Schweigepflicht der Mitarbeiter
Angehörige bestimmter Berufe, die sog. Berufsgeheimnisträger, die ein ihnen anvertrautes Geheimnis oder sonst bekannt gewordene Tatsachen unbefugt offenbaren, machen sich sogar strafbar.
1. Schweigepflichtige Personen
Mitarbeiter, die der strafrechtlichen Schweigepflicht unterliegen
- § 203 Abs. 1 Nr. 1-6 StGB -
- Ärzte, Krankenschwestern, Hebammen, Arzthelfer, Masseure, Altenpfleger und Angehörige eines anderen Heilberufs mit staatlich geregelter Ausbildung,
- Berufspsychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlussprüfung,
- he-, Familien-, Erziehungs- oder Jugendberater sowie Berater für Suchtfragen in einer öffentlich anerkannten Beratungsstelle,
- Mitglieder oder Beauftragte einer anerkannten Beratungsstelle nach den §§ 3 und 8 Schwangerschaftskonfliktgesetz,
- staatlich anerkannte Sozialarbeiter oder staatlich anerkannte Sozialpädagogen,
- berufsmäßig tätige Gehilfen, die in die Vorbereitung, Durchführung, Auswertung der beruflichen Tätigkeit des Berufsgeheimnisträgers einbezogen sind,1
- Personen, die in Vorbereitung auf einen der vorgenannten Berufe tätig sind (§ 203 Abs. 3 StGB) z. B. Berufspraktikanten, im Rahmen einer Schul- oder Hochschulausbildung tätige Studenten im Vor-, Zwischenpraktikum und im Praxissemester.
- sonstige mitwirkende Personen: Annahme von Telefonanrufen, Schreibarbeiten, Tätigkeiten im Rechnungswesen, Aktenarchivierung, Einrichtung/Wartung/Änderung informationstechnischer Anlagen.2
Personen in einer besonderen Beziehung, die das Vertrauen rechtfertigt, dass ihre persönlichen Angelegenheiten nicht nach außen dringen
- Allgemeines Persönlichkeitsrecht -
Alle Menschen, die von § 203 StGB nicht erfasst sind, dürfen Dritten nicht unbefugt Geheimnisse der Menschen mitteilen, die ihnen in besonderem Maße vertrauen (Sphäre vertraulicher Kommunikation).3 Eine berufliche Hilfebeziehung wird nicht vorausgesetzt:
- Leitende Mitarbeiter, Erzieher, Diplom-Pädagogen, ehrenamtliche Mitarbeiter,
- Mitarbeiter im technischen, handwerklichen sowie im hauswirtschaftlichen, Büro- oder Verwaltungsdienst.
2. Anvertraute und sonst bekannt gewordene Tatsachen
Die persönliche Schweigepflicht besteht, wenn dem Schweigepflichtigen ein Geheimnis anvertraut wird. Ein Geheimnis in diesem Sinne liegt vor, wenn
- ein Patient/Klient/Bewohner eine auf seine Person oder einen Dritten, beispielsweise seinen Partner oder seine Kinder, bezogene Tatsache dem Mitarbeiter
- in der Erwartung anvertraut, dass der Mitarbeiter diese Tatsache nicht anderen Personen/Stellen mitteilt, die diese Tatsache nicht kennen.
2.1 Tatsachen
Zu den Tatsachen, die ein Geheimnis sein können, gehören alle personenbezogenen Tatsachen wie Name, Vorname, Alter, Beruf, Einkommen, Vermögen, Krankheiten, Anamnese, Untersuchungsbefunde, Diagnose, gewählte Therapie, Zwischenprognosen, Therapiekorrekturen, Röntgenbilder, Laborbefunde, Therapieergebnisse und Zufallsbefunde, Probleme, Verhaltensweisen, Alkoholkonsum, Charaktereigenschaften, auch Angaben über die persönliche, familiäre, wirtschaftliche, berufliche, finanzielle, kulturelle und sonstige soziale Situation sowie seine Motivation zur Angabe seiner Ansichten und Reflexionen.4
Es kommt nicht darauf an, ob die Information bewusst gegeben wird und ob sie richtig ist. Deshalb können auch Vermutungen, Gerüchte, Verdachtsmomente der Schweigepflicht unterliegende Tatsachen sein.
Beispiele: Ein Geheimnis ist
- die Tatsache, dass ein Psychologe in einer Erziehungsberatungsstelle eine bestimmte Telefonnummer gewählt hat,5
- die Tatsache, dass eine Frau eine Beratungsstelle aufgesucht hat,
- der Verdacht, dass ein Kind sexuell missbraucht wird.
2.2 Anvertraut oder sonst bekannt geworden
Anvertraut sind alle personenbezogenen Tatsachen, die der Betroffene dem Mitarbeiter mitteilt, weil er sich auf dessen Verschwiegenheit verlässt.
Sonst bekannt geworden ist ein Geheimnis, das dem Mitarbeiter durch Wahrnehmungen, Folgerungen und Untersuchungen im Rahmen des Vertrauensverhältnisses bekannt wird.6
Beispiele: Beim Hausbesuch werden dem Sozialarbeiter der verwahrloste Zustand der Wohnung und das aggressive Verhalten der Mutter gegenüber den Kindern bekannt.7
Der Erziehungsberater bemerkt, dass die Mutter eines Kindes dessen Arm bedeckt hält und vermutet Spuren körperlicher Misshandlungen, die ihm bewusst verschwiegen werden.
Nicht anvertraut in diesem Sinne sind allerdings alle Informationen, die mitgeteilt werden, damit sie an bestimmte andere Personen beziehungsweise Ämter/Einrichtungen weitergegeben werden, weil sie beispielsweise zur Begründung eines Antrags auf Sozialleistungen erforderlich sind. Ist nicht eindeutig, ob eine mitgeteilte Tatsache nach der Vorstellung des Mitteilenden als Geheimnis anvertraut ist, ist der Mitteilende zu befragen, ob und in welchem Umfang Kollegen, Vorgesetzte, Vertreter und Nachfolger im Amt die Information erhalten dürfen.8
2.3 Beruflicher Zusammenhang
Nur die Tatsachen, die dem Schweigepflichtigen im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit anvertraut oder sonst bekannt geworden sind, unterliegen der dienstrechtlichen Schweigepflicht.
Beispiel: Schweigepflichtig ist die Reinigungskraft, der eine weinende Patientin, die sie zu trösten versuchte, ihre Eheprobleme geschildert hat.
Eine Tatsache, deren Kenntnis im privaten, gesellschaftlichen oder kollegialen Rahmen erlangt wird, unterliegt zwar nicht der dienstrechtlichen und strafrechtlichen Schweigepflicht. Sie kann aber der allgemeinen verfassungsrechtlich begründeten Schweigepflicht unterliegen.
3. Mitteilungen anvertrauter Geheimnisse an Dritte
Der Arbeitgeber des schweigepflichtigen Mitarbeiters ist für die fachliche Qualität der Arbeit verantwortlich. Zur fachlichen Qualität gehört auch der verfassungsrechtlich und spezialgesetzlich gebotene Schutz der Persönlichkeitsrechte der Patienten/Klienten/Bewohner.
Der Dienstgeber hat deshalb durch geeignete organisatorische und technische Maßnahmen sicher zu stellen, dass den Mitarbeitern persönlich anvertraute Tatsachen Dritten nicht bekannt werden:
Beispiele: Verständliche und konkrete Information der Mitarbeiter, abhörsichere Beratungsräume, Sicherung von Akten und gespeicherten Daten vor unbefugten Zugriff, Löschung nicht mehr benötigter Daten usw.9
3.1 Innerdienstliche Schweigepflicht
Schweigepflichtige Mitarbeiter sind auch gegenüber ihrem Dienstgeber verpflichtet, anvertraute Geheimnisse zu wahren. Deshalb ist der Dienstgeber kraft seiner Fürsorgepflicht gegenüber dem schweigepflichtigen Mitarbeiter gehalten, alles zu unterlassen, was diesen in einen Konflikt mit seiner Geheimhaltungspflicht bringen kann. Er darf schweigepflichtige Mitarbeiter nicht anweisen, ihn oder andere Mitarbeiter über anvertraute Geheimnisse zu informieren; denn ein Dienstgeber hat nicht die Rechtsmacht, in seiner Einrichtung Strafvorschriften außer Kraft zu setzen.10
Unzulässig sind alle Mitteilungen an Dienstgebervertreter, Vorgesetzte, Kolleginnen, Praktikanten, Schreibkräfte, Praxisanleiter, Supervisoren usw. über anvertraute Tatsachen. Sie sind nur zulässig, wenn der Betroffene wirksam eingewilligt hat oder eine sonstige Mitteilungsbefugnis besteht.
Beispiele: Ein Arzt darf einem Psychologen keine Patientendaten mitteilen.
Ein Schulsozialarbeiter darf einem Lehrer keine Informationen über ein Gespräch mit den Eltern eines Schülers geben.
Auch die Mitteilung von anvertrauten Geheimnissen an Urlaubs-, Schwangerschafts- und Krankheitsvertretungen und Nachfolger/-innen am Arbeitsplatz ist grundsätzlich unzulässig. Das gilt für die Übergabe von Dateien/Karteien und die Weitergabe von anvertrauten Tatsachen in mündlicher, schriftlicher oder elektronischer Form.11
Die irrtümliche Annahme einer Offenbarungsbefugnis schließt Verschulden nicht aus; denn ein Mitarbeiter muss die für ihn einschlägigen Vorschriften kennen. Bei unsicherer Rechtslage kann er sich beim Datenschutzbeauftragten informieren, bevor er eine anvertraute Tatsache Dritten mitteilt.
Beispiele: Informiert ein Psychologe seine gesetzlich schweigepflichtigen Kollegen im Heimteam über sexuelle Beziehungen des Heimleiters zu einer Klientin ohne deren Einwilligung, verletzt er seine Schweigepflicht.12
In der Regel werden durch Anonymisierung oder Pseudonymisierung anvertrauter Daten einrichtungsintern Fallbesprechungen, Praxisberatung, Supervision usw. ohne Einschränkung möglich sein.
Beispiel: Schildert eine Sozialarbeiterin die Situation einer psychisch kranken Frau aus ihrem Bezirk bei der Besprechung im Team, so liegt darin keine Offenbarung anvertrauter Geheimnisse, wenn die anderen Teammitglieder die Schilderung nicht auf eine bestimmte Person beziehen können.
In Hilfeplankonferenzen dürfen anvertraute Daten nur mit Einwilligung der Betroffenen von Mitarbeitern eingebracht und erörtert werden.13
3.2 Zulässige Mitteilung anvertrauter Geheimnisse an Dritte
Die Offenbarung, d. h. die Weitergabe anvertrauter Geheimnisse an Dritte ist grundsätzlich unzulässig. Sie ist aber zulässig, wenn
- der Betroffene damit einverstanden ist, weil in diesem Fall sein informationelles Selbstbestimmungsrecht nicht verletzt ist (siehe Abschnitt 3.1),
- gesetzliche Vorschriften oder Rechtsgrundsätze die Weitergabe wegen des überwiegenden Interesses eines anderen Menschen oder der Allgemeinheit zulassen (siehe Abschnitt 3.2 bis 3.5).
3.2.1 Einwilligung des Betroffenen (Entbindung von der Schweigepflicht)
Eine Einwilligung ist nur wirksam, wenn sie freiwillig erteilt wird und die Daten, die weitergegeben werden dürfen, genau beschreibt (Bestimmtheitsgrundsatz). Bei Minderjährigen und sonstigen nicht voll geschäftsfähigen Personen reicht für die Wirksamkeit der Einwilligung die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit aus, sofern der höchstpersönliche Lebensbereich betroffen ist.
3.2.2 Offenbarung zur Abwendung einer gegenwärtigen und nicht anders abzuwendende Gefahr
Gerechtfertigt ist die Offenbarung eines anvertrauten Geheimnisses nur, wenn
- die akute Gefahr besteht, dass ein Schaden in allernächster Zeit eintreten wird (z. B. Misshandlung eines Kindes),
- der Eintritt des Schadens nicht auf andere Weise verhindert werden kann,
- der Geheimnisbruch ein angemessenes Mittel der Gefahrenabwehr ist.
Abzuwägen ist beispielsweise, ob das Interesse des betroffenen Kindes an einer gesunden Entwicklung (Wohl des Kindes) das Interesse der Mutter wesentlich überwiegt.
3.3 Anzeige bestimmter schwerer geplanter Straftaten
Begangene Straftaten sind nicht anzeigepflichtig. Ihre Anzeige wäre für nach § 203 StGB Schweigepflichtige strafbar. Eine Anzeigepflicht besteht nur, solange ein in § 138 StGB genanntes Kapitalverbrechen wie Mord, Totschlag, Raub durch eine Anzeige noch verhindert werden kann.
3.4 Pflicht zur Information des Jugendamts bei Kindeswohlgefährdung
Die Fachkräfte eines caritativen Trägers haben das Jugendamt zu informieren, falls die Gefährdung eines Kindes anders nicht abgewendet werden kann (§ 8a Abs. 4 SGB VIII).
3.5 Befugnis bzw. Pflicht zur Information von Eltern
Kinder und Jugendliche haben ein eigenes Recht auf informationelle Selbstbestimmung und auf Vertrauensschutz, wenn sie aufgrund ihres individuellen Entwicklungsstandes in der Lage sind, die Tragweite ihres Handelns zu erfassen.
Von Minderjährigen anvertraute Geheimnisse dürfen ohne deren Einwilligung den Eltern nicht mitgeteilt werden, wenn eine Not- oder Konfliktlage besteht, die durch die Mitteilung verschärft werden könnte (entsprechend § 8 Abs. 3 SGB VIII).14
3.6 Befugnis zur Geltendmachung und Verteidigung von Rechten
Der Schweigepflichtige darf ohne Entbindung von der Schweigepflicht der Schweigepflicht unterliegende Tatsachen in einem Gerichtsverfahren vortragen, wenn und soweit dies zur Begründung seiner Ansprüche bzw. Verteidigung von Rechten erforderlich ist.15
3.7 Spezialgesetzliche Offenbarungspflichten
- Rechnungshöfe: Akten müssen von prüfungspflichtigen Einrichtungen den Rechnungshöfen vorgelegt werden, auch wenn sie anvertraute Geheimnisse im Sinne von § 203 StGB enthalten.16
- Krankenhäuser, Pflegeheime: Von Krankenhäusern, Pflegeheimen und ähnlichen Einrichtungen sind der Polizei/der Ordnungsbehörde nur Angaben über in die Einrichtung aufgenommene Personen zu machen, wenn dies zur Abwehr einer erheblichen und gegenwärtigen Gefahr, zur Verfolgung von Straftaten oder zur Aufklärung des Schicksals von Vermissten und Unfallopfern im Einzelfall erforderlich ist (§ 32 Abs. 2 Bundesmeldegesetz). Andere caritative Einrichtungen verletzen ihre Schutzpflicht, wenn sie diese Angaben machen.
- Sammelunterkünfte: Die Leiter von Heimen, Lagern, Sammelunterkünften und ähnlichen Einrichtungen sind verpflichtet, das zuständige Gesundheitsamt zu informieren, wenn eine meldepflichtige Krankheit auftritt (§§ 6ff. Infektionsschutzgesetz).
Eine HIV-Infektion und eine AIDS-Erkrankung sind nicht meldepflichtig. - Drogentherapieeinrichtungen: Die behandelnden Personen in Drogentherapieeinrichtungen sind verpflichtet, den Strafrichter zu informieren, wenn ein Patient die Behandlung abbricht (§ 35 Abs. 4 Betäubungsmittelgesetz).
Zahlreiche Gesetze begründen zwar weitere Mitteilungspflichten.
Jedoch verlangen Jugendämter, Polizei, Staatsanwaltschaften, Ausländerämter usw. nicht selten Auskünfte, die von Mitarbeitern freier Träger nicht erteilt werden dürfen. Im Zweifelsfall sollte stets gefragt werden, in welcher konkreten Rechtsvorschrift eine Auskunftspflicht festgelegt ist.
1 BT-Drucksache 18/11936, Seite 22.
2 BT-Drucksache 18/11936, Seite 22.
3 Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27.07.2009 - 2 BvR 2186/07.
4 Bieresborn in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 2014, § 76 Rn 7.
5 Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.01.1987 - 1 AZR 267/85, NZA 1987, 515.
6 Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 30.09.1991 - 15 W 231/91, FamRZ 1991, 201.
7 Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 30.09.1991 - 15 W 231/91, FamRZ 1991, 201.
8 Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.12.1991 - VIII ZR 4/91, NJW 1992, 737;
Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 22.02.2001 - 2 Ws 9/01.
9 Siehe Praxishilfe 15 "Technischer Datenschutz nach dem KDG",
www.katholisches-datenschutzzentrum.de/infothek.
10 Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.1.1987 - 1 AZR 267/85, Rn 36, NJW 1987, 1509.
11 Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.12.1991 - VIII ZR 4/91, NJW 1992, 737;
www.aerztekammer-bw.de/10aerzte/40merkblaetter/10merkblaetter/datenschutz.pdf
12 Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 08.11.1994 - 2 St RR 157/94,NJW 1995, 1624.
13 Kunkel/Kepert in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 2016, § 36 Rn 47.
14 Amtsgericht Saarbrücken, Urteil vom 04.05.2004 - 42 C 283/03.
15 Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 21.04.2015 - 14 Sa 1249/14.
16 Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 29.04.1997 - 1BvR 1226/89, NJW 1997, 1634.