"Wir müssen die Tatsachen deutlich machen"
Caritas in NRW: Wie steht die Kirche zur AfD
Dr. Thomas Witt: Viele Bischöfe haben sich dazu eindeutig geäußert. Im Zuge der Flüchtlingsdebatte und der Pegida-Ausschreitungen ist mehrfach deutlich geworden, dass die Kirche hier eine andere Haltung hat.
Natürlich gibt es auch innerhalb der Kirche Menschen, die mit der AfD sympathisieren. Hier wäre es sicher wert, auch auf die einzelnen Forderungen dieser Partei zu schauen. In manchen Fragen ist ein Punkt getroffen, über den man nachdenken muss, andere Dinge sind für uns indiskutabel.
Caritas in NRW: Haben Sie da ein Beispiel?
Dr. Thomas Witt: Die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und Menschen in Not ist ein humanitärer Akt. Da kann man über das "Handling" streiten oder die Frage, ob irgendwann ein Punkt erreicht ist, wo auch der deutsche Staat an seine Belastungsgrenze kommt. Doch bis dahin müssen wir alles tun, was möglich ist, und uns nicht einfach abgrenzen, nur weil es Fremde sind, die kommen. Über die Rolle des Islam müssen wir diskutieren: Wir tun nicht gut daran, ihn zu verklären. Aber es führt ebenso wenig weiter, von vornherein alle zu verurteilen, die muslimischen Glaubens sind.
Die rote Linie ist das Grundgesetz. Sehr viele Muslime tragen dieses Land mit durch ihre Arbeit und ihre Steuern. Aber auch nicht alle Flüchtlinge, die zu uns kommen, sind Heilige. Wir müssen einen realistischen Blick gewinnen, der weder die Geflüchteten verklärt noch verteufelt. Nur so können wir ihnen und auch uns gerecht werden. Das bedeutet: Wir wollen mit großer Empathie auf die Menschen zugehen, aber auch nicht verschweigen, dass es Probleme gibt.
Caritas in NRW: Wie kann Caritas diejenigen erreichen, die empfänglich sind für die lauten Botschaften der großen Vereinfacher?
Dr. Thomas Witt: Wir werden nicht auf gleichem Niveau antworten können, das wird der Sache nicht gerecht werden. Wir sollten vielmehr unseren Beitrag zur Differenzierung leisten. Das geht bei bestimmten Gesprächspartnern nur bis zu einem gewissen Grad und eben nicht, wenn sie differenzierte Antworten ablehnen und lieber "postfaktisch" argumentieren. Dennoch müssen wir die Tatsachen deutlich machen. Dazu gehört auch, von unseren Erfahrungen zu berichten, denn es gibt ja viele gute Erfahrungen von Dingen, die gelingen. Es ist besser, positive Wege aufzuzeigen, als immer nur defizitorientiert zu schauen, was alles nicht geht. Das berühmte Wort der Kanzlerin: "Wir schaffen das" war ja richtig: Wir haben es geschafft! Das muss man auch einfach mal sagen: Selbst mit dieser beispiellosen Situation, Hunderttausende Flüchtlinge aufzunehmen, sind wir fertiggeworden! Das brauchen wir uns nicht kaputtreden zu lassen.
Natürlich ist Integration eine langfristige Aufgabe, die einen langen Atem braucht. Deshalb muss es jetzt darum gehen, Menschen zu motivieren, mitzumachen, Enttäuschungen auszuhalten. Da können wir sowohl als Caritas als auch als Kirche viele gute Beispiele beisteuern, wie und wo Integration gelingt. Es geht nicht primär um Geld und Strukturen, sondern darum, dass die Menschen sich den anderen zuwenden und ihnen damit eine Brücke in unser Land und in unsere Gesellschaft bauen.
Caritas in NRW: Es sieht so aus, dass die AfD in den nordrhein-westfälischen Landtag einziehen wird. Das könnte schwierig sein, als Caritas mit einer solchen Partei zu sprechen …
Dr. Thomas Witt: Ich wäre bereit, mit jedem zu sprechen, der einigermaßen guten Willens ist. Gewählten Abgeordneten in unserem Landtag sollten wir das Gespräch nicht verweigern - außer sie stehen eindeutig für eine Haltung, die menschenverachtend ist.
Man muss sich darauf konzentrieren, wo Anknüpfungspunkte sind und wo wir unsere Sicht der Dinge einspeisen können. Wir wollen unseren Beitrag leisten, dass die groben Klötze ein wenig feiner werden und die Vereinfacher sich einer Differenzierung aussetzen müssen. Mit Sprüchen kann man kein Land regieren, man muss schon ein bisschen mehr bieten.
Caritas in NRW: Die AfD positioniert sich an der Grenze zum Extremismus. Es gibt die Rhetorik der Grenzverletzung, das bewusste Spiel mit Tabus und dann wieder dieses Zurückrudern, um für politisch Konservative wählbar zu bleiben. Weder die etablierten Parteien noch die Kirche haben ein Rezept gefunden, damit umzugehen. Der öffentliche Diskurs verändert sich. Was kann Kirche tun? Brauchen wir mehr symbolische Aktionen?
Dr. Thomas Witt: Diese Taktik der AfD sollte man wahrnehmen und öffentlich benennen. Oft wird sie einfach mit dem Wort "Populismus" abgetan. Tendenzen des Populismus gibt es aber in allen Parteien - vor allem im Wahlkampf. Nur stehen die anderen nicht ganz so weit am Rand, so dass die Grenzüberschreitung nicht immer deutlich wird. Man versucht, mit gröberen Parolen Wählerpotenzial zu gewinnen. Populismus im eigentlichen Sinne und wertfrei genommen heißt ja, zu schauen, was das Volk will. Das ist erst einmal urdemokratisch.
Im demokratischen System ist ein gewisser Populismus nötig, wenn man wiedergewählt werden will. Was die CSU gerade in vielen Fragen der Flüchtlingspolitik gesagt hat, ist meiner Meinung nach auch populistisch. Und Beispiele ließen sich wohl in allen politischen Lagern finden.
Die Kirche kann und darf sich da nicht immer tief in die Tagespolitik hineinbegeben. Unser Maßstab sind die Würde des Menschen und die Gefährdung dieser Würde. Wir als Kirche können und müssen da parteiisch sein. Wir müssen die Grundlagen klarmachen, unser christliches Menschenbild transportieren, auf Vernunftbasis argumentieren. Das war immer die Stärke der katholischen Theologie.
Caritas in NRW: Müssen wir den Mitarbeitern der Caritas stärker Orientierung bieten im Umgang mit diesem neuen Phänomen? Müssen wir Zivilcourage stärken, intern unsere Werte, unsere Überzeugungen besser kommunizieren, damit die Mitarbeiter in ihrer Haltung sicherer sind?
Dr. Thomas Witt: Ja. Wir müssen unsere Prinzipien klarmachen. An denen sollen die Mitarbeiter, die Ehrenamtlichen, alle Katholiken politische Aussagen messen. Dann soll jeder Wähler für sich entscheiden, wen er wählen kann und wen nicht. Oberstes Prinzip ist dabei immer wieder die Würde des Menschen.
Auch ein Mensch, den ich ganz furchtbar finde und dessen Haltungen ich für indiskutabel halte, ist ein Mensch und hat seine Würde. Als solchen habe ich ihn auch zu behandeln. Als Kirche werben wir für einen respektvollen Umgang miteinander - mit Fremden und Geflüchteten, aber auch mit dem politischen Gegner, auch mit den Anhängern der AfD und von Pegida. Alles andere führt nur zu Ausgrenzung und zur Konfrontation. Beim Umgang mit der AfD helfen keine Beschimpfungen. Vielleicht bin ich da zu optimistisch, aber ich glaube, dass jeder Mensch ein berechtigtes Anliegen hat. Wenn man das berechtigte Anliegen des anderen wahrnimmt, kommen wir weiter. Es ist nicht die Aufgabe der Kirche, in Parolen zu denken, zu argumentieren und zu antworten. Unser Beitrag müsste eigentlich eher sein, eine grundlegende Brücke zu schlagen, Ängste wahrzunehmen, um dann darüber ins Gespräch zu kommen. Eine echte und ehrliche Diskussion über Identität, über Leitkultur, über unsere Werte, die täte uns gut. Und die sollten wir nicht der AfD überlassen.