Sterbehilfe? – Nein!
Dr. med. Horst Luckhaupt ist Chefarzt der HNO-Klinik und Vorsitzender des Ethik-Komitees im St.-Johannes-Hospital, Dortmund.
Gerade in dem oben beschriebenen Zeitraum hat die Palliativmedizin große Fortschritte erzielt, die allen mit Medizin Befassten gezeigt hat, wie wichtig es ist, Menschen mit einer schweren, oft unheilbaren Krankheit Schmerzen zu nehmen, vielfältige Krankheitssymptome zu lindern, das elementare Gefühl der Angst und Hoffnungslosigkeit durch ganzheitliche Betreuung zu bekämpfen.
Unter Einsatz des gesamten palliativmedizinischen Spektrums ist eine würdevolle Existenz bis zum Lebensende möglich. Und der Hinweis auf die - aus eigener Erfahrung - wenigen Patienten, bei denen eine Schmerzfreiheit oder eine Schmerzlinderung auf ein erträgliches Niveau nicht zu erzielen ist? Nun, hier hat die moderne Medizin mit der palliativen Sedierung eine Möglichkeit, therapierefraktäre Symptome (therapierefraktär bedeutet "nicht ansprechend auf eine Therapie" bzw. "mit üblichen Mitteln nicht therapierbar", die Red.) zu bekämpfen. Wichtig ist gerade in der letzten Lebensphase die Kommunikation zwischen Behandlungsteam und Patient (Angehörigen, Betreuern). Der Dialog zwischen Patient und Arzt umfasst stets sowohl die Festlegung eines Therapieziels als auch die Feststellung der Indikation (Behandeln? Begrenzen? Unterlassen? Beenden? - Sofern es dem Patientenwillen entspricht).
Gerade die Palliativmedizin lehrt uns, das technisch Machbare gegen das medizinisch/ethisch Sinnvolle abzuwägen. Auch im Zeitalter einer "Hightech-Medizin" zeigen gerade Palliativmedizin und Hospizbewegung die Bedeutung der wohlwollenden Nähe anderer Menschen für ein menschenwürdiges Sterben.
Die Medizinethik hat in den vergangenen Jahren - zu Recht - die Bedeutung der Selbstbestimmung des Kranken betont und zu einer der Säulen der sogenannten Prinzipienethik gemacht. Aber: Die Selbstbestimmung des Menschen in seiner letzten Lebensphase verkürzen auf das Recht auf den selbstbestimmten Tod? Ärztlich assistierter Suizid? Der Medizinhistoriker und -ethiker Axel Bauer hat darauf hingewiesen, dass die Selbsttötung Ausdruck einer Haltung ist, die ethisch gerade nicht mit der Autonomie des Menschen legitimiert werden kann; mit dem Suizid nimmt sich der Mensch tatsächlich die Freiheit weg, es ist das Ende jeder Handlungsfreiheit.
Und noch etwas - wenn auch eher selten bei Schwerkranken in der Sterbephase: Bestehen grundlegende Differenzen in einer Entscheidungssituation, beispielsweise innerhalb des Behandlungsteams oder zwischen Arzt und Betreuer, so hat sich in der klinischen Praxis die ethische Fallbesprechung unter Leitung eines ethisch geschulten, unabhängigen, nicht mit dem konkreten Fall befassten Moderators bewährt. Ein gut funktionierendes klinisches Ethik-Komitee kann nach eigenen Erfahrungen ganz wichtige Beiträge in der Diskussion um Fragen der Sterbehilfe leisten. Ein solches Gremium sollte immer wieder deutlich machen, dass eine humane Medizin - auch ohne den ärztlich assistierten Suizid oder gar die Tötung auf Verlangen - ein menschenwürdiges Sterben ermöglicht.
Starke Medikamente können extreme Schmerzen dämpfen - meist haben sie aber auch Nebenwirkungen.© Achim Pohl
Palliative Sedierung
Sedierung (lat. sedo, zum Sitzen bringen, im übertragenen Sinn: beruhigen) bedeutet eine medikamentös erzeugte Bewusstseinsdämpfung. (…) Palliative Sedierung ist eine Form ärztlichen Handelns an Patienten, für die eine Heilung oder auch nur eine deutliche Verbesserung ihrer Grunderkrankung kein sinnvolles Therapieziel mehr darstellt. Wenn dabei auch häufig an eine tiefe, kontinuierliche Sedierung gedacht ist, die "von vorneherein so angelegt (ist), dass sie bis zum Eintritt des Todes fortgeführt wird"1, so sind doch auch intermittierende Formen denkbar, z. B. bei anders nicht therapierbaren nächtlichen Angstzuständen eines Palliativpatienten. Möglich ist auch eine "kontinuierliche, flache Sedierungsform: Der Patient ist je nach Dosierung somnolent bis stupurös, bleibt jedoch erweckbar."2
Wie alle Maßnahmen einer palliativen Versorgung dient auch die palliative Sedierung dazu, "Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen"3. Mit dieser Zielsetzung unterscheidet sie sich grundsätzlich vom ärztlich assistierten Suizid wie von der Euthanasie. Geht es dort darum, den Tod gezielt herbeizuführen, so will die palliative Sedierung quälende Symptome wie Luftnot, Schmerz, Unruhe oder Angst lindern. Unerträgliches Leiden zu lindern ist ein unmittelbar einsichtiges und zwingendes ethisches Gebot. Allgemeine Anerkennung hat der Grundsatz gefunden, dass dabei "ein Inkaufnehmen der Verkürzung des Lebens als Nebenwirkung"4 ethisch erlaubt ist.
1 Sedierung am Lebensende. Empfehlungen der AG Ethik am Lebensende in der Akademie für Ethik in der Medizin (AEM), in: Ethik in der Medizin 22 (2010) 139-147, S.141
3 Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung: Deutsches Ärzteblatt 108 (2011) 346-348, S. 346
4 Katholischer Erwachsenenkatechismus. Zweiter Band, Herder, 1995, S. 309
Auszug aus: Klinisches Ethikkomitee im St.-Marien-Hospital Lünen: "Empfehlungen zur palliativen Sedierung am Lebensende", http://klinikum-luenen.de/patienten-besucher/ethikkomitee/ethische-leitlinien/ (abgerufen am 04.12.2014)
* Zur Situation in Deutschland siehe den nebenstehenden Text.Quelle: Wikipedia / Tientenkin 100; lizenziert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license
Wichtige Begriffe
Sterbebegleitung und Sterbehilfe
Passive Sterbehilfe (auch: Behandlungsverzicht oder Behandlungsbegrenzung): Ein Patient kann verlangen, dass Maßnahmen zur Verlängerung seines Lebens in der Sterbephase unterlassen oder beendet werden, wenn diese den Todeseintritt nur verzögern und sich die Krankheit in ihrem zum Tod führenden Verlauf nicht mehr aufhalten lässt. Das kann auch im Vorhinein verfügt werden und ist rechtlich bindend.
In einem juristisch erweiterten Sinn wird häufig auch dann von passiver Sterbehilfe gesprochen, wenn der Sterbeprozess oder das Endstadium einer tödlich verlaufenden Krankheit noch nicht begonnen hat und eine lebenserhaltende medizinische Maßnahme nicht durchgeführt oder beendet wird, weil der Patient seine Einwilligung nicht erteilt oder widerrufen hat.
Die passive Sterbehilfe ist rechtlich und ethisch zulässig.
Indirekte Sterbehilfe: Indirekte Sterbehilfe wird geleistet, wenn Sterbenden ärztlich verordnete schmerzlindernde Medikamente gegeben werden, die als unbeabsichtigte Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen können. Solche indirekte Sterbehilfe wird in Abwägung der ärztlichen Doppelpflicht - Leben erhalten und Schmerzen lindern - für rechtlich und ethisch zulässig gehalten.
Aktive Sterbehilfe: Gezielte Tötung eines Menschen, z. B. durch die Verabreichung eines den Tod herbeiführenden Präparates (z. B. Tablette, Spritze, Infusion). Sie ist in Deutschland gesetzlich verboten und wird strafrechtlich verfolgt, und zwar auch dann, wenn sie mit ausdrücklicher Zustimmung des Patienten oder der Patientin erfolgt. Die Legalisierung aktiver Sterbehilfe in den Niederlanden und in Belgien lässt die Tötung schwerstkranker und sterbender Menschen in diesen Ländern unter bestimmten Bedingungen zu.
Aktive Sterbehilfe ist jedoch mit dem christlichen Verständnis vom Menschen nicht vereinbar.
Assistierter Suizid bzw. Beihilfe zur Selbsttötung bzw. "Freitodbegleitung": "Assistierten Suizid" nennt man die Unterstützung eines Menschen bei der Durchführung seiner Selbsttötung, z. B. durch die Beschaffung tödlich wirkender Medikamente oder durch die Anleitung der Handhabung dieser Medikamente. Die Beihilfe zur Selbsttötung ist nicht auf die unmittelbare Sterbephase beschränkt, sondern kann schon nach der Diagnose einer schweren Erkrankung oder der Prognose eines belastenden Krankheitsverlaufs stattfinden.
Aus ethischer Sicht und nach Meinung der Kirchen ist die Beihilfe zur Selbsttötung abzulehnen, die in manchen Ländern (z. B. Schweiz, Niederlande) von sogenannten Sterbehilfe-Organisationen praktiziert wird.
Quelle: Website der Deutschen Bischofskonferenz, www.dbk.de/themen/christliche-patientenvorsorge