Alles Therapie oder was?
Vorweg: Das Erlebte spielt sich nicht in unserem Bundesland ab, sondern viel weiter südlich, in Südost-Bayern, einer herrlichen Gegend, in einer sehr schönen, altehrwürdigen katholischen Stiftung, die sich seit 150 Jahren um Behinderte kümmert.
Beim Gespräch um die "Einrichtung" (so heißt das heute in Fachkreisen) fiel mir auf, dass scheinbar alles "Therapie" ist. Besonders beeindruckt war ich, als ein "Fachbereichsleiter" von der "therapeutischen Wirkung des Alltags" sprach, was ja wohl schlicht bedeutet, dass das normale Leben die beste Therapie ist. Weit gefehlt!
Selbst wenn die "Bewohner" gemeinsam in Urlaub fahren, also als Gruppe, heißt dies "Verlagerung des therapeutischen Umfeldes". Und die Behinderten gehen nicht einfach schwimmen im stiftungseigenen Schwimmbad, sondern in einer "bewegungstherapeutischen Einrichtung", sie gehen nicht in ein Musikzimmer, sondern zur "Musiktherapie". Ich könnte dies jetzt noch ausweiten, aber es würde alles noch verschlimmern.
Mein Vater, gelernter Klempner und Installateur, war nach einer Zusatzausbildung, "Arbeitserzieher" in einem Erziehungsheim, wie das früher hieß. Heute wäre er "Arbeitstherapeut", obwohl die Aufgabenstellung sich wohl kaum unterschieden hätte. Er bildete Lehrlinge, Auszubildende aus, versuchte, sie fähig zu machen, einen Beruf zu erlernen, die Prüfung zu schaffen und fit zu sein, im beruflichen Alltag zu bestehen. Und heute?
"Ohne die Liebe ist alles Bemühen nichts", so eine Kernaussage des Gründers dieser Stiftung im Oberbayrischen, gesprochen vor 150 Jahren. Caritas ist gelebte Liebe zum Nächsten. Das darf man bei aller Therapie nie vergessen.