausgabe in der Mensa einer offenen Ganztagsschule, Hobeln an der Werkbank im Qualifizierungsprojekt, Regaleräumen im Sozialkaufhaus oder Hausaufgabenhilfe für Migrantenkinder. Aber auch die Mühen, die das Ausfüllen eines Antrags auf EU-Förderung mit sich b ringt, wurden anschaulich vor Augen geführt.
Viele Abgeordnete hatten sich den ganzen Tag Zeit genommen. Jeder und jede war bereit, nicht nur "zu Besuch zu sein", sondern tatsächlich einen Ausschnitt aus der oft nicht einfachen sozialen Wirklichkeit benachteiligter Menschen im südlichen NRW hautnah kennenzulernen. Zwei Abgeordnete waren mit mobilen Diensten der Caritas unterwegs - einer kam mit viel Respekt vor dem enormen Zeitdruck zurück, unter dem die Mitarbeitenden in den Caritas-Pflegestationen jeden Tag stehen; ein anderer packte in der Familienpflege mit an und versorgte ein Baby mit dem Fläschchen. Familienzentren, ein offener Altentreff, Wohngruppen für Menschen mit Behinderung, das Jugendhilfezentrum "Raphaelshaus" und sogar soziale Arbeit zur Unterstützung von Straßenprostituierten standen auf dem Programm.
Nicht überall war in gleicher Weise ein praktisches Anfassen der Abgeordneten möglich. Mancherorts war eher die Rolle des Hospitierenden gefragt, der etwa einen Streetworker dorthin begleitete, wo sich die Wohnungslosen seines Wahlkreises aufhalten. Doch auch und gerade dieses Da-Sein, Zuhören und Aufmerksamkeit-Schenken wurden als Wertschätzung erlebt - von ganz vielen Mitarbeitenden und sicher auch manchen Klientinnen und Klienten.
Die Rückmeldungen, die der Diözesan-Caritasverband zur Aktion "Ein Sozialtag für den Landtag" von den beteiligten Diensten und Einrichtungen erhielt, waren durchweg positiv. Die Abgeordneten wurden als offen und interessiert erlebt. Sie waren bereit, sich auf die Mühen des caritativen Alltags einzulassen. Es gab vielfältige gute Begegnungen und Gespräche zwischen Abgeordneten und Menschen, die bei der Caritas Hilfe suchen oder helfen, sei es beruflich, sei es ehrenamtlich. Die Resonanz in den Medien war beachtlich und von allen Beteiligten als Teil der Aktion auch so gewollt - als Gewinn gleichermaßen für die Abgeordneten wie für die Caritas.
Kann man aus den Erfahrungen einer Aktion wie "Ein Sozialtag für den Landtag" auf Veränderungen im politischen Handeln hoffen? Die Verantwortlichen im Diözesan-Caritasverband hoffen zumindest, dass einige Abgeordnete und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jetzt Post vom "Diözesan-Caritasverband Köln" mit anderen Augen lesen, weil sie genauer erfahren haben, was dahintersteht - strukturell und in der Praxis vor Ort. Sie hoffen außerdem, dass sich Abgeordnete noch stärker eingeladen fühlen, in sozialpolitischen Fachfragen den Dialog mit der Caritas zu suchen, weil sie den Verband mit all seinen Gliederungen und Mitgliedern einmal mehr als kompetenten Ansprechpartner erlebt haben. Wenn dann vielleicht tatsächlich der eine oder die andere in Zukunft sozialpolitische Entscheidungen mit einem vertieften Grad von Reflexion und persönlichem Berührt-Sein zumindest nicht mehr so fällt, als hätte es die Erfahrung des "Sozialtags für den Landtag" nicht geben, hat sich die Aktion gelohnt.