Leben in der Warteschleife ohne Perspektive
Hausbesuch bei einer Migrantenfamilie in Rabat: Bijou (l.) mit einem ihrer sechs KinderCaritas international/Christine Decker
Im Norden Marokkos versuchen Migranten, darunter viele unbegleitete Minderjährige, vergeblich, die sieben Meter hohen Hochsicherheitszäune an den spanischen Exklaven Melilla und Ceuta zu überwinden. Schwer verletzt ziehen sie sich in die Wälder nahe der Grenzzäune zurück und leben dort unter elenden Bedingungen. Nahrungsmittel suchen sie in den Mülltonnen der Reichen. Ihre Perspektivlosigkeit und der Druck, die zurückgebliebenen Familienangehörigen unterstützen zu müssen, lassen für sie nur den einen Weg zu: mit aller Macht Europa zu erreichen.
Vor zwei Jahren erhielten rund 30 000 Migranten erstmalig eine Aufenthaltsgenehmigung in Marokko und damit Zugang zu medizinischer Grundversorgung, ein Recht auf Bildung und eine Arbeitserlaubnis. Nach wie vor sind aber viele Zehntausende Migranten illegal im Land und in einer verzweifelten Lage.
Auch der 28-jährige Jackson aus Kamerun versuchte, nach Europa zu gelangen. Nach einigen gescheiterten Versuchen fand er schließlich schwer verletzt Aufnahme in der katholischen Gemeinde der Provinzstadt Meknès: "Ich habe mich entschieden, ein Leben in Marokko zu akzeptieren, und unterstütze jetzt hier den Aufbau des Caritas-Migrationszentrums." Weil er dieselben Erfahrungen gemacht hat, fassen die Migranten Vertrauen zu ihm. Mit 20 unbegleiteten Minderjährigen und marokkanischen Schülern einer katholischen Schule hat er eine Fußballmannschaft aufgebaut. Die meist wohlhabenden Eltern der Schüler spenden regelmäßig Lebensmittelpakete für die Migranten.
Viele Migranten sind begeisterte Fußballspieler.Caritas international/Hermann Kenfack
Europa muss die Angst vor dem Islam ablegen
Von der Caritas erhält Jackson eine kleine Aufwandsentschädigung. Davon schickt er jeden Monat die Hälfte an seine Familie zu Hause. Gerne würde er irgendwann wieder nach Kamerun zurückkehren, aber sein Vater sagt ihm am Telefon: "Wir brauchen dich da, wo du bist. Wir sind auf deine Hilfe angewiesen." Wie Jackson opfern sich viele Migranten für ihre Familien in der Heimat.
Für Generalvikar Daniel Nourissat kann es nur eine Lösung geben: "Europa muss die Menschen empfangen. Die gegenwärtige Visapolitik ist absurd." Viele Migranten, die gescheitert sind, werden niemals wieder von ihren Familien in den Herkunftsländen aufgenommen. Wenn es aber Visafreiheit gäbe, könnten sich die Menschen als Arbeitsmigranten hin- und herbewegen. "Der Menschenverlust in den afrikanischen Ländern ist eine Katastrophe."
"Europa muss die Angst vor dem Islam ablegen", ist Msgr. Vincent Landel, Erzbischof der Diözese Rabat, überzeugt. Mit nur etwa 30 000 Katholiken unter 36 Millionen Einwohnern ist die katholische Kirche im muslimischen Königreich zwar verschwindend klein. Aber Caritas, seit zehn Jahren in der Begleitung von Migranten aktiv, ist immer wieder im Dialog mit der Regierung und dem König und hat die Entwicklung zur Verbesserung der Situation der Migranten maßgeblich mit angestoßen. "Wir handeln diskret und provozieren nicht, so kann auch die kleine Caritas viel helfen." In enger Kooperation zu Migranten-Selbsthilfeorganisationen und auch mit Unterstützung von Caritas international konnte bereits ein großes Hilfenetz für Migranten aufgebaut werden. Auch die Arbeit von Jackson in Meknès wird von Caritas international gefördert.
Minderjährig, ohne Begleitung - Warten auf einen AuswegCaritas international/Hermann Kenfack
Stichwort: Silvesternacht
Nach den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht stehen in Deutschland junge Männer aus Marokko und anderen Maghrebstaaten im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Wie steht es um die Einschätzung von Marokko als sicheres Herkunftsland? Erzbischof Landel beantwortet die Frage mit einem schlichten "Ja". Generalvikar Nourissat umgeht das Thema und würdigt die Bemühungen von Staat und Königshaus, den jungen Männern, die nach einem besseren Leben in Europa streben, im eigenen Land Perspektiven zu eröffnen. "Das Land strengt sich sehr an, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Wir machen, was wir können." Internationale Unternehmen siedeln sich an. Die Textilindustrie ist ein wichtiger Wirtschaftszweig geworden. "Marokko ist eine einzige Baustelle." Es wird viel in Bildung und Infrastruktur investiert. Die Erfolge werden sich erst mit den Jahren zeigen, einige Fortschritte sind aber bereits jetzt sichtbar.
Mach dich stark für Generationengerechtigkeit
Aktion "Eine Million Sterne" 2016
Zum 10. Mal ruft Caritas international zur Teilnahme an der bundesweiten Solidaritätsaktion "Eine Million Sterne" auf. Caritasverbände, Einrichtungen, Dienste und Pfarrgemeinden werden am 12. November 2016 bundesweit öffentliche Plätze in strahlende Lichtermeere verwandeln. "Eine Million Sterne" fordert in diesem Jahr dazu auf, sich für mehr Gerechtigkeit zwischen den Generationen, aber auch innerhalb der Generationen einzusetzen. Am Beispiel unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge und Migranten in Marokko zeigt Caritas international die weltweite Dimension dieses Themas auf.
Spenden
Spenden Sie für Migranten in Marokko:
Caritas international
IBAN: DE88 6602 0500 0202 0202 02
BIC: BFSWDE33KRL
Kreditinstitut: Bank für Sozialwirtschaft Karlsruhe
Verwendungszweck: Marokko/Qantara
Weitere Informationen finden Sie hier