Sie bringen frischen Wind
Freiwillig sonntags morgens früh aufstehe n und anderswo den Tisch decken: Darleen (18) ist Mitglied bei der Jugendcaritas Arnsberg. Seit einigen Jahren helfen die Jugendlichen regelmäßig im Hospiz Raphael. Sie arbeiten in der Küche, sprechen mit den Gästen, gehen mit ihnen spazieren. Karl-Martin Flüter
Zu acht haben Mitarbeiter, Gäste und Angehörige um den großen Tisch im gemütlichen Wohnzimmer gesessen und über dies und das geredet. "Ich finde es schön hier", sagt Darleen. Als sie das sagt, schaut sogar die Hauswirtschafterin Gisela Kotzem überrascht auf. Schließlich redet Darleen über ihre Arbeit im stationären Hospiz Raphael in Arnsberg. Hierhin kommen Menschen, um zu sterben. Den meisten bleiben nur noch einige Tage, vielleicht Wochen. Ein Aufenthalt, der länger als einen Monat dauert, ist die Ausnahme. Als Darleen heute Morgen durch die Haustür kam, brannte die Kerze im Flur: das Zeichen dafür, dass ein Gast in der Nacht gestorben war. Die meisten Gäste, die Darleen an diesem Sonntagmorgen kennenlernt, könnten bei ihrem nächsten Besuch in etwa sechs Wochen gestorben sein.
Seit 2011 kommt Darleen regelmäßig ins Hospiz Raphael. Sie hilft in der Küche, redet mit Gästen, geht schon mal mit ihnen spazieren. Die Einsätze finden immer sonntags statt, mal vormittags, dann wieder am Nachmittag. Ob es nicht schwerfällt, an ihrem freien Tag so früh aufzustehen, vielleicht nach einem Abend mit Freunden in der Kneipe oder im Club? "Ach, das ist kein Problem", sagt Darleen. Eher ist es die Schule, die es ihr manchmal schwer macht. Im Frühjahr steht das Abitur an.
Achtsamer Umgang: Darleen mit den Krankenschwestern Martina Lütkes (links) und Anke Jumah (rechts)Karl-Martin Flüter
Darleen war Gründungsmitglied der Hospizgruppe, die vor drei Jahren im stationären Hospiz Raphael entstand und sich rasch zur Keimzelle der Arnsberger Jugendcaritas entwickelte. Mittlerweile gehören 85 Mädchen und Jungen der Jugendcaritas an. Das Hospiz ist längst nicht mehr das einzige Betätigungsfeld der Jugendlichen. Auch in einer Senioren-Wohngemeinschaft, in Altenheimen und Wohnheimen für Menschen mit Behinderung arbeiten sie ehrenamtlich mit.
Die Hospizgruppe hat viele neue Mitglieder gewonnen. 20 sind es zurzeit. "Es gibt jetzt sehr viele Interessenten", sagt Darleen. "Früher war ich alle vier Wochen dran, jetzt dauert es sechs Wochen bis zum nächsten Besuch. " Wann sie eingesetzt wird, erfährt sie im Internet. Die Hospizgruppe organisiert sich selbst über Facebook und Whatsapp. So sprechen sich die Gruppenmitglieder auch vor größeren Veranstaltungen ab, wie zu dem Gedenkgottesdienst für Angehörige, zu dem das Hospiz einmal im Jahr einlädt. Die Mitglieder der Jugendcaritas haben bei der Durchführung geholfen.
Für die Anerkennung und den Respekt, den er im Hospiz erfahren hat, bedankte sich der ehemalige Helfer der Jugendcaritas im Erinnerungsbuch.Karl-Martin Flüter
Ihr Hauptaufgabe sind jedoch die Einsätze, die am Wochenende in drei Schichten am Sonntagmorgen sowie am Samstag- und Sonntagnachmittag stattfinden. Die Mitarbeiter im Hospiz rechnen mittlerweile fest mit den jungen Helfern. Nicht, weil sie billige Arbeitskräfte brauchen, sondern, weil die Jugendlichen den Alltag im Hospiz verändern. "Sie bringen frischen Wind ins Haus", sagt die Krankenschwester Anke Jumah. Viele Gäste genießen es, einmal in der Woche ganz andere Gesprächspartner vor sich zu haben.
Anfangs nervös, aber nicht überfordert
Diese Verbindung nach draußen ist wichtig. Das Hospiz Raphael ist ein Ort, dem viele Menschen mit Scheu begegnen. "Es gibt Angehörige, die trauen sich nicht, bei uns zu klingeln", sagt Martina Lütkes, auch sie ist wie Anke Jumah schon lange Krankenschwester im Hospiz. Es gab Zeiten, da beschwerten sich Nachbarn über Bewohner, die die Krankenschwestern im Bett auf die Terrasse geschoben hatten. Menschen, die bald sterben, in der Öffentlichkeit zu sehen, überschreitet bei vielen Menschen immer noch eine Tabugrenze. Auf die Mitglieder der Jugendcaritas trifft das nicht zu. "Das hier ist ein ganz normaler Ort", sagt Felix Bruchhage.
Auch er gehört der Hospizgruppe seit den ersten Tagen an. Damals sei er noch nervös gewesen, erinnert er sich. Doch das hat sich längst gegeben. Außerdem hat jeder, der im Hospiz arbeitet, an einer Fortbildung teilgenommen, bei der es um die eigenen Grenzen ging und um Nähe und Distanz. Manchmal, das gibt Felix zu, ist die Trauer im Haus deutlich zu spüren, vor allem wenn ein junger Mensch gestorben ist oder eine Mutter, die mehrere Kinder hinterlässt. "Das merkt man dann einfach an der Stimmung im Haus."
Die Mitarbeiter von der Jugendcaritas arbeiten vorwiegend in der Küche und in der Hauswirtschaft. Gisela Kotzem kann die Hilfe gut gebrauchen.Karl-Martin Flüter
Die Mitarbeiter im Hospiz achten darauf, dass die Jugendlichen nicht überfordert werden. "Jeder kann jederzeit Nein sagen", sagt Anke Jumah. Sie glaubt, dass die intensive Betreuung und Pflege, der achtsame Umgang mit den Gästen das Leben im Hospiz prägen: "Das merken die Jugendlichen", sagt sie. "Sie fühlen sich hier einfach wohl. Es ist hier für sie tatsächlich schön."
Martina Lütkes holt das Erinnerungsbuch, in das sich Gäste, Besucher und Mitarbeiter eintragen. Überdurchschnittlich viele junge Menschen haben ihre Gefühle und Gedanken in das Buch geschrieben. An einen von ihnen erinnern sich beide Schwestern noch besonders gut. Sie finden auf Anhieb seinen Eintrag, eine eng beschriebene Seite.
"Ich habe hier endlich mal Respekt bekommen", steht da etwas holprig, "Anerkennung, wie auch dass ich endlich mal wusste, hier gehöre ich hin." Der Verfasser dankt den Menschen im Hospiz "aus vollstem Herzen, denn sie haben auch mir wieder Hoffnung und Freude für mein zukünftiges Leben mitgegeben". Im Hospiz Raphael, diesem Ort, wo das Sterben so sehr den Alltag bestimmt, hat der junge Mann vor allem eines gelernt: was es heißt zu leben.