Robotic im Operations-Saal
Auch für Roboter gelten Gesetze. Und das bereits seit dem Jahr 1942 - damals veröffentlichte Isaac Asimov, seines Zeichens Science-Fiction-Autor und Dozent, seine Erzählung "Runaround" und formulierte darin, woran Roboter sich gefälligst zu halten hätten. Das Gesetzeswerk, das als die "Grundregeln des Roboterdienstes" seither durch die Literatur mäandert, ist übersichtlich: Es fordert erstens, dass kein Roboter ein menschliches Wesen (wissentlich) verletzen darf, und dass er zweitens den von Menschen gegebenen Befehlen parieren muss - es sei denn, ein solcher würde mit erstgenannter Regel kollidieren. Außerdem - und das ist die dritte und letzte Regel - sollte ein Roboter seine Existenz verteidigen, so lange dieser Schutz nicht mit den beiden zuvor genannten Regel in Konflikt tritt. Obwohl bereits 70 Jahre alt, sind die Asimov’schen Gesetze immer noch Science-Fiction, ein möglicher Blick in die Zukunft. Oder etwa nicht?
Roboter oder besser Assistenz-Roboter sind in Operations-Sälen nichts Außergewöhnliches. Ihre Anschaffung ist längst kein Marketing-Gag mehr, vielmehr folgt sie ganz sachlichen kaufmännischen Erwägungen. Danach sah es jedoch nicht immer aus und vielerorts speist sich ein Konflikt für oder gegen den Einsatz von Robotern aus den Erfahrungen der Vergangenheit. Im Jahr 1985, Alexey Pajitnov programmiert zeitgleich das Computerspiel Tetris, wurde erstmals ein Roboter-System während einer Operation erfolgreich eingesetzt. Der "Puma 200" half dabei, nachdem man ihn an einer Wassermelone getestet hatte, Nadeln bei einer Hirnbiopsie zu positionieren. Er war noch nicht autonom, sondern die Ärzte entschieden, wie tief die Nadeln gesetzt wurden.
Die Erwartungen waren in der Folgezeit riesig und Technikenthusiasten sprachen von autonomen Robotern, die genauer und besser operieren sollten als die "Götter in Weiß". Die heute gerne genutzte Begrifflichkeit "Medizin 4.0", die sich bewusst an dem Kunstwort "Industrie 4.0" anlehnt, ist da fast eine Wiederholung der Geschichte: Der erste Roboter im Operations-Saal war ein Industrieroboter. Die kühnen Visionen wichen bald der Ernüchterung, und die "Robotic" im Krankenhaus rutschte in eine schwere Krise.
Der Robodoc sollte ursprünglich die Implantation von Hüftprothesen erleichtern. Nachdem das System im Jahr 1990 erstmals an Hunden erprobt wurde, kam es in Deutschland zwei Jahre später erstmals zum Einsatz. Das Versprechen: schonende Eingriffe, schnellere Heilung. Für die Kliniken hätte das neben der Werbewirkung auch zu ökonomischen Vorteilen geführt. In über hundert Operationssälen hierzulande stand nun der "Kollege" Robodoc, die Erwartungen erfüllte er jedoch nie. Mal rasierte er gesunde Knochen ab, mal kappte er Muskeln. Nach einigen verlorenen Gerichtsprozessen verstaubt der Robodoc in den Katakomben der Kliniken - genau wie sein Kollege, der "Caspar", der gleich mit seiner Herstellerfirma den Geist aushauchte. Auch er sollte die Knochen millimetergenau fräsen und künstliche Gelenke passgenau platzieren. Stattdessen kam es, trotz TÜV-Zertifikat, zu Verletzungen von Nerven und Muskeln. Einige hundert Patienten klagten - ein Fiasko für die Kliniken.
Hat nun der Roboter gegen eines der ehernen Gesetze verstoßen und den Menschen willentlich verletzt? Sich gegen einen Befehl gesperrt? Oder seine Existenz nicht gesichert? Die Antwort lautet klar "Nein". Die Roboter haben exakt das gemacht, wofür sie entwickelt und gefertigt wurden. Aus heutiger Perspektive waren sie jedoch für den Einsatz am Patienten noch nicht ausgereift genug, und Verletzungsabsicht kann man den teuren Geräten nun wirklich nicht unterstellen. Ein Neustart scheint damit nicht verbaut, sofern der Einsatz medizinisch vertreten werden kann und das Klinik-Management nicht um die Existenz des Hauses fürchten muss. Und tatsächlich: In den Operations-Sälen steht nicht mehr ein System, das dem 1986-Klassiker "Nummer 5 lebt" entsprungen sein könnte. Es finden sich dort Systeme, die erwachsen sind. Durch deren Erfolg ist die Akzeptanz von Robotern in der Medizin wieder gestiegen. Vielleicht ist auch die "gesündere" Einstellung nicht ganz unbeteiligt: War die Autonomie des Roboters das erklärte Ziel, so wird heute das System als eine Arbeitserleichterung gesehen.
Robotic im St. Marien-Krankenhaus Siegen
Im Operationssaal 8, dritte Etage des St. Marien-Krankenhauses Siegen steht seit dem Jahr 2017 der neue "Kollege". Mit weit über 1.000 Eingriffen pro Jahr ist seine Klinik, geleitet von Prof. Dr. med. Frank Willeke, eines der großen Zentren für minimal-invasive Chirurgie in Nordrhein-Westfalen. Der Roboter ist der erste einer neuen Generation in Deutschland - zwei weitere dieses Typs gibt es in Europa. Dr. Dietmar Stephan, Leiter des Zentrums für Minimal-invasive Chirurgie und Robotic Surgery, bedient mit 3D-Brille und Steuerkonsole in leichter Entfernung vom Operationstisch seine drei Instrumentenarme. Die hochauflösenden Bilder in 16-facher Vergrößerung aus dem Bauchraum sind übersichtlicher als den Blick durch die Operations-Lupe bei einer offenen Operation. Beugt sich der Operateur vor, zoomt die Kamera heran, dreht er den Kopf, schwenkt das Bild - ein Eye-Tracking-System verfolgt seine Augenbewegungen und steuert damit die Kamera, die früher ein weiterer Mediziner per mündlicher Ansage steuern musste. Die Roboter-Arme sind für den Operateur in ergonomisch geeigneter Position leicht zu bedienen. Kein (leichtes) Zittern der Hand beeinträchtigt sein Arbeiten. So sind auch präzisere Schnitte im Zehntel-Millimeter-Bereich möglich. Das System ermöglicht es dem Operateur, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Er ist, anders als bei einem klassischen minimal-invasiven Eingriff, nicht durch eine unangenehme, einschränkende Haltung am Operations-Tisch beeinträchtigt.
Der Arzt im St. Marien-Krankenhaus Siegen operiert, nicht die Maschine, das hat sich nicht geändert. Dennoch: Der Roboter wird nicht nervös, er zittert nicht, er kann Instrumente um die eigene Achse drehen, wo ein menschliches Handgelenk physische Grenzen hat. Und ganz menschlich: Wenn sich der Operateur mal räkeln oder den Rücken kratzen möchte, kann er den Operationsprozess "einfrieren".
Bislang wurden vier Ärzte des St. Marien-Krankenhauses an dem Robotic-System im italienischen Mailand geschult; 100 Eingriffe konnten seit Inbetriebnahme mit dem System erfolgreich durchgeführt werden. Die Klinik verspricht sich von der Anschaffung des zwei Millionen Euro teuren Robotic-Systems mittelfristig verbesserte Rüst- und schnellere Operationszeiten, erklärt Geschäftsführer Hans-Jürgen Winkelmann. Er betrachte es insbesondere als eine Investition in die Zukunft, möchte diese Einschätzung aber auch quantitativ und qualitativ abgesichert wissen: Ein Kooperationsprojekt mit der Universität Siegen wurde ins Leben gerufen, um neben den medizinischen auch den langfristig ökonomischen Nutzen des Systems zu ermitteln. Auch auf internationaler Ebene findet der neue Roboter Beachtung: Die Duke University in North Carolina, USA besuchte mit ihrem Vizedekan und Lehrstuhlinhaber für Chirurgische Innovationen das St. Marien-Krankenhaus Siegen, um gemeinsame wissenschaftliche Projekte auszuloten.
Technologieblinde Fallpauschale
Im Gegensatz zu vielen Teilen der Industrie scheint bei aller Arbeitserleichterung der Job des Operateurs von Roboter und Algorithmen wenig gefährdet. Dies liegt an der Komplexität des Geschehens: Viele Entscheidungen sind während einer Operation zu treffen und die dafür notwendige Erfahrung eines Chirurgen lässt sich wohl kaum in Algorithmen transkribieren. Einen automatischen Vorgang, vollständig ohne Eingriff des Arztes, wie ihn der Begriff "Roboter" suggeriert, wird es also nicht (so schnell) geben.
Das dürfte genauso verneint werden, wie die Frage nach dem Bruch der Roboter-Gesetze. Die Entwicklung geht rasant weiter, und heute können Kliniken bereits ihre Position von morgen gestalten. Und der größte Vorteil dürfte dann auch in der Öffnung der Organisation für die neue Technologien liegen. Es erinnert damit an die Anfänge der minimal-invasiven Chirurgie. Galt vor etwas mehr als zwei Jahrzehnten das Hantieren mit den "langen Stöckchen" noch als wenig empfehlenswert, da das Operations-Instrument nicht in der Hand des Chirurgen lag, und entfaltete ihre Blüte daher auch zunächst bei den Schwerpunktversorgern außerhalb der Universitäten, so werden nun immer mehr Eingriffe über Schlüssellochverfahren durchgeführt. Die damaligen Pioniere sind heute die Protagonisten, auch wenn es um die Einführung des nächsten Technologiesprungs geht. "Ich will mich enthalten jedes willkürlichen Unrechtes und jeder anderen Schädigung" aus dem Eid des Hippokrates wird damit auch in den Asimov´schen Gesetzen fortgeschrieben.
Quellen
Catarina Caetano da Rosa, Operationsroboter in Aktion: Kontroverse Innovationen in der Medizintechnik (Dissertation RWTH Aachen), Transcript Verlag, Bielefeld, 2014.
Tanja Kotlorz, Teurer OP-Roboter ist jetzt arbeitslos. In: Die Welt, 25. April 2001, https://www.welt.de/print-welt/article447298/Teurer-OP-Roboter-ist-jetzt-arbeitslos.html (Abgerufen 18. Mai 2017)
Silke Weber, Mach das so, sagt der Roboter, In: Die Zeit, 11. Februar 2016, http://www.zeit.de/2016/05/management-roboter-computerprogramme-ersatz (Abgerufen 18. Mai 2017)
Digitalisierungszentrum
Erfolgreiches Jahr
Der digitale Wandel schreitet voran. Institutionen der Region Südwestfalen haben das frühzeitig erkannt und im Frühjahr 2016 eine Initiative für die Digitalisierung der Wirtschaft der Region ins Leben gerufen, aus der dann der Verein "Zentrum für die Digitalisierung der Wirtschaft Südwestfalen" (ZDW) entstanden ist. Gegründet vom St. Marien-Krankenhaus Siegen und weiteren Institutionen der Region, spiegelt das ZDW inzwischen die gesamte Breite der Digitalisierung in Südwestfalen wider. Das ZDW setze auf Vernetzung, so Dr. Christian Stoffers, Vorsitzender des Aufsichtsrats und Kommunikationschef des Marien-Krankenhauses. Das ZDW unterstützt Institutionen der öffentlichen Hand dabei, Plattformen zu Schlüsselthemen der Digitalisierung aufzubauen. Die Themen umfassen u. a. "Digitale Produktion", "Vernetzte Mobilität", "Digitale Medizin/Gesundheit", "IT-Sicherheit" und "Bildung und Kultur".
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