Anschlag auf die Altenheime
Im neuen Altenpflegerecht werden die bisher getrennten Gesetze zum Heim- (WTG NRW) und zum Investitionsfinanzierungsrecht (Landespflegegesetz NW) zu einem einzigen Gesetz zusammengefasst. Bisher fehlte in diesem bereits in der parlamentarischen Beratung befindlichen Werk die Durchführungsverordnung (DVO) zum Altenpflegegesetz. Die DVO regelt die entscheidenden Bestimmungen zur Refinanzierung der Investitionskosten von Pflegeeinrichtungen. (Dies entspricht der gesetzlichen Vorgabe des SGB XI zur Länderhoheit für die Investitionsfinanzierung.) Die Durchführungsverordnung ist jetzt im Stadium einer Kabinettsvorlage und soll in Kürze dem zuständigen Landtagsausschuss zur Beschlussfassung und Verabschiedung zugeleitet werden. Ändert sich nichts Wesentliches, dann ist die gesamte Versorgungslage für alte Menschen erheblich gefährdet.
Trotz dieser Hinweise von erfahrenen Praktikern aus verschiedenen Lagern wich das Ministerium nicht von wesentlichen Vorstellungen ab. Die jetzt abgegebenen Stellungnahmen der Trägerverbände warnen noch einmal ausdrücklich vor den Gefahren des Entwurfes der DVO für die gesamte Versorgungslage in Nordrhein-Westfalen.
Ausgangspunkt der Probleme sind zwei Grundpositionen des Landes:
- NRW brauche keine neuen stationären Pflegeangebote.
- Die Grundsätze aus den BSG-Urteilen von 2011 zur Festsetzung von Instandhaltungspauschalen in Pflegeeinrichtungen müssten in Nordrhein-Westfalen ab sofort angewandt werden.
Das starrsinnige Festhalten an diesen Grundannahmen führt zu weitreichenden Konsequenzen, die insbesondere den Bestand an Pflegeeinrichtungen gefährden, aber auch die notwendige Versorgung pflegebedürftiger Menschen in der Zukunft in Frage stellen.
Allseits ist die demografische Herausforderung durch die weitere Zunahme alter Menschen mit Pflegebedarf bekannt. Nordrhein-Westfalen braucht auch in Zukunft stationäre Pflegeeinrichtungen, um den Pflegebedürftigen helfen und ihre Angehörigen entlasten zu können. Angesichts der Zuwachsprognosen der nächsten Jahre sind dazu auch neue stationäre Pflegeangebote dringend notwendig (z. B. in der Stadt Düsseldorf, aber auch in anderen Regionen). Alternative Versorgungsformen in Quartieren, um diesem Bedarf gerecht zu werden, existieren längst noch nicht. Die Zielrichtung der DVO, die Regeln der Refinanzierung von Bau- und Einrichtungsinvestitionen unattraktiv auszugestalten, um Neubauten zu verhindern, ist daher falsch. Im Finanzierungsrecht in Nordrhein-Westfalen liegt das wirtschaftliche Bestandsrisiko derzeit allein bei den Einrichtungsträgern. Dies ist vom neuen System der Marktregulierung in der Pflegeversicherung so gewollt. Die Träger entscheiden, ob sie ein solches Risiko eingehen wollen oder nicht. Dies ist genügend, um bedarfsgerechte Angebote zu haben. Die geplante zusätzliche Behinderung von Investitionen durch eine Landesregulierung ist nicht nur nicht erforderlich. Sie nimmt auch vielen hilfesuchenden Menschen in Zukunft die Möglichkeit, ein ihrer Lage gemäßes Angebot stationärer Pflege an ihrem Wohn- und Lebensort zu finden. In der DVO müssen daher für notwendige Neubauten reale und wirtschaftlich tragbare Finanzierungsbedingungen erhalten bleiben bzw. wieder geschaffen werden.
Eingriff in Bestandsfinanzierung
Noch bedrohlicher ist die Lage für Bestandseinrichtungen der stationären Pflege. Unter Berufung auf das BSG-Urteil von 2011 wird tief in die Bestandsfinanzierung der Pflegeeinrichtung eingegriffen. Die BSG-Urteile sind jedoch zu Fällen in Bundesländern gefällt worden, die zur Finanzierung der Pflegeeinrichtungen direkte Landesförderung einsetzen. Damit sind dort Grundsätze des Nachweises und der Begrenzung von Refinanzierung im Sinne von Selbstkostendeckung gerechtfertigt. NRW hat diese Form von Förderung seit 2003 nicht mehr. Hier gelten Finanzierungsregeln des Kapitalmarktes. Die Träger sind in ihrer Finanzierung an die Verpflichtungen aus gültigen Finanzierungsverträgen langfristig gebunden. Hierin wird aber jetzt mit den Grundsätzen aus dem BSG-Urteil eingegriffen. Dies ist nicht gerechtfertigt und führt zu nachhaltig negativen Folgen bei den Erlösen der Träger aus den Investitionskostenanteilen. Die Bedienung notwendiger Darlehen mit Restlaufzeiten wird in Frage gestellt. Das Land verlässt mit der APG-DVO die bisherige richtige und der Rechtslage entsprechende Praxis bei Novellierungen von gesetzlichen Grundlagen, die verbindlich eingegangenen Refinanzierungen uneingeschränkt im Bestandsschutz zu gewährleisten.
Einseitig und ungerecht
Die neuen Regelungen widersprechen auch erprobten und bewährten Grundlagen betriebswirtschaftlicher Berechnung des Verbrauchs und der Abnutzung von Gütern. Die Finanzierung durch Abschreibungen muss dem Verlauf der Wertverluste entsprechen und gleichmäßig von den Personen getragen werden, die den Nutzen der Güter haben. Dies ist im Entwurf der DVO nicht der Fall. Es kommt zu einseitigen und ungerechten Belastungen der betreffenden Bewohner von Pflegeeinrichtungen und zu entsprechenden Finanzierungs- und Liquiditätsdefiziten der Träger.
Die Refinanzierungsregelungen müssen gewährleisten, dass Einrichtungen ihren notwendigen Bestand an Gebäuden und Einrichtungsgegenständen erhalten und wiederbeschaffen können. Dies ist am wirtschaftlichsten möglich, wenn die Träger hierfür in unternehmerischer Entscheidung selbst einzustehen haben. Die Regelungsvorgaben des neuen Rechtes verhindern dies. Die notwendigen Entscheidungen und Finanzierungsbelastungen müssen nach der Verfügbarkeit von Mitteln und den Regelungsvorgaben der DVO getroffen werden, nicht nach sachlichen und unternehmerischen Notwendigkeiten.
Die Caritas unterstützt die seit 2003 bestehende Absicht des Landes, bis 2018 in allen Pflegeeinrichtungen mindestens 80 Prozent Einzelzimmer anbieten zu können. Die notwendigen Umbauten, Modernisierungen sollen auch im neuen Recht vollständig finanziert werden. Baulich und finanziell wird dies aber in etlichen Fällen nicht möglich sein, weil es im Bestand der Einrichtungen nicht darstellbar ist oder zu unbezahlbaren Finanzierungsbeträgen führt. Mit der angedrohten Sanktion des Verlustes der Pflegewohngeldfinanzierung müssen diese Einrichtungen ihren Bestand aufgeben. Dies führt zu deutlichen Platzzahlverlusten. Dazu kommen die Plätze, die Einrichtungen zur Erreichung der 80- Prozent-Quote abbauen. Damit wird das Bestandsangebot in Nordrhein-Westfalen deutlich reduziert. Dies kann nicht Ergebnis der neuen Gesetzgebung sein.
Das neue Recht schafft zudem eine ganz erhebliche zusätzliche Verwaltungsbürokratie bei den Trägern, den Verbänden und Behörden. Die in der DVO gestalteten Nachweis- und Kontrollverfahren erfordern ein Vielfaches an Personal und Zeit, um die Anforderungen zu erfüllen.
Die Konsequenzen aus diesem Finanzierungsrecht müssen vor allem die pflegebedürftigen Menschen und ihre Angehörigen tragen. Es wird zu deutlichen Versorgungsunterschieden in Qualität und Angebot kommen. Die Lebensverhältnisse alter Menschen werden regional in Nordrhein-Westfalen zunehmend ungleich werden.
Vor allem wegen der massiven Konsequenzen für die Bestandseinrichtungen bedarf es vor einer Umsetzung im Land einer praktischen Erprobung der neuen Regelungen. Vorher darf daher die DVO nicht in Kraft gesetzt werden.
Das Land verspielt erhebliches Vertrauen der Menschen und Einrichtungsträger, wenn es die Bestandseinrichtungen in unabsehbare Gefahren bringt. Der geplante durchgreifende Systemwechsel kann so nicht stattfinden. Die eingangs erwähnten grundlegenden Ansätze müssen noch einmal überdacht und geprüft werden.