„Ein Christ kann nicht neutral gegenüber der EU sein“
Erzbischof Jean-Claude Hollerich, Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union (COMECE), beim Europaforum der Caritas in NRWMarkus Lahrmann
Ein halbes Jahr vor den Europawahlen im Mai 2019 warnte der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments, Klaus Hänsch (seinen Vortrag finden Sie hier zum Download), vor dramatischen Verschiebungen in der Volksvertretung: Es gehe diesmal nicht um die Frage, ob man mehr oder weniger Europa wolle, sondern ob demnächst überhaupt noch ein einiges Europa existiere. "Der Extremismus von links und rechts droht zur kritischen Masse zu werden, die die Union zerrüttet", sagte Hänsch beim Europaforum der Caritas in NRW Ende November in Brüssel. Nötig, so Hänsch, der dem EU-Parlament von 1994 bis 1997 vorstand, sei aber "ein Europa, das nützt und schützt". Europa und die Europäische Union - das sei ein Prozess, der niemals ende, und trotzdem "das Beste, was wir haben", so der 80-jährige Politiker.
Mehr als 60 Vertreterinnen und Vertreter der Caritas diskutierten beim Europaforum in der Brüsseler NRW-Vertretung zwei Tage lang über ein "Europa der Teilhabe" und mögliche Wege aus der Krise. Mit dabei waren EU-Parlamentarier und Kirchenvertreter.
Prof. Dr. Klaus Hänsch im Gespräch mit Hans-Georg Liegener (Krefelder Caritas-Vorstand und Caritasheime-Geschäftsführer)Markus Lahrmann
Nach Auffassung des luxemburgischen Erzbischofs Jean-Claude Hollerich (sein Thesenpapier finden Sie hier zum Download) ist Europa meilenweit von seinen Grundprinzipien Menschenwürde und Solidarität entfernt: "Vor den Grenzen der EU ertrinken Menschen. Es ist völlig unverständlich, dass Politiker das zulassen und sich gleichzeitig auf das christliche Abendland berufen."
Er forderte die Caritas auf, sich mehr in die Politik der Europäischen Union einzumischen. "Ein Christ kann nicht neutral gegenüber der EU sein", so Hollerich, der auch Präsident der EU-Bischofskommission (COMECE) ist. Jeder Mensch sei unser Nachbar, "egal ob EU-Bürger oder Flüchtling, egal ob Christ oder nicht".
Engagement in der Politik, so Hollerich, sei etwas Edles. "Man ist nicht nur Christ, um seine Seele zu retten. Man muss auch das Diesseits gestalten." Mangelnde Dialogbereitschaft sei einer der Gründe dafür, dass die EU so wenig Akzeptanz finde. "Das allgemeine Unwohlsein über die Politik der EU hängt auch damit zusammen, dass nicht mehr diskutiert wird", sagte Hollerich. Er forderte von der Europäischen Union eine Gemeinwohlorientierung statt einer Verfolgung von Einzelinteressen. "Die EU muss ihren Familiengeist wiederfinden."
Robert Urbé (Präsident der Sozialpolitischen Kommission von Caritas Europa a. D.) bei seinem Vortag beim Europaforum der Caritas in NRW in BrüsselMarkus Harmann
Ähnlich sieht es Robert Urbé, ehemaliger Präsident der Sozialpolitischen Kommission von Caritas Europa. Er konstatierte: "Europa kommt bei den Menschen schlecht weg." Es habe ein Imageproblem, dabei sei die EU ein beispielloses Friedensprojekt. "Dank EU hat Kerneuropa seit 70 Jahren keinen Krieg erlebt." Das müsse immer wieder betont werden. "Die Menschen in Europa werden dann eine größere Akzeptanz entwickeln, wenn sie merken, dass Europa etwas für sie bewirkt, und sie das Gefühl haben, dass die da oben ihretwegen regieren. ... Es ist Aufgabe der Caritas, auf allen Ebenen gegen Fake News und Populismus aufzutreten und gleichzeitig Werte zu vermitteln."
Heinz-Josef Kessmann, Sprecher der Caritasdirektoren in NRW, erklärte, wirtschaftlicher Wohlstand allein reiche offensichtlich als Klammer für die Europäische Union nicht aus. Deshalb forderte er mehr soziale Gerechtigkeit und Teilhabechancen für Menschen, die sich abgehängt fühlen. "Sonst erleben wir einen Brexit zwei oder drei."
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